Riesending:Höhlenrettung in kritischer Phase

Man Lies Injured 1,000 Meters Underground

Die Arbeiten im Dunklen in bis zu 1000 Metern Tiefe sind körperlich und psychisch extrem belastend: Höhlenforscher in der Riesending-Höhle.

(Foto: Getty Images)

1000 Meter senkrecht nach oben: Bei der Höhlenrettung von Johann W. steht ein schwerer Abschnitt bevor. Die Helfer müssen mit dem Schwerverletzten spiegelglatte Wände überwinden. Das zehrt an ihren Kräften.

Von Sarah Kanning, Berchtesgaden

Sie sind aus Italien angereist, aus der Schweiz, Österreich und Slowenien, haben Urlaub genommen oder ihren Arbeitgeber vertröstet: Seit einer Woche kämpfen mehr als 120 internationale Höhlenretter zusammen mit der Bergwacht Bayern dafür, den schwer verletzten Johann Westhauser aus der Riesending-Schachthöhle im Untersberg bei Berchtesgaden zu retten. Am Sonntag besuchte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann die zu einer "Einsatzzentrale Bergwacht" umfunktionierte Einsatzzentrale der Freiwilligen Feuerwehr Berchtesgaden, um den Helfern zu danken.

"Ihr Einsatz ist nicht selbstverständlich", sagte Herrmann. "Es ist eine überaus extreme Situation und zeigt eine großartige internationale Solidarität, dass Männer und Frauen persönliche Risiken eingehen, um einer anderen Person zu helfen." Bis Sonntagmittag schaffte das Rettungsteam mit Johann Westhauser in einer Trage ein großes Stück auf dem langen und beschwerlichen Weg: Sie erreichten das Rastlager Biwak 4.

Nach Biwak 4 geht es senkrecht nach oben

Drei weitere Biwaks liegen bis zur Erdoberfläche noch vor ihnen, jedes etwa eine Tagesetappe vom nächsten entfernt. Wie Klemens Reindl von der Bergwacht sagt, war der Streckenabschnitt der Langen Geraden "ein schwieriger Abschnitt, mit vielen Auf- und Abstiegen und tiefen Schächten, die überwunden werden mussten". Die Skizzen, auf denen es aussieht, als würde der Weg gerade und horizontal verlaufen, würden die wesentlichen Schwierigkeiten nicht zeigen: "Da geht es um die Ecke, auf und ab."

Bislang geht die Rettung ohne Zwischenfälle voran. Doch die Helfer haben jetzt ein schweres Stück vor sich: Nach Biwak 4 verläuft die Höhle senkrecht nach oben, etwa 1000 Meter - eine Strecke, in die der Münchner Fernsehturm dreimal hineinpassen würde. Johann Westhauser wird voraussichtlich an Flaschenzügen oder Pendeln hinaufgezogen - dazu könnten einige Kletterer als Gegengewichte die andere Seite der Wand hinunterlaufen. Wie ein Helfer vor einigen Tagen sagte, könnten die Retter erst ab Biwak 1 etwas aufatmen.

Auch aus diesem Grund nannte Herrmann eine Diskussion über die Kosten und den Kostenträger der Rettung zu früh: "Jetzt haben wir anderes zu tun - über die Kosten, und wer das zahlt, sprechen wir, wenn der Forscher gerettet ist." Der Minister nannte jede Zahl " Spekulation".

Die Arbeiten im Dunklen in bis zu 1000 Metern Tiefe sind körperlich und psychisch extrem belastend. Im Schacht müssen ständig Seile ausgewechselt werden, weil sie durch den Gebrauch von insgesamt 56 Rettern in der Höhle schnell verschleißen. "Es war eine lange Reise hinunter - und es ist eine lange Reise zurück", beschreibt Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger die Arbeit der vergangenen Tagen. "Sieben Tage zehren an den Kräften, aber wir tun alles, damit die Konzentration erhalten bleibt."

"Die haben sich richtig geschunden"

Die Reaktionen der Retter auf die tiefste und längste Höhle Deutschlands sind sehr unterschiedlich. So berichtete Andreas Langer von der österreichischen Höhlenrettung, dass seine Kollegen sich in der Höhle sehr wohlgefühlt hätten. "Sie sagten, das sei eine wunderschöne Höhle, je tiefer man hinunterkommt, desto schöner werde es."

Tatsächlich gilt die Riesending-Schachthöhle als Musterbeispiel für die Höhlenentstehung in den Nördlichen Kalkalpen. Riesige saalartige Hohlräume wechseln sich mit gischtspritzenden Canyons ab, manche Stellen sind so eng, dass man hindurchrobben muss.

Bei den Italienern werden die Teams jetzt komplett ausgetauscht. "Die haben sich richtig geschunden", sagte Roberto Corti von der italienischen Berg- und Höhlenrettung. Bis Ende des Einsatzes werden etwa hundert italienische Höhlenretter dabei gewesen sein. "Dieser Einsatz muss international sein", sagte Corti. Wenn man die Komplexität und vor allem die Tiefe betrachte, müssten unbedingt die allerbesten Höhlenkletterer ran. Und davon gebe es eben wenige - und noch weniger Retter.

Der Höhlenforscher Johann Westhauser ist selbst Höhlenretter. Er kennt die Höhle gut, weil er einst einer der ersten war, der sie erkundete. Er weiß, was auf ihn zukommt und ist nach Angaben der Bergwacht weiter stabil. Mindestens ein Arzt ist ständig bei ihm, momentan ein österreichischer. Ein slowenischer Arzt war am Sonntag mit einem Analysegerät zur Überwachung der Vitalfunktionen in die Höhle unterwegs. Denn der 52 Jahre alte Höhlenforscher hat bei dem Steinschlag am Pfingstsonntag ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und müsste eigentlich seit einer Woche auf der Intensivstation liegen.

Daher soll Johann Westhauser nun auch noch einmal in eine andere Trage umgebettet werden. Weil Vakuumtragen zu voluminös wären, wird er in eine eingeschäumte Trage gebettet, deren Schaum aushärtet und ideale Stabilisierung bietet. Denn gerade der Hals des Verletzten soll auf keinen Fall bewegt werden. Johann Westhauser wird den Weg nach oben in Bewegungslosigkeit durchstehen müssen, Zentimeter für Zentimeter, in völliger Dunkelheit.

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