Rüstungsindustrie und Universitäten:Kriegsforschung in der Friedensstadt

Eurocopter Assembly As EADS Announces 2011 Results

Im Eurocopter-Werk in Donauwörth sind Facharbeiter mit der Montage des militärischen Transporthubschraubers NH90 beschäftigt

(Foto: Getty Images)

Augsburg, Erlangen oder München: Viele bayerische Hochschulen kooperieren mit der Rüstungsindustrie. Auch das Verteidigungsministerium und die US Army vergeben Aufträge an die Forschungsinstitute. Kritiker bemängeln, diese Bündnisse seien undurchsichtig.

Von Sebastian Krass, Martina Scherf und Mike Szymanski

Panzer, Drohnen, Sprengstoff, Maschinengewehre - die Rüstungsindustrie ist in Bayern schwer im Geschäft. Gut ein Drittel der Branche hat ihren Sitz im Freistaat, etwa 70 Betriebe sind hier ansässig, Konzerne wie Krauss-Maffei oder Mittelständler wie Renk in Augsburg. Für ihre Forschung suchen sie sich Partner an bayerischen Hochschulen. Und nicht nur das Pentagon bezahlt Professoren, wie jetzt bekannt wurde, auch das Bundesverteidigungsministerium ist regelmäßiger Auftraggeber für Universitäten, Fachhochschulen und Forschungsinstitute. Genaue Statistiken sind Verschlusssache, wie so oft, wenn es um Militärisches geht.

Der Süddeutschen Zeitung liegen Dokumente vor, die das Ausmaß der Kriegsforschung an bayerischen Hochschulen erkennen lassen. Daraus geht hervor, dass allein das Bundesverteidigungsministerium in den Jahren von 2007 bis 2011 Aufträge im Volumen von knapp 30 Millionen Euro an Bayerns Forschungsinstitute vergeben hat, vor allem in den Bereichen Wehrtechnik, Medizin und Geowissenschaften. Gemessen an den Etats größerer Hochschulen - die TU München hat etwa einen Forschungsetat von 280 Millionen Euro pro Jahr - ist das ein eher kleiner Betrag. Aber Aufträge aus der Wehrbranche finanzieren oft ganze Stellen über Jahre.

Es gibt auch Stiftungslehrstühle, die von Rüstungsunternehmen finanziert werden: Der Lehrstuhl für Hubschraubertechnologie an der TU München wird von der EADS-Tochter Eurocopter bezahlt, die Professur für Systemtechnik in sicherheitsgerichteten Anwendungen an der Hochschule Ingolstadt von der EADS-Tochter Cassidian. Die Universitäten in Würzburg, Bayreuth und die LMU München forschen auch im Auftrag der US Army. Mal geht es um Sprengstoffe, mal um künstliche Seide, die zu schusssicheren Westen verarbeitet werden kann.

Standardvorlesung: "Fernraketen in Entwicklungsländern"

Zu den großen Nutznießern zählt erwartungsgemäß die Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München. Sie hat nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums im Zeitraum von 2007 bis 2013 Aufträge im Wert von fast zehn Millionen Euro erhalten. Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ist mit knapp 1,7 Millionen Euro dabei, Chemie und Medizin stehen dabei im Vordergrund.

An der TU München werden Navigationsverfahren, Raketenantriebe und Drohnen erforscht. Eine Standardvorlesung seit Jahren: "Fernraketen in Entwicklungsländern". Die Uni betont allerdings, dass sie keine Knebelverträge abschließt, sondern sich in jedem Fall das Recht auf Patentanmeldung und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse vorbehält.

Einer der großen Nutznießer der Rüstungsaufträge ist auch die Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung. Aber auch kleine Fachhochschulen profitieren: In Münchberg, einem Ableger der Hochschule Hof, wird beispielsweise das Färben von Spezial-Garnen erforscht, die für Arbeitskleidung oder Kampfanzüge verwendet werden. 270.000 Euro erhielt das Institut dafür vom Verteidigungsministerium.

Die Technische Hochschule Deggendorf entwickelt im Auftrag einer Fernglasfirma Laserentfernungsmesser. Die Technik sei für Segler interessant oder Golfspieler, erklärt die Hochschule auf Nachfrage. "Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diese Entwicklungen auch für militärische Zwecke verwendet werden."

Forschungsergebnisse für den "Dual Use"

In Ottobrunn bei München entsteht derzeit der "Bavarian International Campus Aerospace und Security". EADS, Siemens, DLR (deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), MTU sind daran beteiligt und vier Hochschulen. In Fachmagazinen präsentiert EADS-Cassidian stolz ihr Sagitta-Modell, eine Kampfdrohne, die dort entwickelt wird. Drohnen sind ein Zukunftsmarkt.

Auch die Bundeswehr, im Begriff, sich von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee zu wandeln, setzt auf solche unbemannten Flugobjekte. Die Hochschule Ingolstadt bekommt für ihren Forschungsbeitrag zu Sagitta (Stand Januar 2013) 240.000 Euro. Kein großes Projekt, gerade mal vier Prozent des Drittmittel-Volumens. Ein Beitrag zur Kriegsforschung? So will man das nicht sehen. Die Hochschulleitung teilt mit: "Die Forschungsanteile aus Sagitta verstehen wir nicht rein militärisch, sondern unter dem Aspekt des Dual Use, wo ein Einsatz sowohl im Zivilbereich also auch im militärischen Bereich möglich ist." Hauptzweck der Kooperation mit Cassidian sei die Ausbildung von Doktoranden.

Gute Forschung - böse Forschung?

Tatsächlich ist die Mehrzahl der Forschungsergebnisse sowohl zivil als auch militärisch nutzbar - Dual Use. Schon immer war die Kriegsindustrie ein wesentlicher Motor für technischen Fortschritt. Von der Schiffsschraube über das Düsenflugzeug bis zur Carbonfaser: Der leichte Werkstoff Carbon macht Autos leichter und hilft, Energie zu sparen, könnte aber auch Kampfdrohnen wendiger und fürs Radar unsichtbar machen. Und wer denkt schon daran, dass er sein Navi im Auto der Kriegsforschung verdankt?

Die wachsende Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln führt dazu, dass man Aufträge nimmt, egal, woher sie kommen. Für den Grünen-Politiker Sepp Dürr ist dieser Zustand nicht hinnehmbar. Der Staat müsse die Hochschulen besser finanzieren, um sie von Drittmitteln unabhängiger zu machen. "Ich möchte nicht, dass wir unseren Wohlstand Krieg und Elend in anderen Ländern verdanken", sagt er. Er spricht von einem Geflecht aus Rüstungsindustrie und Forschung, das sich über Bayern gelegt habe, und fordert Transparenz. "Die Hochschulen müssen ausweisen, für wen und an was sie forschen, wenn es keine gewichtigen Gründe dagegen gibt."

"Wir wollen eine kritische Auseinandersetzung"

Mehr Transparenz fordern auch Studenten. In Augsburg sind sie seit längerem alarmiert. Direkt neben ihrer Uni wächst der "Innovationspark" hoch, an dem sich Luftfahrt- und Rüstungsfirmen wie Eurocopter, MT Aerospace und Premium Aerotec beteiligen. "Die Friedensstadt Augsburg ist schon jetzt einer der Hauptstandorte der Rüstungsproduktion. Den wissenschaftlichen Nachwuchs soll die Universität liefern," sagt die Studentin Christine Kath.

Weil es in Augsburg offensichtlich ist, wie die Uni sich mit der Rüstungsindustrie verbündet, haben Studenten dort die "Initiative friedliche Uni Augsburg" gegründet und bemühen sich um die Verankerung einer Zivilklausel in der Grundordnung ihrer Uni - bisher ohne Erfolg. Uni-Präsidentin Sabine Doering-Manteuffel hat zwar Verständnis für ihre kritischen Fragen. Doch eine Zivilklausel lehnt sie ab. Die Unterscheidung "gute Forschung, böse Forschung" sei nicht so einfach zu treffen, weil die Grundlagenforschung vielen möglichen Anwendungen dienen könne.

Der Augsburger Friedensforscher Christoph Weller sagt, jeder müsse sich selbst fragen: Woher nehme ich Geld, woher nicht? Wenn aber wie in Augsburg die Industrie schicke Forschungsbauten vor den Campus stellt, mit Promotionen lockt und man sich im Einzelfall immer auf den Dual Use herausreden kann, sinkt die Hemmschwelle. "Dann nehmen sie alles an Aufträgen mit", befürchtet Dürr.

Die Idee einer Zivilklausel stammt aus der Zeit von Nachrüstungsdebatte und Friedensbewegung. An mehreren deutschen Hochschulen gibt es eine solche Selbstverpflichtung, auf Rüstungsaufträge zu verzichten, in Bayern bisher nicht. Neben den Augsburger Studenten haben sich auch die Passauer und Würzburger dafür ausgesprochen. Inzwischen hat sich auch ein landesweites "Bündnis für zivile Bildung und Wissenschaft" gegründet. Darin engagieren sich Gewerkschaftsmitglieder, Studenten und Mitarbeiter fast aller Hochschulen.

"Wir wollen eine kritische Auseinandersetzung über die gesellschaftliche Verantwortung von Bildungs- und Forschungseinrichtungen", sagt Daniel Gaittet, Studentenvertreter in Regensburg. Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle sagt, es sei zu begrüßen, wenn die Hochschulen Drittmittel bekämen. Ihre finanzielle Autonomie bedeute aber auch Verantwortung. Sie müssten selbst wissen, was sie vertreten könnten.

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