Römerhaus im Allgäu:Bayerns größter Suchtklinik droht Aus

Suchtbekaempfung: Kneipen sollen auf Spielautomaten verzichten

Die glitzernde Welt der Spielautomten: Für Spielsüchtige bleibt am Ende nur die Therapie in der Klinik.

(Foto: dapd)

Im Freistaat haben seit 2010 vier Suchtkliniken schließen müssen. Nun trifft es das Römerhaus bei Kempten, eine bundesweit bekannte Fachklinik für Glücksspielsüchtige. Doch eine Hoffnung gibt es noch.

Von Dietrich Mittler, Sulzberg

Sebastians Hand könnte mit einem Stoß einen Holzscheit zerschmettern. Doch nun zittert sie leicht, bevor sie dumpf auf die Tischplatte knallt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen: "Je mehr man gewinnt, umso mehr will man verspielen", sagt er, "und je schneller man gewinnt, umso schneller rutscht man ab." In der Kampfsportart Taekwondo hatte es der 22-Jährige zum Schwarzen Gürtel gebracht, aber der Spielsucht stand er schutzlos gegenüber. "Dem Automaten bist du einfach unterworfen, ausgenutzt und hilflos", sagt er aufgewühlt - so, als würde er diese Botschaft am liebsten in die Welt hinausschreien.

Der junge Hüne aus Mittelfranken weiß, wie viel Glück er hatte, in der bundesweit bekannten Fachklinik Römerhaus nahe Kempten noch einen Therapieplatz zu bekommen. Dem Römerhaus, Bayerns größter Einrichtung zur stationären Behandlung von Spielsüchtigen, droht zum 31. März 2014 das Aus. Die in die Jahre gekommenen Bauten der Klinik müssen dringend den modernen Erfordernissen der Deutschen Rentenversicherung angepasst werden, damit weiterhin Patienten zugewiesen werden. Für die Renovierungsarbeiten sind sechs Millionen Euro veranschlagt, doch die sind mit den bisherigen Vergütungssätzen nicht zu erwirtschaften.

"Ich musste alles verlieren, um endlich zu begreifen"

Bei den Patienten - und Sebastian ist da nur einer von ihnen - löst das drohende Ende der Suchtklinik Betroffenheit aus. Auch Ehemalige melden sich bei Klinikleiter Gotthard Lehner. "Die bestürmen mich, ich solle mir was einfallen lassen", sagt er. Der 27-jährige Fabio eilte gar zurück in die Klinik, um Solidarität zu demonstrieren. Seine Sucht nach Sportwetten hatte ihn im Laufe von neun Jahren in die Depression getrieben - bis hin zu Suizidgedanken: 150.000 Euro Schulden, Ehe gescheitert und noch dazu eine hohe Bewährungsstrafe, weil er sich das Geld zum Zocken am Ende durch Betrug und Urkundenfälschung beschafft hatte. Damit wollte er den großen Gewinn erzwingen, der ihn von der Schuldenlast befreit. "Natürlich kam der nicht", sagt er, "ich musste alles verlieren, um endlich zu begreifen". Der Suchtklinik Römerhaus verdanke er, dass er in Kempten ein neues Leben beginnen konnte.

Solche Schicksale sind für Diakon Lehner Ansporn genug, den Kampf nicht aufzugeben. "Ich hoffe auf ein Wunder", sagt er. Vom Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband habe er das Signal erhalten: Werden die Baukosten fremdfinanziert, durch Spenden oder durch Zuschüsse, dann machen wir weiter. Doch die Uhr tickt. "Ich habe Ministerpräsident Horst Seehofer angeschrieben, habe das Gesundheits- und das Sozialministerium informiert", sagt Lehner. Gutmeinende Ministerielle versichern ihm, man werde "alles tun", um die Vorzeigeeinrichtung zu retten. Jetzt erst sagte ein Sprecher der neuen Gesundheitsministerin Melanie Huml: "Das Gesundheitsministerium hat großes Interesse daran, dass dieses Angebot bestehen bleibt."

Ursachen für das Kliniksterben

Die Nachricht vom drohenden Ende der Allgäuer Klinik wirkte auf die Branche wie ein Donnerschlag. "Im Vorfeld gab es dafür keine Anzeichen", gab die Deutsche Rentenversicherung Schwaben als Kostenträgerin ihrer Überraschung Ausdruck. Dabei ist der Fall symptomatisch, wie der Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe betont: "Seit 2010 wurden von unseren 20 Mitgliedseinrichtungen in Bayern vier stationäre Suchtklinken geschlossen." Auch wurden vier Tageskliniken zugemacht. "Ich weiß zudem von einer Suchtklinik für Alkoholkranke, wo am 6. Dezember der Schließungsbeschluss fallen soll", sagt Lehner als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes.

Die Ursachen für das Kliniksterben seien klar: Die Deutsche Rentenversicherung habe die Anforderungen stetig erhöht, doch die Vergütung sei nicht entsprechend gestiegen. "Hier gilt nach wie vor die Budgetierung, die der frühere Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer in den Neunzigerjahren eingeführt hatte", sagt Lehner.

Nach Ansicht von Konrad Landgraf, dem Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, ist es Zeit zu handeln. Die Zahl der pathologischen Spieler in Bayern wird auf 28.000 geschätzt, bei weiteren 34.000 Personen liege ein problematisches Spielverhalten vor. Im Vergleich dazu ist das Therapieangebot dünn - trotz ambulanter Angebote und trotz der 22 Beratungsstellen, die die Landesstelle bayernweit vorhält.

Wohin mit den Patienten?

Sollte das Schicksal der Suchtklinik Römerhaus besiegelt sein, so bliebe vielen Spielsüchtigen aus Bayern als Ausweg nur noch die Suchtklinik Münchwies im saarländischen Neunkirchen oder die Fachklinik Schweriner See in Mecklenburg-Vorpommern. "Im Saarland haben die eine Wartefrist von vier bis fünf Monaten", sagt Lehner.

In Bayern gibt es zwar weitere zwei Fachklinken, die Spieler therapieren, doch die Fachklinik Annabrunn bei Mühldorf am Inn betreut derzeit gerade einmal sieben pathologische Spieler. Bei der Fachklinik Furth im Wald sind es im Schnitt zehn glücksspielsüchtige Patienten. Diakon Lehner befürchtet, dass wertvolle therapeutische Kompetenz aus Bayern abfließt: "Mitarbeiter suchen sich neue Stellen. Das Team wird zerbrechen."

Thomas Beyer, langjähriger wirtschaftspolitischer Experte der Bayern-SPD und Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern, warnt indes: "Wenn die größte stationäre Einrichtung im Freistaat, die sich um Glücksspielsüchtige kümmert, ihren Betrieb einstellen muss, gefährdet das womöglich das staatliche Glücksspielmonopol."

Seit dem Jahr 2000 haben allein die Spielbanken - trotz ihrer Krise - 720 Millionen Euro an den bayerischen Staatshaushalt abgeführt, wie Erwin Horak, der Präsident der Staatlichen Lotterieverwaltung, mitteilt. Diakon Lehner hofft inständig, dass aus den enormen Mitteln, die sogenannte Soziallotterien einspielen, etwas für sein Haus abfällt. Die Spielsucht sei für die Betroffenen und ihre Angehörigen die Hölle. "Man geht am Ende nur noch spielen, um die Depression wegzukriegen", sagt der 22-jährige Sebastian. 17 Prozent der Spieler in Behandlung berichten ihren Therapeuten von Selbstmordversuchen.

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