Prozess um Kindesentführung:Gezeter und Gezerre

Auf offener Straße entreißen vier Männer einer Frau ihre vierjährige Tochter im Auftrag des Kindsvaters. So zumindest die Version der Mutter. Der Vater beteuert dagegen, nur zum Wohl des Kindes gehandelt zu haben.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wenn es stimmt, was die Mutter einer Vierjährigen der Polizei erzählt hat, dann muss der 28. September 2013 einem Albtraum sehr nahe gekommen sein. Die Mutter war in der 34. Woche schwanger, zusammen mit ihren beiden Kindern besuchte sie eine Eisdiele in Nürnberg. Als sie auf der Straße ist, nimmt sie von hinten zwei Personen wahr. Von vorne zerren zwei weitere Personen an der Vierjährigen, diese schreit hysterisch. Die Mutter zieht ihre Tochter zu sich, es kommt zum Gezerre ums Kind, dieses soll Hose und Unterhose verloren haben.

Irgendwann fährt der leibliche Vater des Kindes mit dem Auto vor, angeblich fällt der Satz: "Jetzt reicht's, wir nehmen sie mit, ob sie will oder nicht." Der Vater nimmt das Kind an sich, setzt es auf den Rücksitz des Wagens, die Vierjährige schreit um Hilfe. Dann ist das Auto weg. Vier Monate später greift die Polizei den Vater, der kein Sorgerecht hat, und das Kind in der Schweiz auf.

Die Tochter habe nicht nach der Mutter gefragt

Es habe einen unauffälligen Eindruck gemacht nach der Rückkehr, sagt ein Kinderpsychiater am dritten Verhandlungstag um einen Kindsentzug vor dem Nürnberger Jugendschöffengericht. Die Vierjährige habe "situationsangemessenes Verhalten" an den Tag gelegt. Den leiblichen Vater wundert das nicht. Niemals habe seine Tochter in den vier Monaten gesagt, dass sie zurück zur Mutter wolle, nicht mal gefragt habe sie nach ihr. Im Übrigen sei es die Darstellung seiner ehemaligen Partnerin, mit der er nie verheiratet war, die die Polizistin da zum Besten gebe.

Verlust der Hose? Quatsch. Die Mutter habe am Schuh seiner Tochter gezerrt, deshalb habe er sie abgestreift. Vier weitere Personen? Es waren zwei, einer habe den Wagen gesteuert, während er mit dem Kind hinten saß. Seine Tochter habe geschrien? Alle hätten geschrien in der Situation, einer habe angefangen, die anderen hätten mitgemacht.

Es wird jetzt sehr laut im Gerichtssaal. Der Anwalt der Mutter, Thomas Dolmany, fordert den Angeklagten auf, er möge doch endlich Manns genug sein, die bisher ungekannten Mittäter zu benennen, wenn es ihm so um eine objektive Darstellung gehe. Würde er gern, er kenne aber weder deren Namen noch Adresse, sagt Daniel G. Das sorgt für Verwunderung im Saal, immerhin habe er diese Tat doch irgendwie planen müssen.

Vater, Tochter

Alleinerziehende Väter müssen viele Aufgaben gleichzeitig meistern; der Beruf leidet manchmal darunter.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Eine dritte Person habe ihm Helfer vermittelt

Der Angeklagte erklärt es so: Eine dritte Person, die er ebenfalls nicht kenne, habe Kontakt zu ihm aufgenommen. Diese Person habe ihm Helfer vermittelt. Mit diesen habe er sich kurz vor der Tat auf einer Autobahnraststätte getroffen. Er habe dort einen Film vorgeführt, der auf ZDF Neo gelaufen ist. Es geht in diesem Film um Väter, die um ihre Rechte kämpfen. Zu sehen ist, lange vor der Flucht mit dem Kind, wie G. seine Tochter zur Mutter zurückbringt und das Kind dabei sehr weint. Wer hat dem Sender diese Bilder zur Verfügung gestellt, will Dolmany wissen, da gehe es immerhin um Persönlichkeitsrechte. "Ich", sagt G. Verpixelt waren ja die Bilder, aber seine Helfer hätten das Kind dann schon erkannt.

Eine dritte Person, die einfach Kontakt zu einem Vater aufnimmt, um einen Übergriff auf eine Kindsmutter zu organisieren? Ja, so war es, sagt G. Er mache seit Jahren im Internet auf den eigenen Fall aufmerksam. Das ZDF habe sich interessiert. Er komme sehr viel rum, er informiere Menschen. Da lernen einen viele Leute kennen, deren Namen man nicht kenne.

"War das Kind ein Wunschkind?", fragt Dolmany. Jetzt wird es richtig laut. "Schämen sollten Sie sich für diese Frage", schimpft der Angeklagte. "Sie sollten sich schämen", antwortet der Nebenkläger.

Der Anwalt des Angeklagten, Maximilian Kaiser, stellt 18 Beweisanträge. Er will nachweisen, dass die Mutter psychisch krank sei. Dass sie in "einem Haushalt lebt, in dem Drogen konsumiert" werden. Und die Beziehung von Mutter und Kind nicht auf Urvertrauen basiere, weil sich die ersten 16 Monate fast ausschließlich der Vater ums Kind kümmerte.

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