Prozess um Familientragödie:"Es wird niemand von euch leben"

Prozess wegen zweifachen Mordes

Der Angeklagte wird zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt.

(Foto: David Ebener / dpa)

Die Ehe von Shpresa R. ist die Hölle, ihr Mann schlägt sie, beschimpft sie, attackiert sie. Als sie ins Frauenhaus zieht, bedroht er ihre Familie, metzelt schließlich ihren Vater und ihren Bruder nieder. Vor Gericht spricht der Mann von Notwehr - und wird wegen Mordes verurteilt.

Von Hans Holzhaider, Nürnberg

Nürnberg - Es war ein Gemetzel - anders lässt sich das Geschehen nicht beschreiben. Vater und Sohn lagen tot in der kleinen Küche ihrer Etagenwohnung in Neumarkt in der Oberpfalz. Bejtush R., der Vater, 65 Jahre alt, und sein Sohn Ramush, 26, waren mit mehreren Messerstichen in die Brust und in den Nacken getötet worden. Überall in der Küche war Blut, am Boden, an den Küchenschränken, am Kühlschrank, an der Tür.

Als die Rettungskräfte und die Polizei kamen, fanden sie auf einem Treppenabsatz einige Stufen unterhalb der Wohnungstür der Familie R. den 44-jährigen Sejdi K., aus mehreren Kopfwunden blutend. Die beiden Männer, die tot in der Küche lagen, waren sein Schwiegervater und sein Schwager. Es sei Notwehr gewesen, sagte er.

Bejtush und Ramush R. hätten ihn mit einer Axt attackiert, er wäre jetzt tot, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Die Richter und Schöffen der 5. Strafkammer am Landgericht Nürnberg haben ihm nicht geglaubt. Am Donnerstag verurteilten sie Sejdi K. wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft.

Schon vor der Ehe gab es Drohungen

Shpresa R., 39, die mittlerweile geschiedene Ehefrau des Angeklagten, hatte als Zeugin die lange, traurige Geschichte ihrer Ehe erzählt. Ihre Familie stammt aus dem Kosovo, ihr Vater kam schon vor fast 40 Jahren nach Deutschland. 1994 heiratete sie Sejdi K., auch er ein Kosovare. Schon vor der Ehe habe er ihr gedroht: "Wenn du mich nicht heiratest, bringe ich euch um."

"Ich war jung", sagt sie, "ich habe das nicht ernst genommen." 1999 wurde ein Sohn geboren. "Ich habe versucht, eine richtige Hausfrau und Mutter zu sein, aber es hat nichts genutzt." Ihr Mann habe sie geschlagen, sogar während der Schwangerschaft, immer habe er gedroht, er werde ihrer Familie etwas antun, wenn sie ihm nicht gehorche. Immer gab es Geldsorgen. Schon seit Jahren war der Mann spielsüchtig, das wenige Geld, das es in der Familie gab, trug er größtenteils in die Spielhallen. Immer wieder musste Shpresa ihre Familie um Geld bitten. Finanziell half die Familie aus, aber mit ihren Eheproblemen blieb Shpresa alleine. "Hab Geduld, vielleicht wird es besser", habe ihr Vater gesagt.

Aber es wurde nicht besser. Im September 2012 eskalierte die Situation. Sejdi K. durchwühlte die Wohnung nach Geld, weil er Spielschulden bezahlen musste, und er wollte seine Frau zwingen, ihm auch noch die 20 Euro zu geben, die der Sohn am nächsten Tag in der Schule brauchte. "Er nahm ein Messer und packte mich am Hals, ich hatte Todesangst", sagt sie. Dann habe Sejdi sie geschlagen, beschimpft und aus der Wohnung geworfen.

Sie flüchtete zu ihren Eltern. Auch jetzt noch wollte der Vater sie überreden, zu ihrem Ehemann zurückzukehren. "Aber sie traute sich nicht", berichtet die Mutter. "Sie hatte Angst, dass er sie umbringt." Am nächsten Tag brachte die Polizei sie und ihren Sohn in ein Frauenhaus in Regensburg.

"Ausrotten bis zum letzten Huhn"

Von diesem Tag an, so erzählen es Shpresas Mutter, die Schwestern und der jüngere Bruder, seien sie immer wieder und immer heftiger von ihrem Schwiegersohn und Schwager bedroht worden. Es gab Anrufe, Briefe, SMS, Facebook-Einträge. Er werde die Familie "ausrotten bis zum letzten Huhn". Er werde sie "ins Herz treffen, dort, wo es am meisten wehtut".

Der Vater und Ramush, der ältere Sohn, gingen zur Polizei und erwirkten einen Gerichtsbeschluss: Sejdi K. dürfe sich der Wohnung der Familie R. nicht nähern. "Sie vertrauten als rechtstreue, anständige Bürger darauf, dass die Behörden sie ausreichend schützen könnten", sagte der Vorsitzende Richter Gerhard Neuhof in seiner Urteilsbegründung. "Niemals hätten sie die Tür geöffnet, wenn sie gewusst hätten, dass er davor steht", versichern alle Geschwister. Als das Haus eingerüstet wurde, versteckte Bashkim, der jüngere Bruder, eine Axt unter seinem Bett, aus Angst, der Schwager könne durchs Fenster kommen.

Aber selbst Gewalt anzuwenden, sei für seinen Vater nie in Frage gekommen. Angebote von Verwandten im Kosovo, das Problem auf ihre Art zu lösen, habe sein Vater strikt abgelehnt, sagt Bashkim R. "Das machen in Deutschland die Polizei und das Gericht", habe er gesagt.

Am 29. Januar 2013 hätte Sejdi K. eigentlich eine Haftstrafe antreten sollen. Am Tag davor hatte er die Polizei angerufen: Er wolle sich von einem Felsen stürzen, wenn er nicht mit seiner Frau sprechen könne. Die Polizei vermittelte ein Telefongespräch, in dem Shpresa ihrem Mann unmissverständlich erklärte, sie werde nicht zurückkehren. Sejdi K. wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht. Man ließ ihn aber noch einmal gehen, damit er sich etwas zum Anziehen holen konnte.

"Jetzt kommt Tragödie"

Eine verhängnisvolle Entscheidung. K. holte keine Kleidung aus seiner Wohnung, sondern ein Küchenmesser. Er schrieb einen Brief: "Besonderer Tag, 29. 1. 2013" stand darüber, und im Text: "Jetzt kommt Tragödie. Es wird niemand von euch leben." Mit dem Brief und dem Messer in der Tasche begab sich Sejdi K. zur Wohnung der Familie R. "Spätestens in diesem Augenblick", sagte Richter Neuhof, "fasste der Angeklagte den Entschluss, alle männlichen Mitglieder der Familie R., die er in der Wohnung antreffen würde, zu töten."

Der Brief und das Messer waren für das Gericht die entscheidenden Beweise, dass Sejdi K. nicht in Notwehr handelte, als er seinen Schwiegervater und seinen Schwager tötete. Dass der Brief nicht, wie vom Angeklagten behauptet, schon lange vorher geschrieben wurde, steht fest, weil er sich darin auf das Telefongespräch mit seiner Frau vom Vortag bezog. Das Messer, das Sejdi K. rein zufällig in der Küche der Familie R. gefunden haben will, stammt, wie Sachverständige bewiesen, eindeutig aus seinem eigenen Haushalt.

Ein Besuch mit tödlicher Absicht

"Der Brief und das Messer genügten für die Feststellung, dass der Angeklagte die Wohnung in Tötungsabsicht aufsuchte", sagte der Vorsitzende Richter. Es sei völlig abwegig, dass er es zur Selbstverteidigung eingesteckt habe. "Bejtush R. war ein durch und durch friedfertiger Mensch, dem die Anwendung von Gewalt absolut wesensfremd war."

Dass Sejdi K. an der Haustür nicht bei der Familie R., sondern bei einem Nachbarn klingelte, um sich Einlass zu verschaffen, sei ein weiterer Hinweis darauf, dass er in unlauterer Absicht gekommen sei.

"Der Angeklagte handelte aus Wut und verletztem Stolz, weil er seine Frau und sein Kind als sein Eigentum betrachtete und sich dafür rächen wollte, dass man ihm seinen Sohn genommen hatte", sagte der Richter. Weil er zwei Menschen getötet habe, wiege seine Schuld besonders schwer. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, wird K. auch nach 15 Jahren keine Chance auf vorzeitige Entlassung haben.

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