Prozess:Streit um Penis-Amputation

  • Sebastian S. hat als Folge eines septischen Schocks seinen linken Unterschenkel verloren - und ihm musste der Penis amputiert werden.
  • Der Richter am Oberlandesgericht München zeigt sich vom Schicksal des jungen Mannes zwar erschüttert, weist aber dessen Klage auf Zahlung von 500 000 Euro Schmerzensgeld ab. Es gebe keinen Hinweis auf einen ärztlichen Behandlungsfehler.

Von Dietrich Mittler

Noch bevor am Donnerstag die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München beginnt, macht sich Sebastian S. aus Rosenheim keine Illusionen: "Das wird heute nichts", sagt er. Diese Vorahnung bestätigt sich nur wenige Minuten später. Der Vorsitzende Richter Thomas Steiner kommt rasch zum Punkt: "Es gibt keinen Hinweis auf ärztliche Behandlungsfehler und damit auch keinen Grund, dem Arzt vorzuwerfen, er habe den Kläger falsch behandelt." Gleichwohl, so gibt Steiner zu erkennen, erschüttere ihn das Schicksal des Klägers sehr. Sebastian S. hat als Folge eines septischen Schocks nicht nur seinen linken Unterschenkel verloren, auch am rechten Bein wurde Gewebe zerstört - und ihm musste der Penis amputiert werden.

Der junge Mann war 2009 kurz vor Ostern mit Schmerzen zu einem in Rosenheim niedergelassenen Urologen gegangen. Dem Arzt wirft er bis zum heutigen Tag vor, er habe die Schwere seiner Erkrankung nicht erkannt. Fest steht: Nach unerträglichen Schmerzen in der Nacht ging S. zu einem anderen Urologen, der ihn in eine Klinik überwies, und kurz darauf ging es um Leben oder Tod. Körpergewebe starb ab, und es entwickelte sich, wie das Oberlandesgericht es zusammenfasste, "ein septischer Schock, eine Pneumonie des rechten Unterlappens, eine schwere Gerinnungsstörung, Nierenversagen".

Die Ärzte mussten angesichts der lebensbedrohlichen Situation sofort und drastisch reagieren, und danach war Sebastian S. ein gebrochener Mann - einer der im Rollstuhl sitzt und kaum mehr Lebensfreude empfand. Frühere Freunde - und der passionierte Motorradfahrer hatte vor dem Horrorereignis gut 15 davon - wendeten sich von ihm ab. Auch seine damalige Verlobte, mit der er eine Tochter hat, verließ ihn.

Wie das Urteil zustande kam

Das alles, so sagt der Vorsitzende Richter am Donnerstag, sei ihm und seinen beiden Kolleginnen wohl bewusst, doch das ändere letztlich nichts an der Einschätzung des Gerichts, die sich vor allem auf die Dokumentation einer Gutachterin stützt. Und die kommt nun auch bei ihrer Zeugenaussage im Gerichtssaal zu dem Schluss, dem Rosenheimer Kollegen könne nicht vorgeworfen werden, er habe bei der Diagnostik Fehler gemacht - im Gegenteil habe er den Patienten sogar sehr umfangreich untersucht.

Sebastian S., der den Rosenheimer Urologen auf 500 000 Euro Schmerzensgeld verklagt hatte, sagt hingegen, sein Penis sei damals "bereits über mehrere Stunden geschwollen, bläulich verfärbt und druckschmerzhaft gewesen". Unmittelbar nach dem Arztbesuch habe er Freunden sein Geschlechtsteil gezeigt, und die könnten diesen Eindruck bestätigen. Die vom Gericht beauftragte Gutachterin kam jedoch zu völlig anderen Schlüssen. Selbst wenn der Rosenheimer Urologe auch noch eine Blutuntersuchung vorgenommen hätte, so hätte das zu keiner anderen Diagnose geführt.

Befangenheitsantrag gegen Gutachterin

Rechtsanwalt Stephan Rössler, der Sebastian S. vertritt, hatte in der ersten Verhandlung vor dem Oberlandesgericht noch einen Befangenheitsantrag gegen die Gutachterin gestellt. "Sie ist unserer Meinung nach parteiisch", argumentierte er. Das Gericht wies den Antrag ab, ordnete aber an, dass dieselbe Gutachterin vor der jetzigen Urteilsfindung noch weitere Untersuchungen durchführe.

Die änderten offensichtlich aber nichts an ihrer Einschätzung. Richter Steiner mahnte den Kläger, er solle sich mit den Ergebnissen dieser Beweisaufnahme abfinden: "Es ist irgendwann das Ende der Straße erreicht, und dem sollte man sich stellen", sagte er. Revision ließ das Gericht nicht zu.

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