Rothenburg ob der Tauber:Frohe Weihnachten!

Dreißig Grad, der Himmel leuchtet wie in Fuerteventura. Dazu der Sommerhit: Es ist ein Ros' entsprungen. In Rothenburg ob der Tauber ist auch im Juni Advent. Ein Besuch in der Stadt, in der das Christkind niemals Pause hat.

Von Olaf Przybilla, Rothenburg ob der Tauber

Felicitas Höptner hat schon am Telefon so ein Lachen, das einem andeutet: Alles gut, ich hatte da schon ganz andere Fälle. Draußen hat es an diesem Morgen um die 25 Grad, Tendenz steigend. Der Wind ist lau, der Himmel über Franken würde auch Fuerteventura gut zu Gesicht stehen. Und was es auch immer ist, irgendwas sagt einem an diesem Vormittag: Zeit, Abenteuerliches zu tun. Etwas, was man an so einem Tag nicht macht, was sich von vornherein verbietet. Anruf also bei Felicitas Höptner, der Leiterin des Deutschen Weihnachtsmuseums in Rothenburg ob der Tauber.

Drei Stunden später am Eingang zum Weihnachtsdorf. "Ah, Sie sind das", sagt eine Frau an der Kasse. Es dauert einen Moment, bis die Museumschefin hinzustößt. Der Gast steht derweil im Weg, Teilnehmer einer Gruppe aus Fernost beginnen, sich dahinter aufzureihen. Die Wege sind eng im Weihnachtsdorf von Rothenburg, aber Felicitas Höptner, legere Kleidung, warmes Lachen, ist das gewöhnt. Sie beginnt ihre Einführung gleich an der schmalen Absperrung, die verhindern soll, dass alle auf einmal ins Haus schwappen im Winter. Im Frühling und Sommer? Bräuchte es die Sperren nicht zwingend, aber die Schilder drinnen, besonders vor dem turmhohen Baum, die braucht es schon. Sie belehren, dass man im sternenzeltüberwölbten Dorf und dort besonders an den neuralgischen Weihnachtsmarktpunkten grundsätzlich nicht fotografieren darf. Auf der Balustrade hoch überm Baum würde es einfach zu eng, könnte man Fotoshootings nicht unterbinden. Panikgefahr.

Nach Rothenburg, wo etwa 11 000 Einwohner registriert sind, 2500 von ihnen in der Altstadt, fallen bis zu zwei Millionen Touristen pro Jahr ein. Es kommen auch Deutsche, die aber in der Regel erst von Oktober an, dann eben, wenn wieder Weihnachten dräut. Im Frühling und im Sommer bevölkern Japaner, Amerikaner und in letzter Zeit auffällig viele Australier die Stadt, auf letzteres kann sich Felicitas Höptner auch keinen Reim machen, so ist eben der Trend. Zwei von drei Rothenburg-Besuchern, so wird geschätzt, verbringen einen Teil ihrer Zeit bei Käthe Wohlfahrt, dem Weihnachtsimperium aus Franken.

Menschen aus Übersee ist es egal, dass Sommer ist. Hauptsache Adventskitsch

Das Imperium zu übersehen, bedürfte es in Rothenburg einer Augenbinde. Eintritt vom Großraumparkplatz aus in die Altstadt: Käthe Wohlfahrt zur Rechten, Weihnachtsutensilien für Eilige, nur das Notwendigste. Im Stadtkern dann das Weihnachtsdorf, ein entkernter Häuserkomplex, 30 000 ausgesuchte Weihnachtsartikel. Im Bauch des Gebäudes geht es eine schmale Treppe hinauf ins Weihnachtsmuseum der Wohlfahrts. Gegenüber: ein Wohlfahrt-Fachgeschäft, ein Auszug aus dem Sortiment. Etwas weiter: Souvenirs von Wohlfahrt, um die Ecke ein Spielzeug-Laden von Wohlfahrt, etwas weiter speziell bayerische Souvenirs von Wohlfahrt. Insgesamt neun Filialen unterhalten die Wohlfahrts in Rothenburg, das ist ein Fachgeschäft auf 280 Altstadtbewohner.

Dass der Weihnachtsfachanbieter einer der wichtigsten Arbeitgeber in Rothenburg ist, versteht sich da von selbst. Und dass viele nicht zuletzt der Wohlfahrts wegen in die Stadt kommen, dürfte schwer zu bestreiten sein. Jedenfalls sieht es am Eingang des Weihnachtsdorfes nicht so aus, als würden da Passanten mit menschenunwürdigen Methoden gezwungen, sich bei mediterranen Bedingungen für den letzten Schrei auf dem Adventskalendermarkt zu interessieren, für die erzgebirgigsten Weihnachtspyramiden, das aktuelle Baumständersortiment oder neueste Entwicklungen beim Nussknackerdesign. Höptner lächelt. "Wir sind so vermessen zu behaupten, dass Rothenburg in der ersten Hälfte des Jahres maßgeblich auch wegen Wohlfahrt frequentiert wird", sagt sie. Weil es dem Menschen aus Übersee egal ist, wann er deutsche Tannenbaumgemütlichkeit ästimiert. Außerdem sind's ja nur noch ein paar Monate bis zum Fest.

30 000 Fachartikel

gibt es im Weihnachtsdorf: Nussknacker, Räuchermännchen, Weihnachtspyramiden, Schwibbögen, Spieldosen, Holzornamente und alles in großer Auswahl. Nur Lametta war früher mehr. Um das zu finden, muss man schon eine Verkäuferin um Hilfe bitten.

Felicitas Höptner hat inzwischen nach oben ins Museum gebeten, ins Allerheiligste könnte man sagen, wohin dieser Tage vor allem "unsere Hardcore-Weihnachtsfans" vorstoßen, wie sie es nennt. Anderen kann es passieren, dass sie sich absichern, ob auch wirklich keiner zuschaut, ehe sie sich bei "Es ist ein Ros' entsprungen" in die Geschichte des Christbaumschmucks unter besonderer Berücksichtigung der Engelfigur versenken. Auch die Begleitmusik verändert sich signifikant vom Erdgeschoss hinauf ins Museum. Unten, wo mehrere Tausend Besucher pro Tag nach dem ultimativen Schwibbogen stöbern, spielt eine Zither in der Dauerschleife. Es klingt etwa wie im "Dritten Mann", nur etwas lieblicher. Oben, wo sich offenbar vorwiegend die Connaisseure des Weihnachtswesens umtun, hat man sich für das übliche Liedersortiment zum Jahresende entschieden, sämtliche Klassiker am Stück.

Weihnachten jeden Tag? Ein Knochenjob, den manche nicht lange durchhalten

Warum unten nicht? Felicitas Höptner legt den Kopf zur Seite, ehe sie antwortet. Das sieht so aus, als würde sie gerade überlegen, ob man diesem Besucher die Wahrheit zumuten kann. Man versuche schon, sagt sie dann, die Verkäuferinnen unten zu schützen: "Das ist ein Knochenjob", jeden Tag Weihnachten, "ein ganz spezielles Publikum." Es habe Kolleginnen gegeben, die das nicht lange durchgehalten hätten. Das müsse man schon verstehen, sagt Höptner, und es jenen, die sich für Weihnachten am Stück entscheiden, das Leben so angenehm wie möglich machen. 30 Mitarbeiterinnen sind im Weihnachtsdorf mit angegliederten Museum tätig. Eine stammt aus Senegal, sie kümmert sich vor allem ums französischsprachige Publikum. Wie das so ist auf dem täglichen Weihnachtsrummel in westmittelfränkischer Fachwerkkulisse? "Alles gut", sagt sie. Es klingt nicht nur nach: mein Gott, ein Job eben.

Rothenburg ob der Tauber: Ein Schaukasten voller Engelchen zu Weihnachtsliedern in Dauerschleife? Advent für Fortgeschrittene im Obergeschoss des Museums.

Ein Schaukasten voller Engelchen zu Weihnachtsliedern in Dauerschleife? Advent für Fortgeschrittene im Obergeschoss des Museums.

Wie Dauerweihnachten nach Rothenburg kam, verrät das Museum nicht im Detail. Womöglich wäre das zu desillusionierend, schließlich ist man geneigt zu glauben, dass es da einen historischen Konnex gibt. Etwas, aus dem notwendigerweise folgt: Weihnachtskompetenz stammt aus Rothenburg. Weil das ja klar ist. Ist es nicht, das Ganze war wohl eher ein Zufall. Die Geschichte der Eheleute Wilhelm und Käthe Wohlfahrt begann in Sachsen, von dort aus brachte das Paar eine Spieldose nach Stuttgart mit. Wilhelm Wohlfahrt trat einen Job bei IBM an und als zum Weihnachtsfest 1963 Amerikaner zu Besuch kamen, wollte man den Gästen so eine Dose schenken. Stellte aber fest, dass es so was nicht gibt im Westen, jedenfalls nicht einzeln. Ein Händler verkaufte lediglich zehn Stück davon. Also ging eine der Dosen an die Gäste, den Rest versuchte Wohlfahrt, bei Soldaten in schwäbischen US-Kasernen loszuwerden. Mit ernüchterndem Erfolg: Wohlfahrt wurde arretiert, unerlaubter Haustürgeschäfte wegen. Eines aber merkte er sich: Interesse ist offenbar da. 1964 gründete das Paar in Herrenberg eine Weihnachtsfirma und wählte den Namen von Käthe Wohlfahrt dafür. Ihr Mann arbeitet vorerst weiter bei IBM.

Ein Hochzeitsbild mit Nussknacker macht den schönsten Tag noch schöner

1977 dann der Umzug nach Rothenburg, auch einer passenden Immobilie wegen. Fünf Mitarbeiter beschäftigten die Wohlfahrts in ihrem ganzjährig geöffneten Weihnachtsbasar, die Leute schlugen die Hände über dem Kopf zusammen angesichts des Geschäftsmodells. Der Laden aber lief: Zunächst kamen vorwiegend US-Soldaten aus den großen Kasernen in Ansbach, Fürth und Erlangen, die nicht wussten, ob sie zum Jahreswechsel noch in Europa sind, und also begannen, sich für die Lieben zu Hause einen schönen Vorrat an Weihnachtskrippen anzulegen. Zwei dieser Kasernen gibt es nicht mehr, braucht's aber auch nicht. Inzwischen steht Wohlfahrt im Standardprogramm für Europareisen. Beziehungsweise Rothenburg, was aber kaum voneinander zu trennen ist.

Warum besuchen Japaner, denen Weihnachten kaum etwas bedeuten dürfte, in ihrer kurzen Zeit in Europa ein Fachgeschäft für Baumschmuck? Nach fünf Stichproben gibt man es auf, eine Antwort darauf zu finden. Sie sagen es so nicht, auch in Rothenburg sind Japaner höfliche Menschen. Aber in den Augen sieht man die Frage: Was ist das denn für ein Komiker? Beim Rausgehen, zwei Stunden hat Felicitas Höptner durchs Weihnachtsareal geführt, schmiegt sich ein japanisches Hochzeitspaar an einen überlebensgroßen Nussknacker. Sie wirken sehr zufrieden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: