Prozess:Medizinstudentin belastet Bamberger Chefarzt

Fortsetzung Prozess gegen ehemaligen Bamberger Chefarzt

Der Angeklagte Heinz W. betritt am Montag den Gerichtssaal in Bamberg.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)
  • Ein Bamberger Chefarzt soll zwölf junge Frauen mit einem Arzneimittel willenlos gemacht und sie sexuell missbraucht haben.
  • Seit einem halben Jahr steht der ehemals renommierte Mediziner deshalb vor Gericht.
  • Nun sagte die wichtigste Zeugin aus: eine Medizinstudentin.
  • Ihre detaillierte Aussage belastet den Angeklagten.

Von Annette Ramelsberger, Bamberg

Die Studentin wollte in die Tanzstunde und dort gemeinsam mit ihrem Freund Discofox üben, wie schon ein paar Abende zuvor. An diesem Abend im Mai 2014 aber konnte sie sich die Schritte einfach nicht merken, ihr Freund wurde schon ärgerlich, weil sie sich nicht konzentrieren konnte. Aber sie zeigte noch weitere Gedächtnislücken: Als sie erzählen wollte, warum sie so spät gekommen war, dass sie vorher noch eine Untersuchung gehabt hatte im Klinikum Bamberg, da merkte sie, dass sie gar nichts erzählen konnte. Alles war weg, vergessen, verschwunden. Ein, zwei Stunden waren wie ausradiert.

Nur ein paar Erinnerungsfetzen tauchten auf. Sie wusste, dass sie auf einer Liege im Untersuchungszimmer von Doktor Heinz W. gelegen hatte, dem Chefarzt für Venenheilkunde im Klinikum Bamberg. Dass sie sich aufrichten wollte, aber dass ihr dabei schwindlig geworden war. Dass sie dann einen Cappuccino vor sich stehen hatte, und dann noch, dass sie in ihrem Smart über die Autobahn gefahren war zur Tanzstunde, mit 140 Sachen. Dazwischen: nichts. Das ist bis heute so geblieben.

Der Chefarzt soll zwölf junge Frauen willenlos gemacht haben

Vieles andere hat sich dagegen geändert: Die junge Frau sitzt am Montag als wichtigste Belastungszeugin vor dem Landgericht Bamberg, und Chefarzt Heinz W. sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, zwölf junge Frauen, Patientinnen und Angestellte des Klinikums, mit einem Arzneimittel willenlos gemacht und sie sexuell missbraucht zu haben. Das Mittel: Midazolam, ein Hypnotikum, das die Erinnerung löscht.

Viel Zeit ist vergangen, bis Romana S. dem Gericht ihre Sicht der Dinge erzählen konnte. Seit dem Frühjahr dauert der Prozess nun schon, und bisher hatte vor allem der Angeklagte das Wort. Er hat erzählt, wie engagiert er seinem Beruf nachging, dass er nach neuen Behandlungsmethoden suchte und dass es nie um sexuelle Motive ging. Er habe die Patientinnen nach allen Regeln der Kunst untersucht.

Seine Verteidigerriege um den Strafrechtsprofessor Klaus Bernsmann kämpft energisch für den Angeklagten: Zahlreiche Befangenheitsanträge gab es schon, gegen die Richter, die Sachverständigen, die Schöffen. Der Montag ist nun ein schwieriger Tag, nicht nur für den Angeklagten, auch für die Hauptbelastungszeugin.

Die Medizinstudentin wurde misstrauisch

Sie weiß, dass hier jeder ihrer Sätze hinterfragt wird. Und dann redet sie, sehr offen, sehr überlegt, unbeirrt, den ganzen Verhandlungstag lang. Es ist eine erstaunliche Geschichte. Romana S. hatte ihr Medizinstudium schon fast beendet, als sie im Mai 2014 im Klinikum Bamberg ihr Praktisches Jahr begann. Schon am zweiten Tag fragte sie Doktor W., ob sie an einer Studie teilnehmen würde, für die nur sehr schlanke Menschen in Frage kämen. Sie sagte zu. Er sagte, er spritze ihr ein Kontrastmittel. Danach war sie weg. Die Studentin kommt aus einer Arztfamilie. Ihr kamen die Geschehnisse so merkwürdig vor, dass sie ihr Blut in einer Klinik untersuchen lassen wollte. Doch die diensthabende Ärztin weigerte sich und rief Doktor W. an. Der beruhigte Romana S., man werde am nächsten Tag untersuchen, warum sie so stark auf das Kontrastmittel reagiert habe. Die Studentin wusste, dass sich Stoffe im Blut schnell verflüchtigen und sie deswegen nicht bis zum Tag darauf warten sollte. Noch in der Nacht traf sie sich auf einem Parkplatz an der Autobahn mit ihrem Vater, einem Internisten, er nahm ihr Blut ab, in dem sich tatsächlich Midazolam fand. W.s Anwälte fragen genau nach: Ob sie auf dem Beifahrersitz saß, welches Auto ihr Vater hat, wie viele Röhrchen Blut er abnahm? Wo sie sich genau getroffen haben? Und warum sie in einem Interview gesagt hatte, dass die Blutentnahme auf einer Autobahnraststätte stattgefunden hatte statt auf einem Parkplatz an einer Autobahnausfahrt?

Es ist nicht leicht für die Verteidigung, die Zeugin ist bestens vorbereitet. Zu gut, sagt die Verteidigung, das klinge wie auswendig gelernt. Und an den richtigen Stellen weine die Zeugin dann auch noch.

Allerdings fängt sie sich dann schnell wieder und erzählt weiter. Am Morgen nach dem Vorfall traf sie auf Doktor W., er saß im Kreis anderer Ärzte und nahm sie gar nicht zur Kenntnis. Auch im Aufzug, mit anderen Ärzten, habe er nur gefragt, ob sie noch müde sei, sagt sie. Und sie habe geantwortet, dass sie immer noch schockiert sei. Doch er sei darauf gar nicht eingegangen. "Ich hatte erwartet, dass er auf mich zukommt und wir rausfinden, was da war. Ich dachte, er würde sich auch Sorgen machen."

Sie habe ihn dann am Rande einer Operation darauf angesprochen, und als er wieder nicht reagiert habe, da habe sie anderen Ärzten erzählt, dass ihr für eine Stunde die Erinnerung fehle. Das könne vom Midazolam kommen, habe eine Ärztin gesagt - und Doktor W. gefragt: "Wie konnten Sie sie Auto fahren lassen?" Zwischendurch bekam die junge Frau einen Amazon-Gutschein von Doktor W. überreicht, über 30 Euro, für ihre Teilnahme an der Studie.

Wie sie die Verhandlung empfinde, fragt ein Beisitzender Richter. "Eine einzige Zumutung", sagt Romana S. "Die Verteidigung sieht das als sportliche Herausforderung, Recht und Unrecht zu vertauschen." Energisch verwahrt sich Verteidiger Bernsmann: "Wir haben keine einzige unziemliche Frage gestellt."

Es ist schon kurz vor 18 Uhr, da wird deutlich, dass das wirklich ein sehr wichtiger Tag war in diesem Prozess. "Die Kammer hat vor, Sie zu vereidigen", sagt der Richter zu Romana S.. "Haben Sie etwas zu berichtigen? Etwas hinzuzufügen?" Nein, sagt sie. Dann schwört sie "bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden", dass sie die Wahrheit gesagt hat.

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