SPD-Mann in Niederbayern:Wahlkampf im Schatten eines Suizids

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Er ist schwul und evangelisch und in der SPD - und wurde dennoch im tiefschwarzen Niederbayern zum jüngsten Bürgermeister Deutschlands gewählt: Jetzt will Michael Adam weiter Karriere machen und die Nachfolge des toten Regener Landrats Heinz Wölfl antreten. Seine Chancen stehen gut.

Max Hägler

Wodka-Brause trinkt er also gern, der Schrecken der niederbayerischen CSU. Erst reißt Michael Adam das Ahoj-Beutelchen auf, schüttet sich das Brausepulver in den Mund - und gleich hinterher ein Stamperl Wodka. Sauer brennt es auf der Zunge, kurz auch ein wenig süß. "Komm, erzähl mir, was du willst, nur keine Lügen, nimm mich in die Arme und lass uns fliegen", tönt es aus den Lautsprechern der Foxi-Bar in einem Gewerbegebiet. Junge Männer in Karo-Hemden führen ihre Frauen beim Schwof durch das Tanzlokal, Modell Landhaus. Adam nickt hinüber zur Bar, wo der Toni steht, der ihm die Runde ausgegeben hat.

Michael Adam ist Deutschlands jüngster Bürgermeister: Jetzt will der 26-Jährige Landrat in Regen werden - als schwuler, evangelischer Sozialdemokrat in Niederbayern. (Foto: SEYBOLDT4MEDIA)

Die Musik mag er nicht, aber sonst ist es ein guter Abend für den SPD-Politiker und Landratskandidaten Adam. Wie es überhaupt gute Wochen zu sein scheinen. "Wir sind zuversichtlich, dass wir in die Stichwahl kommen am Sonntag", sagt er. Nicht nur ein Gefühl sei das, auch eine Umfrage der Uni Passau im Parteiauftrag habe das ergeben.

Stichwahl bei der Landratswahl im eigentlich tiefschwarzen niederbayerischen Kreis Regen. Da sei dann alles möglich, sogar die CSU zu schlagen. Adam ist wieder in seiner Rolle: der rote Revolutionär. Wie damals, 2008, als ihn die Menschen in Bodenmais zum Bürgermeister wählten, dem jüngsten Deutschlands. Der auch noch schwul, evangelisch und eben sozialdemokratisch ist. Mitten im Karohemden-Land, mitten im Bayerischen Wald. 26 Jahre ist er mittlerweile alt, immer noch sieht er ein wenig nach Milchbub aus, mit seinen kurzen Haaren und den festen Backen. Aber er will den nächsten Karriereschritt machen. Wobei er das nun wirklich nicht geplant hatte.

Ziemlich genau drei Monate ist es her, dass sich der bisherige Landrat des Kreises Regen, Heinz Wölfl, umgebracht hat, und damit eine Neuwahl nötig wurde. Nur einige Kilometer entfernt vom Foxi hatte er nachts sein Auto von der Straße gelenkt und war gegen einen Baum gekracht. Der CSU-Politiker wusste sich offenbar nicht mehr zu helfen angesichts von vielen hunderttausend Euro Schulden, die er in Casinos und an der Börse verzockt hatte. Im Landratsamt durchforsten seitdem Prüfungsbeamte alle Unterlagen, auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, es geht um die Frage: Hatte Wölfl seine Schuldner womöglich begünstigt, bei Baugenehmigungen etwa?

Für die CSU, die den Landkreis natürlich halten will, ist der Fall Wölfl neben dem Kandidaten Adam die zweite Herausforderung. Wer ein wenig herumfragt, in Viechtach, in Regen, in Bodenmais, hört Bedauern, aber es gibt auch Getuschel, das die CSU Stimmen kosten könnte: Sei diese oder jene Entscheidung im Landkreis womöglich durch Schmiergeld beeinflusst, fragen manche. Und: Jeder der aufmerksam war, habe vom Spieltrieb des Landrats gewusst. Wieso habe keiner Wölfl gebremst, etwa CSU-Kreischef und Landwirtschaftsminister Helmut Brunner? Oder CSU-Mann Ernst Hinsken, der die Gegend beinahe seit Parlamentsgründung im Bundestag vertritt und alles und jeden kennt? Wobei die beiden, wie beinahe die gesamte niederbayerische CSU-Prominenz, abstreiten, von den Zockereien gewusst zu haben.

Und dann sind da, als drittes Problem für die CSU, auch noch die vielen Abtrünnigen. In der kleinen Gemeinde Ruhmannsfelden ist beinahe der gesamte Ortsverband zu den Grünen gewechselt, der Bürgermeister aus Bayerisch Eisenstein ebenfalls. Das sorgte für Schlagzeilen in diesem Jahr. Und jetzt bei der Landratswahl tritt auch noch eine CSU-Renegatin an gegen den offiziellen CSU-Kandidaten Helmut Plenk.

Josefa Schmid heißt sie, auf ihren Flyern wirbt sie in Dirndl und mit Lebkuchenherz, heute Abend will sie ebenfalls junge Wähler in der Foxi-Bar kennenlernen, "ganz ungezwungen zum Smalltalk". Rock und Stiefel hat die 37-Jährige ausgesucht, die blonden Haare hängen offen über die Lederjacke. Vor Jahren hat Schmid, die ledig ist, wie die Leute hier gerne betonen, einmal an einem Casting für ein Männermagazin teilgenommen. Natürlich kursieren die Dessousfotos seit ihrer Kandidatur wieder. Und machen das Bild von ihr noch bunter. Sechs Berufe gibt sie an, unter anderem Mediatorin und Verwaltungswirtin. Zehn Instrumente kann sie spielen, unter anderem Zither und Gitarre.

Bereits vor drei Jahren hat sie ihre eigene Partei, die CSU geärgert, als sie mit Hilfe der Freien Wähler im hübschen Bayerwald-Ort Kollnburg Bürgermeisterin geworden ist. "Die ist eigensinnig", hört man spätestens seitdem aus den Reihen der CSU; Kreischef Brunner hat ihr jüngst mit Parteiausschluss gedroht. Für Schmid ist so etwas eher Ansporn, um weiter allein an diesem Lebenslauf zu basteln, der letztlich ganz auf die Politik fixiert ist. "Wählen S' mal a Frau", sagt sie, auf die Frage, wieso sie eine gute Kandidatin sei. Und: "Merkel kann ja auch Politik machen." Ja, ihre Antworten haben mitunter eine gewisse Leichtigkeit.

Josefa Schmid ist für den offiziellen CSU-Mann Helmut Plenk wohl das kleinste der drei Probleme. Auch er hält eine Stichwahl für wahrscheinlich: Plenk gegen Adam. Denn Adam ist eine Marke im Bayerischen Wald. Der SPD-Politiker kann mehr, als in der Disco souverän Wodka-Brause trinken, er beherrscht genauso das seriöse Alltagsgeschäft - dann übrigens im Janker: Gemeinsam mit seinem Tourismusmanager hat er die Übernachtungszahlen in Bodenmais wieder auf mehr als eine Million gehoben und zugleich die massive Überschuldung seines Ortes eindämmt. Die SPD hat ihn mittlerweile in den Landesvorstand gewählt.

Es ist Mittag, Plenk hat Senioren eingeladen in den Gasthof "Mooshof" in Zwiesel, auch Ordensschwestern sitzen in der Gaststube. Plenk in seinem Element. Er ist Familienvater und hauptamtlich Kreisgeschäftsführer des Sozialverbandes VdK, der Termin macht ihm Freude. Als die Kinder der Volkstanzgruppe auf die Bühne kommen, ist er der erste, der klatscht. Ist der Fall Wölfl eine Belastung für ihn? Nein, sagt er. Zum einen sei jeder fair mit dem Thema umgegangen im Wahlkampf. Und zum anderen sei es ja auch eine Personenwahl.

Plenk deutet auf seine Visitenkarten, die auf dem Tisch verteilt sind. Das Logo habe er deswegen "relativ klein" drucken lassen. Wobei seine Partei natürlich kräftig mithilft. Ministerpräsident Horst Seehofer kam vor zwei Wochen zu Besuch, es gab schöne Fotos mit dem Landratskandidaten Plenk. Und ein Geschenk. Den darbenden Vereinsoberen vom Ski-Gau versprach Seehofer flugs 600.00 Euro zusätzlich. Die Angst scheint so groß zu sein vor Adam und vielleicht auch den anderen drei Kandidaten.

Am Tisch im Mooshof beginnt eine der Damen zu schimpfen, als der Name Adam fällt. Unanständig sei der: Vom katholischen Ortspfarrer habe der sich einmal die Kommunion geben lassen - als Evangele! Und zu jung sei er sowieso. Immerhin: Über seine sexuelle Orientierung wird nicht laut gesprochen. Vielleicht trifft zu, was sie in der SPD hoffen: Auch im Bayerischen Wald würden die Menschen fernsehen, etwa die Lindenstraße mit dem schwulen Charakter Karsten Floeter. "Nicht alle kommen mit mir zurecht, aber die, die meine Arbeit kennen meist schon", glaubt Adam.

Eine andere Dame am Tisch, Ende 70, ist wohl eine von denen. Der Junge sei interessant, sagt sie, und dass es am Sonntag auf ein Duell zwischen ihm und Plenk hinauslaufen. Wobei sie sich auch völlig täuschen könne. Das habe Zwiesel gezeigt, der Ort hier. Es stimmt. Auch das war ein viel beachteter Wahlkampf: Die Entertainerin Gloria Gray wollte kandidieren, ein CSU-Abtrünniger trat an und die CSU selbst. Gewonnen hat schließlich einer, über den im Vorfeld wenig geschrieben worden, ein parteifreier Kandidat. Auch bei der Landratswahl gibt es einen Kandidaten der Freien Wähler, Heinrich Schmidt, und zudem noch den parteifreien Franz-Xaver Eckl. "Es ist spannend", sagt die alte Dame und trinkt einen Schluck Filterkaffee. Sie jedenfalls habe sich noch nicht entschieden.

© SZ vom 11.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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