Prozess:Schleuser bezahlt, Liebe gefordert

Prozess: "Ist nur meine Frau", soll der Angeklagte nach dem Angriff gesagt haben.

"Ist nur meine Frau", soll der Angeklagte nach dem Angriff gesagt haben.

(Foto: Olaf Przybilla)

Im Prozess gegen einen mutmaßlichen Messerstecher sagt die Frau aus, die er angriff. Sie waren verlobt, doch er soll sie erpresst haben. Nun fürchtet sie Rache.

Von Olaf Przybilla, Ansbach

Manchmal, sagt die Zeugin, will sie einfach nicht mehr leben. Natürlich sei sie den Ärzten dankbar, dass die ihr Leben gerettet haben, nach mehreren Operationen. Aber sie habe permanent Schmerzen, wenn sie sich bewege, trotz starker Mittel. Schnell laufen könne sie fast gar nicht mehr und Treppen steigen ebenfalls nicht. Ihre Unterkunft verlasse sie kaum noch, aus Angst vor Rache. Der Angeklagte, ihr früherer Verlobter, hat Freunde. Einer habe mal gedroht, er werde Rache nehmen, sollte der Angeklagte aufgrund ihrer Aussage ins Gefängnis müssen. Deshalb gehe sie nur noch dann ins Freie, wenn es unbedingt sein müsse. "Momentan hasse ich mein Leben", sagt die 32-Jährige.

Drei Meter entfernt von ihr starrt der Angeklagte auf den Boden. Laut Staatsanwalt soll er seine damalige Verlobte an einem Nachmittag im Mai vergangenen Jahres auf offener Straße mit einem Küchenmesser lebensgefährlich verletzt haben. Die Attacke ereignete sich mitten in Neuendettelsau, Augenzeugen haben gesehen, wie ein Mann vor einer Parkbank auf eine am Boden liegende Frau einstach, mindestens acht Mal, wie Mediziner später festgestellt haben. Zu der Zeit war die Frau im fünften Monat schwanger, der Angeklagte soll das gewusst haben. Das ungeborene Kind überlebte die Attacke nicht.

Am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Ansbach, 13 Monate nach der Tat, treffen die beiden erstmals wieder aufeinander. Anschauen muss die Frau den 38-Jährigen nicht. Ihre Anwältin Monika Goller stellt sich vorsichtshalber vor den Angeklagten, als die Zeugin den Saal betritt. Bei ihrer Vernehmung, drei Stunden am Stück, sitzt der Dolmetscher so, dass sie nicht in die Richtung ihres Ex-Partners schauen muss. Dass der mal mit ihr verlobt war, möchte sie gar nicht bestreiten. Relativieren aber schon: Kennengelernt habe sie Mohammed G. über Facebook, sie war aus ihrer Heimat Äthiopien geflohen, lebte in einer Flüchtlingsunterkunft in Beirut, einige Tausend Kilometer von ihm entfernt. Man schickte sich Fotos, darunter auch eines mit beiden Vornamen auf einer Torte. Er verstand das als Verlobung. Sie eher als Spaß. Das habe sie ihm aber nicht gesagt.

Er habe ihr dann geholfen, nach Deutschland zu kommen, indem er einem Schleuser Geld gab. Er, ebenfalls aus Äthiopien stammend, hatte das 2015 auch mithilfe eines Schleusers geschafft. Als sie in Deutschland ankam, waren die beiden in den ersten Tagen ein Paar. Bis sie in Zirndorf einen Asylantrag stellte und er sie überreden wollte, sie solle doch angeben, sie sei seine Ehefrau. Das wollte sie nicht. Sie gab dann fälschlicherweise an, er sei ihr Onkel. Danach, sagt die 32-Jährige, habe er sie in der Hand gehabt. Er habe gedroht, sie auffliegen zu lassen. Und er habe gewollt, dass sie das Geld für den Schleuser "mit Liebe" abbezahle. Darauf sei sie zunächst eingegangen, aus Angst. Bis er sie viermal vergewaltigt und geschlagen habe.

An jenen 8. Mai 2017, den Tag der Tat, kann sie sich kaum noch erinnern. Man traf sich in einer Eisdiele in Neuendettelsau, wo sie seit zwei Wochen wohnte. Er habe sie gefragt, wo sie gewesen sei am Wochenende und warum sie ihr Handy ausgeschaltet habe. Danach wisse sie nur noch, dass er sie festgehalten, ihr den Arm um den Hals gelegt und zugedrückt habe.

Was dann geschah, darüber haben Augenzeugen am ersten Verhandlungstag berichtet. Ein Buchhändler im Ruhestand kam gerade um die Ecke. Er sah, wie ein Mann mit heftigen Hieben auf eine am Boden liegende Frau einwirkte: "Ich musste das erst verarbeiten, bis ich kapiert habe." Er schlug dann in schwingenden Bewegungen mit seiner Aktentasche mehrmals gegen den Kopf des knieenden Mannes. Bis der von der Frau abließ und sich regungslos auf eine Bank setzte. "Es hat etwas gedauert", sagt der 86-Jährige, bis er reagiert habe, er sei eben nicht mehr der Jüngste. "Sie haben viel Mut bewiesen", lobt der Richter. Ein zweiter Passant hat berichtet: "Ich dachte erst und bitte das nicht misszuverstehen: Da schlägt einer seinen Hund." Er sei dann hingerannt, habe erkannt, was los ist und habe "Messer weg" gerufen. Einen Satz glaube er gehört zu haben, wisse jedoch nicht, ob der so gemeint gewesen sei, wie der Angeklagte ihn gesagt habe: "Ist nur meine Frau."

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