Rätsel um Macke-Gemälde:Nagybánya statt Gmund

Rätsel um Macke-Gemälde: Stammt die Ortsansicht im unbekannten Gemälde aus der Hand des berühmten ungarischen Malers Sándor Ziffer?

Stammt die Ortsansicht im unbekannten Gemälde aus der Hand des berühmten ungarischen Malers Sándor Ziffer?

  • Ein Landwirt aus Österreich glaubt, ein verschollenes Gemälde von August Macke zu besitzen, das dieser in Gmund am Tegernsee gemalt haben soll.
  • Doch Kunstexperten und Sammler aus Deutschland und Ungarn vermuten, dass das Werk Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Künstlerkolonie in Osteuropa entstand: in Nagybánya im historischen Ungarn.
  • Das Gemälde könnte als Frühwerk des Künstlers trotzdem extrem wertvoll sein.

Von Sarah Kanning

Es klang so märchenhaft: die leuchtenden Farben, typisch für den expressionistischen Maler August Macke, die leichte Schieflage der Häuser als Indiz für seinen Sehfehler, die Kombination aus Brücke, Kirche und Häuserzeile, die so auch in der oberbayerischen Gemeinde Gmund am Tegernsee vorkommt, wo Macke im Jahr 1910 lebte.

Stammte das unsignierte Gemälde, das ein österreichischer Landwirt und Kunstsammler besitzt, tatsächlich aus der Hand des Malers, könnte es einige hunderttausend Euro wert sein.

Doch Kunstexperten und Sammler aus Deutschland und Ungarn vermuten, dass das Werk nicht am Tegernsee, sondern Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Künstlerkolonie in Osteuropa entstand: in Nagybánya im historischen Ungarn und heutigen Rumänien, wo der von Frankreich und Deutschland inspirierte Expressionismus in Hunderten Bildern an Gestalt gewann.

Als Frühwerk extrem wertvoll

Die Kunsthistorikerin Adrienn Berg aus Freising, der Kunstsammler Josef Böhm, der künstlerische Leiter der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest sowie ein renommierter ungarischer Restaurator sehen in dem unbekannten Gemälde die berühmte Stadtansicht Nagybányas, heute Baia Mare (Frauenbach): der auffällige Kirchturm mit der roten Mütze, die Stahlbrücke, die bunte Häuserreihe.

Das Gemälde könnte als Frühwerk extrem wertvoll sein: "Ein Sammler könnte dafür bis zu 80 000 Euro zahlen", schätzt Josef Böhm, "wenn das Gemälde beispielsweise ein Frühwerk von Sándor Ziffer ist." Der ungarische Maler, der in Paris, Berlin und im begehrten München lernte, gehört zu den herausragendsten Künstlern.

Er wurde vor allem durch seine klaren Konturen und Farben berühmt und orientierte sich dabei am französischen Fauvismus und den deutschen Expressionisten - und damit vor allem an August Macke. Dessen Farbkonzepte finden sich in vielen Ziffer-Werken.

Die fast knalligen Farben brachten auch den österreichischen Landwirt Herbert Spiess, der das Gemälde vor 30 Jahren in einer Kunsthandlung in Wien kaufte, auf den Gedanken, dass es von Macke stammt. Und zwar sei es das verschollene Gemälde mit der Werksverzeichnisnummer 288, von dem jede Beschreibung fehlt, außer, dass es eine Landschaft am Tegernsee zeigt.

"Der Maler muss ein sehr guter sein"

Seit Spiess alte Ansichtskarten von Gmund gesehen hat, ist er überzeugt: An diesem Ort hatte Macke sein Bild gemalt. In der kreativen Phase des Malers entstanden mehr als 200 Werke, viele zeigen die bayerische Landschaft, den See, Häuser.

Josef Böhm kennt Frauenbach gut, er ist selbst halb Donauschwabe, halb Ungar, und als Sammler von Kunst aus Siebenbürger einer der wichtigsten Ansprechpartner für Malerei aus dem multiethnischen Landstrich. Das Museum Moderner Kunst in Passau stellte gerade einen Teil der rund 300 Werke umfassenden Sammlung Böhm aus, auch einige Werke von Ziffer. Die Abschlussführung besuchten mehr als hundert Interessierte.

Böhm, der eigentlich Chefarzt für Neurologie im Kreiskrankenhaus Freiberg ist, kennt er sich aus mit den Pinselstrichen aus Nagybánya, mit Künstlern wie Sándor Ziffer, Oliver Pittner, Dávid Jándi, Csaba Vilmos Perlrott, Hugo Mund. "Der Maler dieses unbekannten Gemäldes muss ein sehr guter sein", sagt Böhm. Das sehe man an den kräftigen Farben und der sicheren Strichführung. "Das ist das typische Frauenbacher Blau."

Google Maps trübt den Erkundungseifer

Nur: Wer hat es angefertigt? Die Brücke ersetzte 1911 eine alte Holzbrücke - malte der Künstler sie, weil sie neu war? Dazu passen die beiden Farbgutachten, die Herbert Spiess in Auftrag gab, die das Gemälde auf eine Zeit zwischen 1910 und 1914 datieren. "Ziffer malte die Brücke oft", sagt der Restaurator Gyula Kemény, der auf Kunst nach 1900 spezialisiert ist. Ziffer hatte sein Atelier direkt mit Blick auf die Kirche an der anderen Flussseite.

Auch Dávid Jándi malte häufig die reformierte Kirche, weiß György Szücs von der Ungarischen Nationalgalerie. Für ihn sprächen die breiten Konturen der Hausdächer, das dicke Farbmaterial und das Weglassen der Fenster. "Aber gewöhnlich hat er die Gemälde unterschrieben", sagt Szücs.

Selbst wenn man aktuelle Ansichten von Frauenbach neben das unbekannte Gemälde legt, fällt die Analogie noch ins Auge. Die klassizistische Kirche ist zwar renoviert und gelb - die Häuser der Strada Podul Viilor jedoch unverändert. Nur Google Maps trübt den Erkundungseifer: Bauarbeiten verhindern, dass man virtuell die Perspektive findet, aus der der Maler einst sein Motiv auf die Leinwand brachte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: