Rosenheim:Polizisten unter Prügelverdacht

Der 15-Jährige ging gesund in die Rosenheimer Wiesn-Wache auf dem Herbstfest hinein und kam mit einer Platzwunde wieder heraus: Mehrere Beamte stehen unter Prügelverdacht. Sie sollen den Kopf des Jungen mehrfach gegen die Wand geschlagen haben. Die Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet und nimmt die Hinweise "sehr, sehr ernst".

Marlene Weiss

Der Zwischenfall soll sich am 3. September dieses Jahres beim Rosenheimer Herbstfest ereignet haben: Laut der Anzeige einer Frau aus Rosenheim wurde ihr Sohn gegen 22 Uhr von Polizisten auf die Rosenheimer Wiesn-Wache gebracht. Auf dem Weg zur Wache hätten die Beamten dem 15-Jährigen in Handschellen Tritte mit dem Knie versetzt, auf der Wache sei sein Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen worden. Presseberichten zufolge war der Auslöser ein Handgemenge, auf der Wache habe der Minderjährige Platzwunden und Zahnschäden davongetragen. Daran beteiligt sollen nicht nur untergeordnete Beamte gewesen sein, sondern auch der Leiter der Polizeiinspektion Rosenheim.

Justiz ermittelt gegen Polizeichef

Schwere Vorwürfe gegen die Rosenheimer Polizei: Ein 15-Jähriger soll auf der Wache verprügelt worden sein.

(Foto: dpa)

Wenn der 15-Jährige in Polizeigewahrsam tatsächlich solche Verletzungen erlitten hat, kann man davon ausgehen, dass auf der Wache nicht alles so gelaufen ist, wie es in der Dienstvorschrift steht. Das sieht offenbar auch die Staatsanwaltschaft Traunstein so: Mit den Ermittlungen wurden Polizeibeamte des Kriminalfachdezernats für Amtsdelikte in München beauftragt - nicht die Rosenheimer Polizisten, deren Kollegen die Misshandlung vorgeworfen wird.

Es ist schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass gegen die Rosenheimer Polizei schwere Vorwürfe erhoben werden. Erst in der vergangenen Woche hatte eine Familie aus Pfaffenhofen Polizisten der Polizeiinspektion Rosenheim beschuldigt, vier Mitglieder der unbescholtenen Familie in ihrem Wohnhaus grundlos misshandelt und verletzt zu haben (SZ vom 17.September). Die Familie hatte Anzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft Traunstein stellte das Ermittlungsverfahren jedoch vorläufig ein und erhob stattdessen Anklage gegen die Familie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Das zuständige Polizeipräsidium Oberbayern Süd will zu keinem der Vorfälle Stellung nehmen - man sei noch dabei, intern abzuklären, wie man damit umgehen werde, sagt ein Sprecher. Aber die Beschuldigungen erregen Aufsehen. Sogar der bayerische Staatsminister des Innern, Joachim Herrmann, äußerte sich dazu: "Es geht um einen herausgehobenen Beamten. Wir nehmen das ernst", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Der Mann wurde beurlaubt und von der Führung seiner Amtsgeschäfte beurlaubt. Falls sich die Vorwürfe bestätigen, werden wir die notwendigen Konsequenzen ziehen." Es werde nichts unter den Tisch gekehrt, sagte Herrmann.

Diesmal ermittelt die Staatsanwaltschaft also und lässt sich dabei, auch wegen der räumlichen Trennung, von den Münchner Spezialisten unterstützen - statt, wie ursprünglich geplant, Miesbacher Polizisten die Sache untersuchen zu lassen. "Wir nehmen den Vorfall sehr, sehr ernst", sagt auch Helmut Vordermayer, Leitender Oberstaatsanwalt in Traunstein. Die Ermittlungen würden mit Hochdruck geführt.

Einen Anlass, die Rosenheimer Polizei einer grundsätzlichen Prügelmentalität zu verdächtigen, sieht er jedoch nicht: Man könne von keiner Häufung sprechen, es handle sich um zwei sehr unterschiedliche Fälle. Er hält es nicht für einen Hinweis auf Vertuschung, dass Verfahren gegen Polizisten in der Mehrheit der Fälle eingestellt werden. "Wir Staatsanwälte haben auch einen Diensteid geleistet", sagt Vordermayer. "Wir haben aber auch die Pflicht, zugunsten von Beschuldigten zu ermitteln."

Menschenrechtsgruppen fordern seit langem, dass Ermittlungen in Sachen Polizeigewalt grundsätzlich von einem eigenen Ermittlerteam unabhängig von der Polizei geführt werden. In Großbritannien sei das so üblich, sagt Joachim Rahmann, der bei Amnesty International für die Aufdeckung von Polizeigewalt zuständig ist. "Für die Aufklärung muss es unabhängige Strukturen geben, da ist Deutschland weit zurück." Aber auch innerhalb von Deutschland seien die Strukturen in Bayern noch schlechter als in manchen anderen Bundesländern, wo bei derartigen Fällen grundsätzlich das Landeskriminalamt ermittle. "Aber das sind Abstufungen, zufrieden sind wir mit keiner davon", sagt Rahmann.

Für Bayern zählt ein Bericht von Amnesty International 385 Ermittlungsverfahren wegen polizeilicher Ausübung von Gewalt, Missbrauch oder Zwang für das Jahr 2009. Wie oft es zu einer Verurteilung kam, ist jedoch nicht bekannt; und auch nicht, wie hoch die Dunkelziffer ist - zumal den Betroffenen unter Umständen wie im Pfaffenhofener Fall eine Anzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte droht. In Nordrhein-Westfalen gab die Landesregierung im Juni auf eine Anfrage einer Abgeordneten an, dass im vergangenen Jahr 1434 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet worden seien. In 17 davon kam es zu einer Verurteilung, die meisten anderen Verfahren wurden eingestellt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: