Prozessbeginn:Aus religiösen Gründen getötet

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Die Frau habe ihm den Kopf kaputtgemacht, mit ihrem Vorschlag, zum Christentum zu konvertieren, sagt der Angeklagte vor dem Schwurgericht Traunstein. Deswegen soll er sie erstochen haben. (Foto: dpa)

Vor einem Supermarkt in Prien wird eine Frau erstochen, vor den Augen ihrer Kinder. Ein Landsmann soll die Afghanin ermordet haben, so lautet die Anklage vor dem Landgericht Traunstein. Weil sie zum Christentum konvertiert war

Von Matthias Köpf, Traunstein

Er soll immer wieder vor der Glasfront des Discounters hin und her gegangen sein und hineingespäht haben, dann habe er sich auf einer Bank gegenüber eine Zigarette angezündet und gewartet. Als die Frau herausgekommen sei, ihre Einkäufe im Fahrradanhänger verstaut habe und ihren fünf Jahre alten Sohn hineingesetzt, da soll der Mann sein Messer aus der Jacke gezogen, sie am Pferdeschwanz gepackt und immer wieder zugestochen haben. Der elfjährige Sohn konnte seiner Mutter mit seinen Tritten und Schreien nicht helfen, aber zwei Männer wollten den Angreifer noch mit einem Bauzaun-Element aus Metall von der Frau abdrängen. Doch der Angreifer habe sich wieder an die Frau herangekämpft und weitere Stiche gesetzt. Einige Verletzungen wirkten, als habe er der Frau, die viel Blut verlor und noch auf dem Weg zum Krankenhaus gestorben ist, regelrecht den Kopf abtrennen wollen, sagt ein Polizist vor dem Landgericht Traunstein. Das verhandelt seit Dienstag über den Fall, der im vergangenen Frühjahr nicht nur die oberbayerische 11 000-Einwohner-Gemeinde Prien am Chiemsee erschüttertet hat.

Die Frau habe ihm vorgeschlagen, zu konvertieren, Christ zu werden, immer wieder. Dann könne er in Deutschland bleiben und seinen Job am Bauhof in Rimsting behalten. Er aber habe Moslem bleiben wollen und irgendwann sogar die Kinder der Frau gebeten, ihre Mutter von ihren Bekehrungsversuchen abzubringen. So sagt es der 30 Jahre alte Mann selbst. Die Frau, die nur 38 Jahre alt geworden ist, kam wie er aus Afghanistan. Sie war schon länger Christin geworden und gut integriert in Prien, pflegte einen westlichen Lebensstil und engagierte sich in der evangelischen Kirchengemeinde des Chiemsee-Ortes. Gestorben ist sie an mindestens 16 Messerstichen in Brust, Hals, Rücken, Gesicht und sogar in die linke Wade. Der Staatsanwalt braucht vier Minuten, um all die Verletzungen vorzulesen. Der Dolmetscher zeigt in der schriftlichen Übersetzung der Anklageschrift mit dem Stift die Zeilen an, doch der Mann schaut nicht hin, er hat in seinen zwei Schuljahren in Afghanistan weder Schreiben noch Lesen gelernt. Das Messer hat ein Polizist auf den Richtertisch gelegt, die fast 20 Zentimeter lange Klinge ist verbogen von all den Stichen. Mehrere Augenzeugen lassen keinen Zweifel am Hergang der Tat. Jemand habe einen Einkaufswagen geschleudert, eine zierliche Frau versuchte vergeblich, mit dem Betonständer des Bauzauns zu werfen, ein Autofahrer wollte den Angreifer anfahren. Schließlich gelang es einigen Passanten, darunter einem Polizeibeamten, der privat beim Einkaufen war, den Angreifer zu überwältigen. Er wurde nach der Bluttat erst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und später in normale Untersuchungshaft verlegt.

Aus einem ersten Bericht des psychiatrischen Gutachters versucht das Gericht die von Familienfehden, tödlicher Rache und Bürgerkrieg geprägte Lebensgeschichte des Mannes in einem Dorf im Norden Afghanistans zu rekonstruieren. Der Vater von ihm und seinen zwölf Geschwistern sei ein wohlhabender Mann und lokaler Militärkommandeur gewesen, der Onkel ein bekannter Warlord mit eigener Hubschrauberflotte und drei Kampfjets. So habe es der Angeklagte erzählt, sagt der Gutachter. Nach einer blutigen Fehde habe ihn der Vater nach Iran geschickt. Schließlich kam er über die Balkanroute nach Deutschland.

In Prien, wo der Mann seit 2013 in wechselnden Unterkünften lebte, habe ihm die Frau mit ihren Vorschlägen den Kopf kaputtgemacht, er habe Stimmen gehört, ihre und andere. Ende 2017 sollte seine Abschiebung sein, er habe schon selber nach Afghanistan zurückkehren wollen, um die Frau nicht zu töten zu müssen. Verwandte hätten eine Hochzeit mit einer Cousine arrangiert, sagte der Angeklagte dem Gutachter. Auch Selbstmordgedanken habe es gegeben, doch dafür hätte er keine Gnade vor seinem Gott gefunden. Der Alkohol, mit dem er in Deutschland begonnen hat, das Haschisch, die vielen Frauengeschichten hätten ihn weniger bekümmert.

An jenem Tag Ende April sei er bekifft und angetrunken mit dem Zug aus München zurückgekehrt, dann noch nach Rosenheim und zurück gefahren. Viel Alkohol hatte er zur Tatzeit nicht im Blut, und auch nur geringe Spuren des Cannabis-Wirkstoffs THC. Wieder in Prien habe er in dem Discounter gleich beim Bahnhof die Frau gesehen. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ging er dann in seine ein paar Hundert Meter entfernte Unterkunft, holte das Küchenmesser und fuhr mit dem Fahrrad wieder zurück. An die Tat selbst könne er sich nicht erinnern. Aber danach sei es ihm besser gegangen, der Stress, die Anspannung seien weg gewesen, sagte der Mann dem Gutachter. Er selbst spricht nicht viel, sitzt finster, oft mit verschränkten Armen und äußerlich ungerührt auf der Anklagebank. Während der Tat soll er nicht geschrien, kein einziges Wort gesagt haben, berichten die Augenzeugen. Der Polizist, der beim Einkaufen in die Szene geriet, beschreibt, wie der Angeklagte "langsam, mit eiskaltem Blick, wie in so einem Horrorfilm" wieder auf das verletzt am Boden liegende Opfer zugegangen sei. Schließlich sei es ihm gelungen, dem Angreifer mit der Faust ins Gesicht zu schlagen und ihn zusammen mit anderen Männern niederzuringen.

Die Frau war auch unter den Afghanen in Prien als konvertierte Christin bekannt, aber von Bekehrungsversuchen berichtet außer dem Angeklagten niemand. Die vier Söhne der Frau leben immer noch in Prien bei ihrem Vater. Der Prozess, an dem die beiden älteren Söhne sowie eine Schwester und ein Bruder der Getöteten als Nebenkläger teilnehmen, dauert an. Das Gericht hat insgesamt vier Verhandlungstage festgesetzt und fast 40 Zeugen geladen. Ein Urteil wird für den 9. Februar erwartet.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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