Rettung vor dem Konzentrationslager:Karl Valentins Heldentat

Rettung vor dem Konzentrationslager: Kein Nazi, aber von Nazis anfangs verehrt: Karl Valentin

Kein Nazi, aber von Nazis anfangs verehrt: Karl Valentin

(Foto: Scherl)

Wie funktionierte der Nationalsozialismus am Stammtisch? Wie kontrollierten die Ortsfunktionäre ihre Parteigenossen? Und wie mächtig waren NSDAP-Bürgermeister? Ein Historiker beantwortet diese Fragen am Beispiel von Karl Valentin und beschreibt, wie der Komiker seinen ungeliebten Schwiegersohn aus dem KZ befreite.

Von Rudolf Neumaier

Sommer 1935 in Aufhausen. Ein sehr braunes Dorf südlich von Regensburg. Im Gegensatz zur übrigen Oberpfalz, wo im März 1933 noch überwiegend die Bayerische Volkspartei gewählt wurde, hat hier klar die NSDAP gewonnen. Karl Valentins Tochter lebt hier, aber der Spaßmacher aus München meidet das Kaff. Bornierte Menschen. Sie haben Hitler gewählt. Doch wenn sie sich von einem aus dem Dorf hintergangen fühlen, dann entwickeln sie so etwas wie Rechtsempfinden. Und nun soll der Bürgermeister in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Es ist ein Dorfgerücht. Und wo werden solche Gerüchte am hitzigsten besprochen? Am Stammtisch.

Im August 1935 rückt die Kriminalpolizei an und bringt vier Männer aus dem Dorf nach Dachau. Männer, die einmal selbst bei der SA waren.

Nazis auf dem Dorf, das ist ein Kapitel, das die Historiker noch nicht recht ausführlich beleuchtet haben. Wie funktionierte der Nationalsozialismus am Stammtisch? Wie kontrollierten die Ortsfunktionäre ihre Parteigenossen? Wie mächtig waren NSDAP-Bürgermeister, wie willkürlich konnten sie handeln?

Es gibt Überblicksdarstellungen, in denen all das theoretisch beantwortet wird. Doch so fesselnde Mikrostudien wie der Beitrag von Josef Memminger im druckfrischen Band 151 der Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg sind selten. Memminger, der an der Uni Regensburg Geschichtslehrer ausbildet, führt unter dem langen Titel "Aufhausener Affären oder: Hat Karl Valentin seinen Schwiegersohn aus dem KZ geholt?" vor, wie wenig Platz nötig ist, um eine scharfe Skizze von einem Obernazi und seinem Provinznest zu entwerfen - nicht einmal 30 Seiten. Es ist einer von 14 lesenswerten Aufsätzen im gewichtigsten Geschichtsorgan der Oberpfalz.

Im Mittelpunkt steht der Bürgermeister Franz Xaver Froschhammer. In seiner herausragenden Stellung als NSDAP-Stützpunktleiter und ehrenamtliches Gemeindeoberhaupt trumpfte er offenbar wie ein kleiner Potentat auf. Zum Missbehagen seiner Volks- und Parteigenossen.

Bürgermeister und eifriger Denunziant

Mancher Aufhauser, der den Nationalsozialismus schon lange vor 1933 unterstützt hatte - wie Karl Valentins Eidam Ludwig Freilinger -, kehrte der Partei nun den Rücken. Nachts beim Bier fielen erst kritische, ja beleidigende Worte, dann setzte es Prügel - gegen die Froschhammer-Leute.

Der Bürgermeister glaubte, das kaum tausend Einwohner zählende Dorf durch Denunziationen an die Kreisleitung im Griff zu behalten. Er schrieb Bericht um Bericht, oft nahm er Geistliche aufs Korn. Pikanterweise wirkte in dieser Zeit auch vorübergehend der Benediktinerpater Bernhard Strasser in Aufhausen, Bruder des NS-internen Hitler-Rivalen Gregor Strasser, den die Gestapo im Juni 1934 erschoss. Der Mönch floh ins Ausland.

"Nationalsozialistische Linientreue", schreibt Memminger, "vermischte sich oft mit persönlichen Motiven." Der eifrige Denunziant Froschhammer war eine Zeit lang recht erfolgreich. Vier Aufhauser landeten in Dachau, unter ihnen sein einstiger Mitstreiter Freilinger, der ihm zu präpotent geworden war. Froschhammer entblödete sich nicht, Karl Valentin einen Brief zu schreiben. Valentin solle doch, da Freilingers "Einlieferung in das Konzentrationslager" bevorstehe, seine Tochter und Freilingers "alte Eltern, die diesen Schmerz kaum fassen können", finanziell unterstützen. Und tatsächlich, Valentin erhöhte die Zuwendungen von da an.

Ein Wunsch für die absurde Komik

Doch nicht einmal ein halbes Jahr später kam Freilinger wieder frei, drei Monate vor den drei anderen Inhaftierten. Was der Historiker Memminger auf die Fürsprache von Freilingers Schwiegervater zurückführt. Karl Valentin war im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn nie Hitler-Anhänger, die Nazis schätzten seine absurde Komik trotzdem.

Als er im Dezember 1935 in Berlin spielte, soll der anwesende SS-Führer Heinrich Himmler so begeistert gewesen sein, dass er dem Komiker einen Wunsch erfüllen wollte. So schilderte es Valentins Tochter später. Demnach hatte sich Karl Valentin an jenem Abend seiner Tochter zuliebe für die Freilassung des Schwiegersohnes starkgemacht, den er geringschätzte. Der habe nicht Hitler, sondern nur den Bürgermeister kritisiert, versicherte der Komiker Himmler.

Freilinger fiel nach seiner Freilassung 1936 nicht mehr als Nazi-Kritiker auf. Franz Xaver Froschhammer aber wurde ein Jahr darauf wegen Untreue im Amt suspendiert. "Der Denunziant stolperte selbst über eine Denunziation", schreibt Josef Memminger.

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