Reaktionen auf Seehofers Rücktritt:"Jetzt samma nimma Ministerpräsident"

Horst Seehofer hat in fast zehn Jahren sehr unterschiedliche Eindrücke hinterlassen. Die einen fanden ihn einfühlsam, andere wankelmütig - und einer kreierte sogar eine eigene Pizza für ihn.

Von SZ-Autoren

Fast zehn Jahre war Horst Seehofer Bayerns Ministerpräsident. Am Dienstag ist er vom Amt zurückgetreten. In all den Jahren hat er viele Menschen getroffen, politisch und privat. Einige von ihnen erinnern sich.

Pancrazio Catizone, 63, Seehofers ehemaliger Lieblingsitaliener in seiner Heimat Gerolfing: Das erste Mal, als ich mit Seehofer sprach, ging es um Wein. Er saß mit noch ein paar anderen Politikern um halb zwölf Uhr nachts bei mir im Restaurant, weil sie nach einem Starkbierfest noch eine Brotzeit wollten. Ich kam gerade aus Italien und hatte Wein mitgebracht, eigentlich für mich persönlich. "Wollen Sie einen Wein ohne Mehrwertsteuer?", fragte ich. Seehofer lachte und als er nach zwei Wochen wiederkam, wollte er wieder "den Wein ohne Mehrwertsteuer". Den konnte ich ihm nicht anbieten, dafür kreierte ich für ihn die Linguine à la Horst und die Pizza Presidente Bavarese. In der Mitte ist Ananas und am Rand scharfe Salami.

Margarete Bause, 59, Bundestagsabgeordnete und frühere Fraktionschefin der Grünen im Landtag: Unvergesslich ist mir und wohl auch Seehofer unsere gemeinsame China-Reise 2014. Ich besuchte den chinesischen Künstler und Dissidenten Ai Weiwei, ohne es mit Seehofer abzusprechen. Noch nie habe ich Seehofer so beleidigt und eingeschnappt erlebt. Die Bilder von meinem Besuch liefen Sonntagnacht. Montagmorgen beim Frühstück in unserem Hotel rauschte Seehofer mit seiner Entourage an mir vorbei, bemüht, mich mit keinem Blick zu würdigen. Nie wieder hat er mich auf eine Reise mitgenommen. In der Öffentlichkeit meinte er, mich zur Ordnung rufen zu müssen, privat aber hat er mit mir nie darüber geredet. Die Größe hat er nicht gehabt. Jetzt folgt er mir ja nach Berlin. Der Trennungsschmerz war wohl zu groß. Es würde mich freuen, wenn wir mal wieder zusammen reisen, vielleicht im Zug von Berlin nach Bayern.

Stefan Winkelmeyr, 83, Ortshistoriker von Gerolfing und Grundschulrektor von Seehofers Kindern: Seehofer hat im Ort schon für viele Sensationen gesorgt. Etwa mit der Geschichte vom Kalb. Da saß er in einer Wirtschaft, die auch ein Bauernhof ist, und hat mitbekommen, dass gleich ein Kalb geboren wird. Er ist einfach mitgegangen in den Stall und hat zugeschaut. Geschockt war er nicht, es war eher eine Gaudi. "Gut habt ihr's gmacht", hat er danach gesagt und am nächsten Tag stand in der Lokalzeitung: "Seehofer hilft Kalb auf die Welt", dabei hat er nur zugesehen. Seehofer ist einer von uns, hatte seinen Kopf nie in den Wolken. Bei der Fronleichnamsprozession ist er immer offen mitgegangen. Seine Bodyguards mussten auf dem Gehweg nebenherlaufen. Besonders sicher war das wohl nicht. Dass Seehofer daheim ist, merken wir hier, wenn mehr Polizei durch den Ort fährt. Dann sagen die Leute bei uns: "Der Seehofer ist wieder da." Als er 2008 gewählt wurde hieß es hier: "Mir san Ministerpräsident." Jetzt samma nimma Ministerpräsident, jetzt samma wieder Minister. Ist auch gut.

Christian Ude, 70, von 1993 bis 2014 SPD-OB in München und Seehofers Gegenkandidat 2013: Irgendwo in Afrika. Weit drunten im Süden. Im Bus nimmt ein bayerischer Familienvater neben mir Platz. Es sei gar nicht so einfach, erzählt er, die eigenen Kinder für Politik zu begeistern. So hätten seine Kinder eine Versammlung des bayerischen Ministerpräsidenten besucht und ganz beruhigt vernommen, dass es mit ihm kein G 8 geben werde. Kurz nach der Wahl habe er dann zur Überraschung aller Lehrer, Eltern und Schüler das achtjährige Gymnasium eingeführt. Unmöglich. Diese Begegnung fiel mir im Landtagswahlkampf wieder ein. Jetzt sei es höchste Zeit, dachte ich mir, diesen unüberlegten Schnellschuss rückgängig zu machen. Also kündigte ich in einem dpa-Interview die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium an. Doch die Bayern-SPD rebellierte: Das komme nicht in Frage, höchstens ein Wahlrecht zwischen acht und neun Jahren. In die Verlegenheit, so etwas Kompliziertes realisieren zu müssen, kam ich bekanntlich nicht. Dafür konnte der verärgerte Vater, der mir bei der Busfahrt zur Olympiabewerbung im südafrikanischen Durban mit seinen Familiengeschichten die Zeit vertrieben hatte, ein paar Jahre später die Rückkehr zum G 9 zum Entsetzen des Kultusministers anordnen. Es war Horst Seehofer.

Tanja Schweiger, 39, Regensburger Landrätin der Freien Wähler: Ich erinnere mich, als Horst Seehofer am CSU-Parteitag bei uns im Landkreis war. Im Eingangsbereich haben wir gegen Flutpolder demonstriert. Er hat sich kurz die Problematik angehört, dann musste er wieder zurück, aber nicht ohne zu sagen: "Kommt zu mir in die Staatskanzlei und wir reden in Ruhe." Drei Monate später hat er uns in München empfangen, und sich richtig Zeit genommen. Irgendwie konnte er auch nicht aus, aber trotzdem: Das ist es, was ich an ihm schätze. Er hat sich die Sorgen der Menschen zumindest ernsthaft angehört, war dabei völlig unkompliziert und sehr emphatisch und hat sein Möglichstes getan. Und ich mag, dass er auch immer ein wenig den Schalk im Nacken hat. Vor sechs Jahren, beim Sommerempfang des Landtags, hatte mein Mann Hubert Aiwanger ein Gipsbein, und ich war hochschwanger. Seehofer hat uns angeschaut und gesagt: "Mei, ihr g'fallts mir." Er hat das so spitzbübisch mitfühlend gesagt, wie ein väterlicher Fürsorger. Für mich war er ein richtiger Landesvater.

Martin Simon, 32, Sprecher des Freundeskreises Riedberger Horn: Ich habe Herrn Seehofer dreimal getroffen. Das erste Mal war 2017 bei der Eröffnung der Allgäuer Festwoche in Kempten. Da hat unser Freundeskreis gegen die Skischaukel am Riedberger Horn demonstriert. Seehofer ist auf uns zugekommen und hat uns ganz landesväterlich in die Staatskanzlei eingeladen. Für das Gespräch dort hat er sich richtig viel Zeit genommen, er hat viel zugehört, ich hatte das Gefühl, er versteht uns. Er hat uns dann zu einem weiteren Gespräch eingeladen, zusammen mit Befürwortern des Projekts, Ministern, Abgeordneten und anderen Leuten. Das war eine riesige Runde, für uns ist nichts herausgekommen, die Staatsregierung hat den Weg frei gemacht für die Skischaukel. Wenn Seehofer jetzt nach Berlin wechselt, hoffe ich, dass er nicht vergisst, dass bei uns in Bayern viel auf dem Spiel steht. Persönlich bleibt er mir in guter Erinnerung, weil er uns als Gegner der Skischaukel ernst genommen hat. Auch wenn es in der Sache nichts gebracht hat.

Ein "sehr wankelmütiger Ministerpräsident"

Paul Simböck, 55, Flutopfer aus Niederbayern: Im Juni 2016 hat die Flut mein Haus zerstört. Drei Tage später ist Seehofer in Gummistiefeln durch Simbach gestapft. Ich wollte von ihm eine Zusage, dass wir Hilfe kriegen - und zwar vor den Kameras. Er hat mich an den Schultern gepackt und gesagt: "Sie schauen nicht so aus, als ob Sie solche Dinge nicht meistern können." Er war ehrlich betroffen. Und er hat tatsächlich dafür gesorgt, den Menschen in Simbach turboschnell zu helfen. Drei Tage nach seinem Besuch hat der Landtag ein Hilfsprogramm beschlossen und zügig umgesetzt. Ich bin sicher, dass das Seehofers Initiative zu verdanken war. Ansonsten habe ich ihn aber als sehr wankelmütigen Ministerpräsidenten wahrgenommen. Zum Beispiel 2015, als in Simbach die vielen Flüchtlinge über die Grenze kamen. Da sind wir komplett allein gelassen worden.

Jürgen Fischer, 58, CSU-Pressesprecher und Seehofers Büroleiter: Sommer 2013. Wir drehten im Kloster Plankstetten im Altmühltal unseren legendären TV-Spot für die Landtagswahl 2013. Der grandiose Filmregisseur Hans Steinbichler quälte den Ministerpräsidenten Stunde um Stunde im gleißenden Scheinwerferlicht mit Fragen zu dessen kompletten Leben, die Seehofer zu unser aller Erstaunen geduldig beantwortete. Der Kinokritiker der SZ kommentierte: "Der Text ist so präzise, das kann eigentlich nur ein Skript sein. Aber man merkt es nicht. Es wirkt spontan, und das schaffen unter den Schauspielern nur die allerbesten." Wir hatten eine diebische Freude, denn alles war wirklich spontan entstanden und kein einziger Satz abgelesen oder vorgefertigt. Ganz nebenbei erfand Seehofer dabei auch noch selber unseren genialen Slogan für den Wahlkampfendspurt: "Schaut auf Bayern!"

Christine Haderthauer, 55, Ex-Sozialministerin und Chefin der Staatskanzlei: 2010 begegneten Horst Seehofer und ich demselben Geisterfahrer. Mein Fahrer hatte sich auf der Rückfahrt von einem Termin auf der A 9 dem Wagentross des Ministerpräsidenten angeschlossen. Plötzlich wechselte der in voller Geschwindigkeit auf die rechte Spur. Durch dieses auffällige Manöver gelang es auch meinem Fahrer, dem Geisterfahrer, der uns auf der linken Spur entgegenraste, noch rechtzeitig auszuweichen. Entweder hatten wir alle den gleichen Schutzengel oder der vom Horst war etwas schneller. Er wird ihn auf jeden Fall auch in Zukunft noch brauchen.

Christoph Lickleder, 73, Organisator der Feiern zum 150. Jubiläum der Kelheimer Befreiungshalle und Träger des Bayerischen Verdienstordens: Man muss Horst Seehofer persönlich erlebt haben. Das war mir gegönnt. Wenn er jetzt als Ministerpräsident abtritt, so denke ich dankbar und mit Achtung an die Begegnungen mit ihm zurück. War die Hektik noch so groß, man kam an ihn heran, seine Gestik und Mimik war einladend, man verspürte ein Angenommensein. Ein wohlwollender, durchdringender Blick hat mich gefesselt und in der Gewissheit bestärkt, ja, ich werde ernst genommen und wohl gehört. Er dachte hier bestimmt nicht an die nächsten zu wälzenden Akten. Alle Bayern hätten diesen Horst Seehofer so wie ich erleben sollen. Möge er uns weiter erhalten bleiben!

Markus Söder, 51, Heimat- und Finanzminister, Seehofers designierter Nachfolger als Ministerpräsident: Das, was Horst Seehofer und mich über Jahre verbunden hat, war die Sanierung der Landesbank. Ich erinnere mich an ein gemeinsames Erlebnis in Brüssel im Haus der EU-Kommission. Damals ging es um die Genehmigung, die Landesbank weiter betreiben zu dürfen. Wir hatten uns beide mit langen Texten auf eine große Pressekonferenz vorbereitet. Aber es kam ganz anders: Der EU-Kommissar hatte sehr wenig Zeit. Nach fünf Minuten war er mit seinem Statement fertig und eilte bald davon. Weder Horst Seehofer noch ich konnten unsere langen Statements abgeben. Als wir dann ohne ihn ansetzten, mit den Journalisten zu reden, kam eine resolute belgische Sekretärin und bat uns allesamt, das Zimmer zu verlassen. Denn es gäbe noch andere wichtige Termine. So machten Seehofer und ich gemeinsam eine kleine improvisierte Pressekonferenz unter dem Vordach des EU-Gebäudes. Draußen regnete es. Wir fuhren zurück und waren uns sicher: So etwas wäre in Bayern nicht passiert.

Martin Zeil, 61, von 2008 bis 2013 Wirtschaftsminister und Stellvertreter Seehofers in der Koalitionsregierung mit der FDP: Als Ministerpräsident hatte Seehofer drei Koalitionspartner: erst die FDP, dann - wie er mutmaßte - die Bevölkerung und - so wie ich es sehe - die ganze Zeit über auch sich selbst. Der schwierigste Partner für ihn war wohl der letzte, denn er war für sich der am wenigsten berechenbare. Ich wünsche dem "Erfahrungsjuristen" Seehofer - wie er sich ja selbst gerne nennt -, dass er sich in seinem neuen Ministerium schnell zurechtfindet, dank seines Wunschnachfolgers Markus Söder ist das ja auch alternativlos.

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