Rätsel um vermissten Rentner:Millionär, verzweifelt gesucht

Ein äußerst seltsamer Fall im niederbayerischen Deggendorf: Der 86-jährige, demente Georg Luxi ist offenbar spurlos verschwunden. Die beiden Töchter suchen seit zwei Jahren nach ihm - ohne Erfolg. Ein Mann behauptet jedoch, dass Luxi lebt. Wo, will er nicht verraten.

Wolfgang Wittl

Diesen 15. Dezember 2010 wird Evelyn Angerer ihr Leben lang nicht vergessen. Sie weiß noch, wie heftig es schneite an diesem Tag. Sie weiß, wie ihr Vater in einer Jogginghose vor ihr stand, schlampig rasiert, ohne sie zu erkennen. Wie er seine zweite Tochter, die dunkel gelockte Gabriele, anlächelte und ihm der Begriff Haare nicht mehr einfiel.

Und sie weiß auch, wie sich im Zimmer hinter ihm ein Stapel blanko unterschriebener Überweisungsformulare türmte. Evelyn Angerer erinnert sich an jedes Detail dieses 15. Dezember 2010, denn es ist der Tag, an dem sie ihren Vater zum letzten Mal sah, und von dem sie befürchtet, dass es die letzte Begegnung für immer gewesen sein könnte.

Es ist eine Geschichte, von der alle, die damit zu tun haben, sagen, sie hätten so etwas nie und nimmer für möglich gehalten in Deutschland. Es ist die Geschichte vom Verschwinden des Georg Luxi.

Georg Luxi ist heute 86 Jahre alt. Er hatte in Deggendorf in einen Obstgroßhandel eingeheiratet, aus der Ehe gingen die beiden Töchter Evelyn, 61, und Gabriele, 55, hervor. Vor gut 30 Jahren - seine Frau war früh gestorben - gab er das Geschäft auf. Wenig später lernte er seine heutige Lebensgefährtin Christa M. und deren Sohn Josef M. (Namen geändert) kennen. Frau M. habe sie und ihre Schwester von Anfang an auf Distanz gehalten, erzählt Evelyn Angerer. Die Besuche wurden weniger, kaum dass sie ihren Vater noch zu Gesicht bekamen.

Georg Luxi trieb viel Sport, doch seine geistigen Kräfte ließen von 2005 an offenbar nach. Er erkundigte sich nach der Arbeitsstelle der Tochter, ihrem Alter, die Fragen wiederholten sich. Angerer glaubt, dass ihr Vater an beginnender Demenz litt. Der Kontakt nahm weiter ab. Als Luxi weder auf Anrufe noch auf Briefe reagierte und nicht einmal die Beerdigung seiner Schwester besuchte, schalteten seine Töchter im September 2009 eine Anwältin ein.

Zwei Wochen später kam ein Lebenszeichen von Georg Luxi: ein handgeschriebener Brief an die Anwältin, in dem er erklärte, dass er oft zum Spazieren oder mit dem Auto unterwegs und deshalb schwer erreichbar sei. Die Beerdigung habe er gemieden, weil er als älterer Mann mit dem Tod nichts zu tun haben wollte: "Wenn ich wieder Zeit habe, dann melde ich mich. Bis bald", schrieb er. Bald, das ist fünf Monate später, allerdings wieder erst auf einen Brief der Anwältin hin. Selbst auf Weihnachtsgrüße antwortete er nicht. Luxi bekräftigte, es gehe ihm gut. Doch sein Versprechen, im Juli gemeinsam mit der Familie seinen Geburtstag zu feiern, widerrief er in einem weiteren Brief: Er mache nun lieber Urlaub in Österreich.

Die Wortwahl in den Briefen entspreche in keiner Weise der ihres Vaters, sagen die Töchter. Sie vermuten, sie seien ihm von Christa M. und ihrem Sohn Josef M. diktiert worden. Als Luxi sich auf weitere Kontaktversuche hin nicht meldete, wandten seine Töchter sich am 15. Dezember 2010 an die Polizei. Deren Nachfrage bei Frau M. ergab, Luxi sei gerade spazieren - trotz starken Schneefalls und tiefer Dunkelheit.

Als die zweifelnden Beamten die Wohnung öffnen ließen, kam es zum bislang letzten Treffen zwischen dem offenbar verwirrten Luxi und seinen Töchtern. Telefon und Wohnungsglocke waren abgestellt, wie sich zeigte. Die Polizisten rieten Luxis Kindern, einen Antrag auf ein Betreuungsverfahren zu stellen, dem das Gericht auch stattgab. Es begann die Zeit der juristischen Scharmützel, der gegenseitigen Beschuldigungen und Strafanzeigen.

Hausverbot für die Tochter

Nur zehn Tage später wurde die Betreuung wieder aufgehoben, da Christa und Josef M. nachweisen konnten, dass sie von Luxi bereits vor zwei Jahren eine General- und Vorsorgevollmacht erhalten hatten, wovon niemand etwas wusste. "Unser Vater wäre nie von sich aus zu einem Notar nach München gefahren", sagen Luxis Töchter. Sie und der Enkelsohn bekamen Hausverbot.

Die wenigen Tage der Betreuung reichten jedoch aus, um festzustellen, dass Luxis gesamter Besitz in den vergangenen zwei Jahren auf Christa M. und ihren Sohn übertragen worden ist: sechs Doppelhäuser in Plattling, Luxis Penthousewohnung in Deggendorf sowie ein geschätztes Barvermögen von einer Million Euro. "Niemals hätte unser Vater vor seinem Tod etwas aus der Hand gegeben", sagt Evelyn Angerer. Sie meint: niemals im Vollbesitz seiner Kräfte. Luxi galt als einer, der sein Zeug zusammenhält.

Auch die Mieter der Doppelhäuser erfuhren zunächst nichts von dem Eigentümerwechsel. Ihre Überweisungen liefen weiterhin auf Luxis Konto, auf das die Lebensgefährtin und ihr Sohn Zugriff haben. Evelyn Angerer wohnt ebenfalls in einem dieser Häuser, gratis, ihr Vater soll es ihr als Erbe versprochen haben. Erst als bekannt wurde, dass Christa M. die neue Eigentümerin ist, wurde Luxis Tochter mit zweijähriger Verzögerung zur Zahlung einer Miete aufgefordert. Bisher hat sie nichts überwiesen, insgeheim hofft Angerer wohl, dass es zum Prozess kommt. Dann nämlich müsste Georg Luxi wegen der mündlichen Übereignung aussagen - und wäre nicht mehr verschwunden.

Luxi und seine Lebensgefährtin sind mittlerweile nämlich gar nicht mehr aufzufinden, auch nicht in dem Penthouse, in dem ihn seine Töchter zum letzten Mal gesehen haben. Seit nun fast zwei Jahren werde Luxi von Christa und Josef M. abgeschirmt, sagen seine Töchter.

Mit allen juristischen Mitteln versuchten sie, ihren Vater unter Kontrollbetreuung zu stellen, bis vor den Bundesgerichtshof wanderte der Fall. Am 10. Januar 2012 wähnten sich die Töchter am Ziel, das Landgericht Deggendorf bescheinigte "Gefahr in Verzug" und "konkrete Zweifel an der Redlichkeit der Bevollmächtigten", also von Christa und Josef M. Doch trotz Kontrollbetreuung fehlt von Georg Luxi weiterhin jede Spur, denn aussagen müssen die Generalbevollmächtigten nicht.

Auch eine Vermisstenanzeige brachte die Töchter nicht weiter, zumal da im April ein Zeuge auftauchte - angeblich ein ehemaliger Hausmeister von Luxis Wohnanlage - der den Rentner und seine Lebensgefährtin in einem tschechischen Supermarkt gesehen haben wollte. Das genügte, um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu beenden, obwohl weder deutsche noch tschechische Polizisten einen Nachweis für Luxis Aufenthaltsort fanden. "Mangels Zustellungsmöglichkeit" wurde die Kontrollbetreuung im Juni aufgehoben. Alles beginnt also wieder von vorne, nur weil die gesuchten Personen nicht aufzufinden sind oder die Aussage verweigern? "Das kann doch nicht sein", klagt Evelyn Angerer.

Systemfehler oder Skandal?

Juristen sprechen von einem Systemfehler des Betreuungsrechts, andere von einem Skandal. "Manchmal kommt man nur mit den Mitteln des Strafrechts weiter", sagt ein Anwalt, der seit fast 20 Jahren in dieser Branche tätig ist. Manchmal nicht einmal dann. Luxis Töchter haben ihre Strafanzeige wegen Untreue gegen Christa und Josef M. mittlerweile auf Unterschlagung und Freiheitsberaubung ausgeweitet.

Es sei "befremdlich, dass es diesen beiden Personen gelingen kann, ein solches Katz-und-Maus-Spiel mit Exekutive und Jurisdiktion zu betreiben", heißt es in einem Anwaltsschreiben an die Staatsanwaltschaft. Josef M. kontert mit Anzeigen und einem Betreuungsverfahren gegen Luxis Tochter Gabriele, der er als "voll psychiatrischen Fall" verminderte Schuldfähigkeit unterstellt. Nur in der eigentlichen Sache geht nichts voran.

Die Deggendorfer Oberstaatsanwältin Kunigunde Schwaiberger räumt ein, sie habe "noch nie erlebt, dass man jemanden derart unter Verschluss halten kann". Der Fall dürfte wohl einzigartig sein in Deutschland. Doch immerhin habe ihre Behörde vor kurzem wieder das vorläufig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen eine der beiden beschuldigten Personen - Christa und Josef M. - aufgenommen. "Wir tun, was wir können", erklärt Schwaiberger.

Ob das ausreicht, daran hegen die Töchter von Georg Luxi ihre Zweifel. Das Familienvermögen habe sie bereits abgeschrieben, sie wolle nur noch ihren Vater sehen, beteuert Evelyn Angerer: "Ich kann nicht mehr schlafen, bin nervlich kaputt, ich komme um vor Kummer." An das Rechtssystem habe sie keinen Glauben mehr, einen Privatdetektiv könne sie sich nicht leisten. Sie wisse keinen Ausweg mehr.

Glaubt man dem Generalbevollmächtigten, so müssen sich die Töchter um ihren Vater indes keine Sorgen machen. "Herr Georg Luxi ist ein unbeugsamer, ehemaliger Unternehmer und tut das, was er will", teilt Josef M. in einem einseitigen Brief mit. Darin ist außerdem viel zu lesen von eindeutigen Gerichtsentscheidungen, angeblichen Lügen und finanzieller Gier der Familie. "Herr Georg Luxi genießt als freier Bürger sein Leben", schreibt M. Nur wo er das tut, davon ist nichts zu erfahren.

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