Regensburg:Tod im Treppenhaus

Drei Wochen liegt es nun zurück: Mit 13 Polizeikugeln wurde ein Student in Regensburg erschossen. Was bleibt, sind Fragen - und die Forderung nach Aufklärung.

Max Hägler

Die grauen Turnschuhe, Marke Victory, stehen noch vor der Tür im ersten Stock. Ganz so, als ob Tennessee Eisenberg irgendwann wieder aus der Tür kommen könnte, in die Schuhe schlüpfen würde. Doch Tennessee Eisenberg ist tot.

Regensburg, Student, Polizei, dpa

Warten auf das ballistische Gutachten - die Polizei hat vor drei Wochen einen Studenten in Regensburg erschossen.

(Foto: Foto: dpa)

Wohl nur wenige Augenblicke nachdem er das letzte Mal vor die Tür trat - drei Wochen ist das jetzt her - trafen ihn vermutlich 13 Polizeikugeln. Sechs in die Arme und Beine, sechs in den Rumpf, davon eine ins Herz. Die Ärzte konnten nichts mehr tun. Am 30. April um zwölf Uhr starb der 24-Jährige, eine Stunde nach dieser Schießerei.

Immer wieder war Benedict Eisenberg seither in dem Treppenhaus. Eigentlich schreibt er gerade Abitur. Aber der Ort lässt ihn nicht los. "Was ist hier passiert, wieso musste mein Bruder sterben", fragt er, während er wieder einmal Zentimeter für Zentimeter des Putzes mustert. Die Einschusslöcher in den hölzernen Treppenstufen. Die Blutspritzer, die rechts neben der Haustür im Erdgeschoss auf Armhöhe einen Bogen beschreiben. All das, was er von dem tragischen Vorfall zu hören bekommt, passt nach Benedicts Einschätzung "so gar nicht" zum Charakter seines Bruders.

Tennessees Mitbewohner hatte gegen 10.45 Uhr von einem gut einhundert Meter entfernt liegenden Sonnenstudio aus die Polizei gerufen. "Der Mann teilte dem Beamten mit, dass er Hilfe benötige, da ihn sein Mitbewohner mit einem Messer bedroht habe", heißt es im Polizeibericht.

Das Messer in der Hand

Als die Beamten ankamen, sei Eisenberg in der Wohnungstür gestanden, mit einem Messer in der rechten Hand, berichtet der leitende Staatsanwalt Günther Ruckdäschel. Mehrmals sei Tennessee aufgefordert worden, das Messer hinzulegen. Aber der junge Mann habe gesagt: "Dann erschießt mich doch." Er sei immer weiter gegangen, habe die Beamten über eine Treppe hinuntergedrängt.

Die Polizisten setzten Pfefferspray ein, es sei ohne Wirkung geblieben. Ein Polizist verfehlte mit seinem Schlagstock das Messer. Als dieser Beamte "in die Enge getrieben" an der Wand stand, hätten seine Kollegen geschossen. "Es war wohl Notwehr", sagt Ruckdäschel.

Das ballistische Gutachten liegt noch nicht vor, das Landeskriminalamt soll die Reihenfolge und den Standort, von wo aus die Schüsse abgegeben wurden, klären. In den letzten Treppenstufen finden sich Einschusslöcher. Aber auch in Kopfhöhe in einer abgewandten Fensterscheibe - ganz so, als seien die Kugeln wie wild durchs Treppenhaus geflogen.

Insgesamt acht Polizisten befanden sich im Treppenhaus. Ihr Gegner: Ein 70 Kilogramm leichter, 184 Zentimeter großer Musikstudent. Am Abend zuvor hatte Benedict Eisenberg noch seinen Bruder besucht. Tennessee habe im Bett gelegen, sich schwach gefühlt, seit Wochen habe er sich in einer psychisch labilen Phase befunden. Es ging zwar aufwärts, am Dienstag erst hatte er beschlossen, zur Schauspielerei zu wechseln, hatte eine neue Perspektive gefunden, sagt Tennessees Bruder. "Körperlich hatte er sich aber nicht erholt", sagt Benedict Eisenberg. Sagt auch Tennessees Freundin.

Sie können sich nicht vorstellen, dass Tennessee seinen Mitbewohner oder Polizisten mit einem Messer angegriffen hat. Ein sehr direkter Mensch sei er gewesen, sagt sein Bruder, aber einer, der stets konstruktiv gehandelt habe.

Horst Baranski hat Tennessee immer wieder am Schultheater erlebt. "Wenn er eine Meinung hatte, dann hat er stets versucht, die Leute zu überzeugen", sagt der Lehrer. Am 20. April sah er Tennessee zum letzten Mal, beim Treffen der Theatergruppe. "Man sieht sich, hat Tennessee gesagt, als er gegangen ist", erinnert sich Baranski. Auch er kann sich nicht vorstellen, dass Tennessee ausgerastet ist.

Lückenlose Aufklärung gefordert

Am vergangenen Wochenende sammelten sich Studenten und Lehrer am Regensburger Dom und forderten eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Die Grünen im Landtag erwarten, dass Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Landespolizeichef Waldemar Kindler im Innenausschuss über den Hergang und die Einsatztaktik berichten.

Der SPD-Abgeordneten Peter-Paul Gantzer will exaktere Informationen über die verwendete Munition. Bereits vor neun Jahren hatte der SPD-Politiker nach einer Polizeiaktion, die tödlich verlief, den Einsatz einer neuen Munition mit "hoher mannstoppender Wirkung" und geringstmöglichen körperlichen Schäden gefordert. "Im Innenausschuss hieß es damals, die neuen Deformationsgeschosse hätten diese gewünschte Wirkung", sagt Gantzer.

Der Regensburger Fall und ein ähnlicher Fall in Bayreuth vor einiger Zeit zeigten jedoch, dass die Munition offenbar nicht funktioniere. "Wenn das deshalb schief gelaufen ist, dann ist das Ministerium schuld", sagt Gantzer, der als Luftwaffenoffizier über Sachkunde in Waffen und Munition verfügt.

Für Benedict Eisenberg ist das nicht die entscheidende Frage. "Es geht doch darum, dass Polizisten Situationen und Menschen richtig einschätzen." Tennessee wollte und konnte gar niemanden etwas zuleide tun, glaubt sein Bruder.

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