Prozess:Lehrer wegen Volksverhetzung verurteilt

Der 62-jährige Angeklagte hatte Berufsschüler als "Arier" sowie als Zugehörige einer "minderwertigen Rasse" bezeichnet. "Äußerst diskriminierend", sagte die Richterin. Zudem verpasste er den Jugendlichen Stromstöße

Von Katja Auer, Kronach

Seine Schüler hätten wenigstens wissen sollen, was Strom bedeutet, sagte der Lehrer einer Kronacher Berufsschule. Schließlich lernten sie allesamt elektrotechnische Berufe. Deswegen hat der 62-Jährige seine Schützlinge zwei Stromkabel in die Hand nehmen lassen, eins in jede Hand, und hat den Regler hoch gedreht. 15 Jahre machte er das so, erzählt er, und immer sei es gut gegangen. Im Oktober 2013 nicht. Ein Schüler verletzte sich an beiden Händen, er trug Brandwunden davon. Und zeigte den Lehrer an.

Das Amtsgericht Kronach verurteilte den Lehrer am Donnerstag zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 83 Euro, also insgesamt 12 450 Euro wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt. Dass sich ein Schüler verletzt habe, sei ein tragischer Unfall gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin Claudia Weilmünster. Dennoch hätte sich der Lehrer vergewissern müssen, dass nichts passieren konnte.

Die hohe Geldstrafe muss der Mann aber nicht nur wegen der Stromschläge bezahlen. Er wurde außerdem wegen Volksverhetzung verurteilt, dieser Aspekt macht den höheren Anteil an der Strafe aus. Der Lehrer hatte im Unterricht einen blonden Schüler als "Arier" bezeichnet und einen anderen wegen seiner tschechischen Abstammung als Zugehörigen zu einer "minderwertigen Rasse, der nichts kann". Er habe unreines Blut.

Das sei "äußerst diskriminierend", sagte die Richterin und erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung. Der Schüler habe sich sehr verletzt gefühlt. Der Lehrer dagegen will mit seinen Äußerungen lediglich Begriffe aus dem Dritten Reich erläutert haben. "Ich habe im Unterricht erklärt, wo das herkommt", sagte er. Das sei aber offensichtlich ganz anders aufgenommen worden. Er habe niemanden beleidigen wollen. Sein Mandant habe sich nicht klug verhalten, sagte auch sein Rechtsanwalt Josef Geiger in seinem Plädoyer, "aber unter Volksverhetzung stelle ich mir etwas anderes vor". Der 62-Jährige sei eben ein Lehrer, der manchmal provoziere, um die Schüler zu höheren Leistungen anzustacheln. Er beantragte nur eine Verurteilung wegen Beleidigung und forderte insgesamt eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 60 Euro. Dem folgte das Gericht nicht. Es blieb aber auch unter der Forderung von Staatsanwalt Michael Imhof, der für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung plädierte. "Bei dem Angeklagten lag eine völkische Ideologie vor", sagte er. Der junge Mann habe den Anforderungen des Lehrers nicht genügt und der habe von dessen tschechischen Wurzeln gewusst. Das habe der 62-Jährige dann zum Anlass für seine Beleidigungen genommen. "Er hat den Schüler in seiner Menschenwürde massiv verletzt", sagte Imhof, und ihn auf ganz gemeine Weise runtergemacht. Dabei habe er seine Aufgabe als Lehrer "vollkommen verfehlt". Außerdem seien das nicht die einzigen ausländerfeindlichen Äußerungen des Mannes gewesen , das hätten etliche Schüler bestätigt.

Es hat vier Prozesstage und 40 Zeugen gebraucht, um die Vorwürfe aufzuklären. Beinahe die ganze Klasse erschien vor Gericht und die meisten bestätigten die Vorfälle. Doch auch wenn sie sich über den Ablauf weitgehend einig waren, fiel die Deutung von Staatsanwalt und Verteidiger recht unterschiedlich aus. Auch die der Stromversuche.

Der Lehrer beharrte darauf, dass alle Schüler freiwillig an seinen Versuchen hätten teilnehmen können und sobald das Bitzeln in den Finger unangenehm wurde, sollten sie die Kabel einfach fallen lassen. Dass sich ein Schüler dabei verletzte, sei ein blöder Unfall gewesen. Der junge Mann habe an die Kabel gefasst, als er den Versuch gerade abbauen wollte. Dabei habe er den Stromregler versehentlich hochgedreht. Er entschuldigte sich bei dem Schüler und zahlte ihm schon vor der Gerichtsverhandlung 2000 Euro Schmerzensgeld. Anwalt Geiger stellte gar den Antrag, in die Berufsschule hinüberzugehen und einen Selbstversuch zu machen. Der Lehrer erklärte sich bereit, an die Stromkabel zu fassen, er selbst werde die Regler bedienen. Dann werde klar, wie ungefährlich der kleine Stromschlag sei. Das Gericht lehnte ab. Und folgte beim Vorwurf der Stromexperimente der Verteidigung.

Der Staatsanwalt hatte eine vorsätzliche Körperverletzung des Lehrers angenommen, da eine "massive Pflichtverletzung" vorliege. Der Lehrer habe gewusst, was passieren könnte, auch wenn der Versuch jahrelang gut gegangen sein sollte. Es sei gefährlich, den Strom von einer Hand zur anderen, als quer durch den Körper und das Herz, zu jagen. Ein Gutachter hatte bestätigt, dass dies gefährlich werden könnte.

Das sei nicht vergleichbar damit, wenn jemand als Kind aus Wagemut mal an einen elektrischen Weidezaun fasse, sagte Imhof. Den Vergleich hatte der Anwalt gezogen. Auch könne von einer freiwilligen Entscheidung der Schüler nicht die Rede sein. Sie hätten die potenzielle Gefahr nicht abschätzen können und dem Lehrer mit seinem jahrelangen Wissensvorsprung geglaubt. Dabei hätte es auch andere Varianten eines Versuchs mit Strom gegeben. "Er hat von allen Möglichkeiten die dümmste und gefährlichste gewählt", sagte der Staatsanwalt.

Der Lehrer, der mehr als 30 Jahre in Kronach unterrichtete, wurde nach den Vorfällen beurlaubt. Mit einer Strafe von mehr als 90 Tagessätzen gilt er als vorbestraft, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Nun muss der 62-Jährige außerdem mit einem Disziplinarverfahren des Kultusministeriums rechnen.

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