Prozess um Volksfest in Neu-Ulm:Pflicht zum Feiern

Nach 107 Jahren hat Neu-Ulm sein Volksfest ersatzlos gestrichen. Das Verwaltungsgericht Augsburg muss jetzt klären, ob die Stadt gegen ihren Willen ein Volksfest veranstalten muss.

Stefan Mayr

- 107 Jahre lang trafen sich die Burschen und Mädchen von Neu-Ulm in jedem Mai beim Volksfest. Früher, an der Ringstraßestanden sie bei den Schiffschaukeln. Zuletzt, am Muthenhölzle, saßen sie beim Auto-Scooter. Diese Zeiten sind vorbei. Wo früher Omis und Opis mit ihren Enkeln Zuckerwatte schleckten und Karussell fuhren, entsteht jetzt eine Multifunktionshalle. Das Volksfest gibt es seit 2010 nicht mehr. Es wurde vom Stadtrat ersatzlos gestrichen. Das will sich Gabriele Hirschberg nicht gefallen lassen. "Wenn das alle Städte so machen würden, hätten wir keine Arbeit mehr", sagt die 65-jährige Inhaberin einer Süßwaren-Wagens. Sie hat eine sogenannte Feststellungsklage gegen die Stadt Neu-Ulm eingereicht. Das Verwaltungsgericht Augsburg muss somit die spannende Frage klären: Ist eine Kommune verpflichtet, ein Volksfest zu veranstalten - oder nicht?

Prozess um Volksfest in Neu-Ulm: So einen Auto-Scooter gab es in Neu-Ulm auch lange auf dem Volksfest. Doch diese Zeiten sind vorbei. Es sei denn das Gericht entscheidet anders.

So einen Auto-Scooter gab es in Neu-Ulm auch lange auf dem Volksfest. Doch diese Zeiten sind vorbei. Es sei denn das Gericht entscheidet anders.

(Foto: npj)

Ein Volksfest gehört zum soziokulturellen Angebot einer Stadt und damit zu den essentiellen Aufgaben der Daseinsvorsorge", sagt Gunnar Gels, der Rechtsanwalt der Klägerin. "Ein Volksfest dient als Treffpunkt aller Schichten und als Ort der Verständigung", argumentiert er. "Deshalb muss sich die Stadt kümmern und einen Platz anbieten." Manfred Winter, der Bezirkschef des Bayerischen Landesverbandes der Marktkaufleute und Schausteller, sieht das ähnlich: "Was die Stadt hier macht, ist eine bodenlose Unverschämtheit", schimpft er. "Man kann doch eine solche Tradition nicht einfach beenden, nur weil die Stadt kein Geld hat." Winter wirft Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU) sogar Wortbruch vor: "Er hat uns versprochen, das Volksfest wird nicht sterben."

Die Stadt selbst gibt sich äußerst zugeknöpft und will über Details des laufenden Verfahrens nichts sagen. Der Stadtrat hatte einst entschieden, dass auf dem Volksfestplatz eine Multifunktionshalle mit Platz für 9000 Zuschauer errichtet wird. Als die Frage aufkam, ob ein Ersatzplatz für den Rummel geschaffen werden soll, lehnten die Räte ab. Ihre Begründung: Zu teuer, das könne sich die Stadt nicht leisten. "Aber dafür stellen sie eine Halle hin, von der man nicht weiß, ob sie angenommen wird", wettert Schausteller-Funktionär Winter, der mit seinem Autoscooter nach eigenen Angaben in Neu-Ulm mehr verdient hat als in der größeren Schwesterstadt Ulm.

Die Klägerin Gabriele Hirschberg stand mit ihrem Wagen 40 Jahre lang alljährlich auf dem Neu-Ulmer Volksfest. Die Eltern ihres Ehemannes sogar seit 60 Jahren. Nun fehlen der Familie die Einnahmen aus diesen 16 Tagen. Genauso geht es auch ihren zwei Söhnen, die jeweils ein Fahrgeschäft betreiben. "Auf einem anderen Volksfest kommt man sehr schwer unter, weil bei Süßwaren und Kinderkarussells kommen immer erst die einheimischen Schausteller zum Zug." Weil es so viele Anbieter in diesem Bereich gebe, sei fast nirgends Platz für Zugereiste.

Im März veranstalteten 400 Schausteller einen Protestzug: Mit etwa 60 Lastwagen fuhren sie durch die Stadt und protestierten für ihr Kulturgut Rummelplatz. Hirschberg stand mit dem Megafon vor dem Rathaus, allerdings, so müssen sie und ihre Mitstreiter selbst einräumen, hielten sich die Neu-Ulmer Bürger bei der Demonstration vornehm zurück. Das Ende des Volksfestes? Was andernorts einen ausgewachsenen Aufstand ausgelöst hätte, nehmen die 50 000 Bürger der Stadt weitgehend klag- und regungslos hin. Keine Bürgerinitiative, keine Unterschriftenliste. Die Schausteller versuchten bei der letzten Auflage des Volksfestes im vergangenen Jahr zwar Unterschriften zu sammeln, bekamen aber bei etwa 250 000 Besuchern nicht genügend für ein Bürgerbegehren zusammen.

Oberbürgermeister Noerenberg muss sich also offenbar wenig Sorgen machen, allzu viele Wähler scheint er nicht gegen sich aufzubringen. Ob er auch dem Urteil des Verwaltungsgerichts gelassen entgegen blicken kann, ist zumindest zweifelhaft. Anwalt Gunnar Gels verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2009, in dem eine ähnliche Klage wegen des Weihnachtsmarktes in Offenbach behandelt wurde. Darin heißt es, "dass die Gerichte seit jeher bei der Ausrichtung von traditionellen und traditionsbildenden Volksfesten (. . .) den Charakter (. . .) der Daseinsvorsorge hervorgehoben haben." Und weiter: "Die Entledigung von Aufgaben wie traditionsreichen, kulturellen und sozialen Weihnachtsmärkten, die zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehören, führt (. . .) zu einer unzulässigen Selbstbeschränkung der kommunalen Selbstverwaltung."

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg fällt noch in diesem Jahr. Gabriele Hirschberg und Martin Winter hoffen, dass sich in Neu-Ulm schon 2012 wieder die Karusselle drehen werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: