Prozess in Nürnberg:Feuerlöscher-Werfer muss sieben Jahre in Haft

  • Weil er einen Feuerlöscher auf die Frontscheibe einer U-Bahn warf und dabei die Fahrerin schwer verletzt wurde, muss ein Fußball-Fan sieben Jahre und einen Monat ins Gefängnis.
  • Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete auf versuchten Mord. Der Mann behauptete dagegen vor Gericht, die Bahn nicht gesehen zu haben.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Erst hat er in seinem eigenen Laden getrunken, später in einer Kneipe in Gostenhof und am Hauptmarkt in Nürnberg gleich noch mal. Danach ist der 24 Jahre alte sogenannte Fußballfan in eine U-Bahn gestiegen, die zum Derby nach Fürth fuhr. Zu dem Zeitpunkt dürfte er etwa 3,8 Liter Bier intus gehabt haben. Im Waggon hat er zunächst zwei Scheiben eingeschlagen, dann einen Feuerlöscher geleert, diesen auf die Gleise geschmissen und dabei die Scheibe eines entgegenkommenden Zuges getroffen.

Mit einer "kaum zu übertreffenden Gleichgültigkeit"

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat ihn am Mittwoch zu sieben Jahren und einem Monat Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. Das Gericht hat sich damit die Auffassung der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht. Der Angeklagte müsse den entgegenkommenden Zug gesehen haben und habe trotzdem bewusst den Feuerlöscher in dessen Richtung geworfen. So habe es die Fahrerin der U-Bahn geschildert, sagt die Vorsitzende Richterin. Und das sei ihr zu glauben. Der Angeklagte habe mit einer "kaum zu übertreffenden Gleichgültigkeit gehandelt".

Der Angeklagte hat zuvor eingeräumt, das Ganze sei "unfassbar blöd gelaufen". Wobei er zugeben müsse, noch Glück gehabt zu haben, dass sich die Zugfahrerin nicht schwerer verletzt habe. Sie wurde von Glassplittern im Gesicht getroffen. Und auch das kommt dem Werfer am letzten Prozesstag über die Lippen: "Ich schäme mich wirklich dafür." Er habe da ein "primitives Verhalten" an den Tag gelegt.

"Horde halbstarker Chaoten"

Das Staatsanwalt sieht das sehr ähnlich. Für ihn hat der Einzelhandelskaufmann "eine rote Linie überschritten". Viele Menschen seien es leid, sich permanent überlegen zu müssen, ob sie sicher ins Stadion kommen. Sie hätten keine Lust auf eine "Horde halbstarker Chaoten", wie sie an jenem Tag von Nürnberg nach Fürth unterwegs war, und die sich dabei nicht entblödete, "nach Herzenslust einen U-Bahn-Wagon zu demolieren".

Auch wenn es in dem Prozess nicht darum gehen könne, ein Exempel zu statuieren und öffentlich die ganze Härte des Rechtsstaates unter Beweis zu stellen, so habe sich der Angeklagte eben doch eines schweren Verbrechens schuldig gemacht: versuchter Mord. Der Staatsanwalt plädiert für sieben Jahre Haft.

Wie die Tat ablief

Was am Tattag passiert ist, dem 11. August 2014, darüber gab es im Prozess kaum Dissens. Der Angeklagte hatte sich zu einer Gruppe von etwa 1000 martialisch gekleideten Nürnbergern gesellt, die sich am zentralen Platz der Stadt zusammengetan hatten und wenig Zweifel daran ließen, dass es ihnen nicht um einen friedlichen Nachmittag ging. In der U-Bahn überklebten sie Kameras und schlugen Scheiben ein. Irgendwann im Lauf der Fahrt wurde dem 24-Jährigen der Feuerlöscher gereicht, den entleerte er vollständig im Zug.

Von da an unterscheiden sich Anklage und Verteidigung. Für die Anwälte wollte der Angeklagte schlicht Beweismittel vernichten. Er habe wahrgenommen, dass auf dem Löscher ja Fingerabdrücke zu finden sein könnten, habe im August natürlich keine Handschuhe angehabt. Deshalb habe er den Löscher spontan aus dem Fenster geworfen, ohne den entgegenkommenden Zug gesehen zu haben.

Angeklagter will den Zug nicht gesehen haben

Versuchter Mord? Für seine Anwälte ist der Wurf ein gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr samt Körperverletzung. Zumal die Fahrerin sich nicht an die Dienstvorschrift gehalten habe und viel langsamer hätte fahren müssen. Spätestens in dem Moment, in dem sie Menschen wahrnahm, die sich aus dem Wagon lehnten. Überdies hätten Zeugen beschrieben, dass der Werfer mit dem Rücken zur Fahrtrichtung stand, den Zug also gar nicht habe sehen können.

Das sei, wie wenn einer nachts nach einem Streit vor Wut eine Blumenvase aus dem Fenster werfe. Natürlich könnte er einen treffen, aber wahrscheinlich sei es nicht. Für 18 Monate auf Bewährung plädieren die Anwälte. Der Staatsanwalt sieht das ganz anders. Die Fahrerin müsse einen "Schutzengel" gehabt haben an dem Tag, sie leide bis heute an einem Trauma. Sie habe auch keinerlei Belastungseifer an den Tag gelegt, vielmehr sogar den Eindruck gemacht, der Werfer tue ihr leid.

Und auch wenn die Fahrerin eine zunächst gemachte Aussage zurückgenommen hat, nämlich dass sie direkten Blickkontakt mit dem Werfer gehabt habe, so sei sie doch immer bei ihrer Darstellung geblieben, der Werfer habe sie sehen müssen. Wäre der Zug schneller gefahren, hätte der Feuerlöscher die Scheibe womöglich durchschlagen. Klar, der Angeklagte sei wohl einer "Gruppendynamik" gefolgt, auch enthemmt sei er gewesen, bestimmt aber nicht im Delirium.

Den Wurf wertet der Staatsanwalt als heimtückisch, für ihn ist das versuchter Mord. Immerhin, das werten alle zu Gunsten des Angeklagten: Er hat Geld bei seinen Unterstützern gesammelt und der Fahrerin 4000 Euro zukommen lassen. Als Zeichen der Reue.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: