Rosenheim:Raserprozess vorerst geplatzt

Tödliches Überholmanöver erst wieder vor Gericht, wenn beschuldigter Fahrer verhandlungsfähig ist

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Die Frau, die mit ihrem Auto an der Ampel stand hinter diesem roten Golf mit der Ulmer Nummer, einem dunklen BMW und einem weiteren dunklen Auto, hat noch beobachtet, wie diese drei richtig schnell weggezogen sind und wie einer dem anderen keinen Meter Straße schenken wollte. Sie hat ihre eigene kleine Tochter auf dem Rücksitz gewarnt: Du steigst mir nie in so ein Auto, aufgemotzt, tiefergelegt, laute Musik.

Die 20-jährige Frau, die als Zeugin vor ihr aussagte, war auch nicht eingestiegen bei so jemanden. Sie saß an dem Abend im vergangenen November bei ihrer besten Freundin im Auto, auf dem Rücksitz ihre kleine Schwester, 15 Jahre alt, alle drei auf dem Heimweg vom Pizzaessen. Entgegen kamen ihnen dann drei Autos, der rote Golf auf ihrer eigenen Spur, ein dunkler BMW direkt daneben.

Am Freitag sollte ein Urteil fallen, doch nun wird der Fall neu aufgerollt

Dann der Crash, die Freundin war sofort tot, die kleine Schwester starb in der Klinik. Das Amtsgericht Rosenheim hat im Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen den 23-jährigen BMW-Fahrer am Freitag zu keinem Urteil gefunden. Er erhält seinen Führerschen zurück, bis das Verfahren neu aufgerollt werden kann, gegen ihn und den Fahrer des Golf.

Der ist per Attest und Gutachten seit längerer Zeit verhandlungsunfähig geschrieben, weil auch er laut der Diagnose der Ärzte seelisch schwer unter dem Unfall leidet. Das Rosenheimer Schöffengericht hat daher sein Verfahren abgetrennt und erst einmal nur gegen den Fahrer des BMW verhandelt. Der hatte den überholenden Golf laut Anklage nicht einscheren lassen, so dass es zu dem tödlichen Frontalzusammenstoß mit dem Kleinwagen der jungen Frauen kommen musste. Dem Mann war nach dem Unfall vorerst der Führerschein entzogen worden, ein schwerer Eingriff gegen jemanden, der bis zu einem Urteil als unschuldig gelten muss. Daher die Eile des Amtsgerichts, das nun doch warten muss, bis der Golf-Fahrer verhandlungsfähig ist. Denn am Freitag, dem zweiten Verhandlungstag, an dem eigentlich schon das Urteil fallen sollte, kamen alle Prozessbeteiligten überein, dass es ohne Aussage des Golf-Fahrers nicht geht.

Der angeklagte BMW-Fahrer hatte auf Anraten seines Verteidigers bisher ohnehin geschwiegen und sich so lässig in seinen Stuhl gelehnt, als gehe ihn die Sache wenig an. Auch die bisherigen Zeugen hatten sich sehr zurückgehalten. Der Fahrer des hinteren Wagens, ebenfalls eines getunten BMW, hatte zunächst selbst als Beschuldigter gegolten und durfte daher die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Viel mehr sagten auch die beiden Beifahrer nicht, die wie die Fahrer zu einer größeren Clique Tuning-begeisterter Autonarren im Raum Rosenheim gehören und an dem Abend unterwegs zu einem Schnellimbiss in Kolbermoor waren. Man sei halt normal gefahren und habe einen ziemlich langsamen auswärtigen Golf überholt, der dann auf einmal von hinten herangerast sei. Die Beifahrerin im Golf kam wie der Fahrer von auswärts, beide hatten sich über eine Tuning-Gruppe im Internet verabredet und vorher nie gesehen. Als Zeugin wollte auch sie von Raserei oder von einem spontanen Rennen all der Autonarren nichts wissen. Plötzlich habe der Mann am Steuer beschleunigt und starren Blicks überholen wollen, trotz der Lichter, die ihnen auf der Rosenheimer Umgehungsstraße entgegenkamen. Er habe inzwischen einem Schadenersatz von seiner Versicherung für sie zugestimmt.

So viel Zurückhaltung ist der Mutter des toten Mädchens zu viel. "Unsere Familie ist kaputt", sagte sie am Freitag. Die 15-jährige Tochter ist tot, die 20-jährige körperlich und seelisch schwer von den fürchterlichen Verletzungen an Kopf, Gesicht und Beinen gezeichnet nach jenem Unfall, von dem sie selbst nichts mehr weiß. "Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat", sagte die Mutter, "und es ist keiner in der Lage, dass er sich erinnert! Das stinkt zum Himmel!" Der Prozess bewegt - wie auch schon der Unfall vor fast einem Jahr- sehr viele Menschen in der Region. Wann er neu beginnen kann, hängt von den Attesten des Golf-Fahrers ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: