Regensburg:Wie im Wohnzimmer

138 Familienstützpunkte gibt es in Bayern, sie sind vor allem für jene da, denen das soziale Netz fehlt. In Regensburg etwa kommen Flüchtlingsfrauen mit ihren Kindern, sie lernen Deutsch und tauschen sich aus

Von Anna Günther, Regensburg

Felina kommt drei Mal in der Woche in die Hemauerstraße. "Marley braucht soziale Kontakte - und ich brauche die erst recht." Felina blickt lachend in die Runde. Am Tisch sitzen fünf Frauen, vor ihnen stehen Kaffee und Tee, Brezen und Obst. Sohn Marley, 2, spielt mit anderen Buben. Amar, mit neun Monaten der Jüngste, sitzt neben seiner Mutter Shukrie im Hochstuhl, patscht mit den Händen aufs Tablett und schäkert. Die Frauen duzen sich, sie kommen jede Woche her, sprechen übers Stillen, Schwangerschafts-Zipperlein, die Kinder, den Alltag. Der Tisch könnte überall stehen, in einem Wohnzimmer, in einem Garten. Die Gespräche wären die gleichen. "Man duzt sich hier, wie in der Familie auch", sagt Felina.

Regensburg: Felina (links) und Shukrie singen in der musischen Frühförderung, die Kinder tollen herum und üben unbemerkt Sprache, Motorik und Koordination.

Felina (links) und Shukrie singen in der musischen Frühförderung, die Kinder tollen herum und üben unbemerkt Sprache, Motorik und Koordination.

(Foto: Anna Günther)

Der Tisch steht im Familienzentrum der Evangelischen Jugendsozialarbeit (EJSA) in Regensburg. "Der Stützpunkt soll Wohnzimmer sein", sagt die Leiterin Sabine Wunderlich. Familienstützpunkt nennt das Sozialministerium diese Häuser, 138 gibt es derzeit in Bayern, die von der Mutter-Kind-Gruppe über Sprachkurse und Familienberatung bis zur offenen Jugendarbeit vieles anbieten. Und die früh genug helfen oder eingreifen sollen, damit Situationen nicht eskalieren. Zehn Stützpunkte gibt es in Regensburg, der der EJSA kümmert sich seit neun Jahren neben der Jugendsozialarbeit auch um die Jüngsten, um Väter, Mütter und Geschwisterkinder. Seit 28 Jahren arbeitet Wunderlich für die EJSA. In der Jugendarbeit habe sie sich oft gewünscht, früher ansetzen zu können, um Problemen vorbeugen zu können - und nicht erst einzugreifen, wenn es schwierig wurde.

Regensburg: Tiar (vorne) und Falmata spielen Alltagssituationen nach.

Tiar (vorne) und Falmata spielen Alltagssituationen nach.

(Foto: Anna Günther)

Ein Schwerpunkt aber ist die Integration. "Wir ersetzen das soziale Netz, das die Frauen nicht haben", sagt Wunderlich, 55. Sie meint nicht mehr. Das EJSA-Haus steht in der Nähe des Hauptbahnhofs, die Gleise teilen Kasernen- und Ostenviertel. Traditionell leben dort viele Migranten. Seit 2015 kamen etwa 1000 Flüchtlinge dazu, die in der Erstaufnahmeeinrichtung und den Gemeinschaftsunterkünften leben. Mit der Heimat ließen sie Freunde und Familie zurück, kennen weder die Kultur noch das Gesundheitssystem Bayerns. Dort will der Familienstützpunkt ansetzen, Wunderlich und ihre beiden Kolleginnen erklären den Müttern - Männer dürfen kommen, aber eigentlich wollen die Frauen unter sich bleiben - Sitten und Formulare, helfen bei Anträgen, oder gehen mit zum Arzt. Eine Hebamme kümmert sich um Schwangere in der Erstaufnahmeeinrichtung. Im Familienzentrum kann sie die jungen Mütter nach der Geburt begleiten. Sabine Wunderlich und ihre Kolleginnen wollen Vertrauen aufbauen, damit Mütter oder Väter Hilfe auch annehmen, wenn es knirscht. Die Kinder profitieren besonders, etwa in der Gruppe, die auf den Kindergarten vorbereitet.

Die Stadt bezahlt 80 Prozent der Personalkosten, den Rest übernimmt ein Förderverein. 50 Familien nutzen das Angebot. Die Frauen zahlen zehn Euro im Monat, dafür können sie mit den Kindern zum Frühstück mit musikalischer Spielgruppe kommen, zum Innen-Spielplatz und zur Spielgruppe in der Muttersprache. Wer sich das nicht leisten kann, bekommt Hilfe vom Bund. "Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung, die zehn Euro übernimmt dann der Staat", sagt Wunderlich. Besonders begehrt ist der Sprachkurs, eine pensionierte Grundschulrektorin bringt Müttern Deutsch bei. Geübt wird beim Frühstück. Auch Shukrie fragt danach, sie ist an diesem Morgen zum ersten Mal dabei. Shukrie kam aus Albanien nach Regensburg, der Mann arbeitet, die Familie blieb zurück. "Wenn ich den ganzen Tag mit den Kindern in der Wohnung sitze, drehe ich durch im Kopf", sagt sie und wiegt Baby Amar sanft. Bruder Tiar, 2, spielt an der Puppenküche. Felina drückte Shukrie am Spielplatz den Flyer in die Hand und nahm sie gleich mit. Felina wollte sich engagieren ohne Marley in die Krippe zu geben. Im EJSA-Haus profitieren die Kinder von Singspielchen und Turnübungen, die Mütter von den Gesprächen. Aneta isst an diesem Morgen leise, bejubelt von den anderen Müttern. Ihre Tochter Joana, 2, spielt derweil alleine. Endlich. Ohne nach Aneta zu rufen. Zeit wird's, finden die anderen Frauen. Aneta ist schwanger. Wie wird die sensible Joana aufs Baby reagieren? Die Frauen sprechen Aneta Mut zu. Ihre Familie ist in Rumänien, aber allein ist Aneta nicht.

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