Prozess in Memmingen:Menschenhandel mitten in Bayern

Prostitution

Straßenstrich in München. 2011 ermittelte das BKA 482 Mal wegen Menschenhandel.

(Foto: Stephan Rumpf)

Sie spielen Frauen die große Liebe vor - und zwingen sie dann zur Prostitution. Nun wurden drei Männer in Neu-Ulm gefasst, ab Mitte November müssen sie sich vor Gericht verantworten. Doch schon oft hat die Polizei Menschenhändler gefasst, musste dann aber mitansehen, wie diese freigesprochen wurden.

Von Stefan Mayr, Neu-Ulm

Pfuhl ist ein beschauliches Örtchen vor den Toren Neu-Ulms. Mit einem Golf- und Tennisklub, einem eigenen Dorffest und einem Badesee, den viele Neu-Ulmer als Naherholungsziel ansteuern. Mitten in dieser Idylle spielte sich in den vergangenen Jahren eine menschliche Tragödie ab. Vier Frauen im Alter von 18 und 19 Jahren hausten dort in einem Mehrfamilienhaus unter erbärmlichsten Bedingungen und wurden von drei Männern zur Prostitution gezwungen.

Mitte November müssen sich die drei Männer vor dem Landgericht Memmingen verantworten, die Anklage lautet auf Körperverletzung und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Das Schicksal der jungen Frauen ist alles andere als ein Einzelfall. Helmut Sporer von der Kriminalpolizei Augsburg betont, dass Menschenhandel nicht nur vor dem fernen Lampedusa stattfindet, sondern auch in Bayern zum Alltag gehört: "Pfuhl ist überall."

Das Bundeskriminalamt (BKA) zählt für 2011 bundesweit 482 Ermittlungsverfahren wegen "Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung" auf, 26 davon in Bayern. Tendenz leicht steigend. "Aber diese Statistik hat null Aussagekraft", sagt Helmut Sporer, der als Erster Kriminalhauptkommissar das Kommissariat 1 in Augsburg leitet. "Menschenhandel ist um ein Vielfaches präsenter als die Statistiken zugeben", sagt er, "das Problem ist das Erkennen."

Er geht von einer großen Dunkelziffer aus, das Problem hierbei ist: "Aus Angst sagt kaum eine Prostituierte bei einer Polizeikontrolle, dass sie unfreiwillig hier arbeitet und raus will", weiß Sporer aus eigener Erfahrung. Man könne den Tätern nur durch "unglaublich aufwendige" verdeckte Ermittlungen das Handwerk legen.

Viele Präsidien schreckenvor diesem Aufwand zurück. Obwohl die Zahl der Fälle steigt - und die Täter immer skrupelloser vorgehen. Helmut Sporer berichtet von Frauen, die noch als Schwangere auf den Strich gezwungen werden. "Es gibt für alles einen Markt", sagt der Polizist.

"Du bist die Frau meines Lebens"

Die Täter von Pfuhl gingen ebenfalls brutal vor. Wenn die Frauen sagten, sie wollen sich nicht mehr prostituieren, wurden sie geschlagen und mit dem Tod bedroht.Die drei Rumänen hatten die jungen Frauen in ihrer Heimat angesprochen und ihnen entweder die große Liebe oder einen gut bezahlten Job in Deutschland versprochen - zum Beispiel als Bedienung. Doch die vier Rumäninnen kellnerten nur sehr kurz. Weil sie kein Deutsch sprachen, hatten sie wenig Erfolg.

Daraufhin zwangen die Männer ihre Opfer zur Prostitution - um die angefallenen Kosten wieder hereinzuarbeiten, wie sie behaupteten. Die Frauen mussten auf der Straße oder im Ulmer "Eros-Center" und im Neu-Ulmer "FKK Safari" anschaffen gehen. Sie wurden von den Männern stets dort hingebracht und überwacht. Nach jedem Kundenkontakt wurde sofort das Geld abkassiert.

Einer der Angeklagten spielte gleich drei weiteren Frauen die große Liebe vor. "Du bist die Frau meines Lebens", sagte er einer Frau namens Delia am Telefon, die er nach Deutschland locken wollte. Über dieses Vorgehen wird seit einigen Jahren als "Loverboy"-Masche verstärkt in den Medien berichtet. Im November strahlt die ARD einen Schimanski-Krimi mit exakt diesem Titel aus.

"Zuhälter-Begünstigungsgesetz"

"Das ist ein neuer Name für ein uraltes Phänomen", sagt Helmut Sporer. "Die emotionale Beeinflussung junger Prostituierter gab es schon immer." Aber weil die Frauen immer jünger werden und meist ohne Sprachkenntnisse und Kontakte nach Deutschland kämen, seien sie heutzutage noch leichter zu manipulieren. Sporer fordert deshalb, dass Prostitution unter 21 Jahren verboten wird. "Damit würde man viele junge Frauen davor bewahren, in die Opfer-Rolle zu geraten."

Für Helmut Sporer kann das im Jahr 2002 eingeführte Prostitutionsgesetz als "Zuhälter-Begünstigungsgesetz" bezeichnet werden: "Es bringt die Prostituierten in eine Art moderne Sklaverei mit staatlicher Duldung." Früher seien die Frauen besser geschützt gewesen, weil ihr eigener Wille entscheidend gewesen sei. Heute werde der Zuhälter quasi einem Arbeitgeber gleichgestellt und habe ein "Weisungsrecht". Dieses sei eine Art "Freibrief" für die Männer. Sporer fordert deshalb die Abschaffung des Weisungsrechts.

Schon oft hat die Polizei Menschenhändler gefasst, musste dann aber mitansehen, wie diese freigesprochen wurden. Der Grund: Die Rechtsprechung hinkt der Realität hinterher. "Es wäre wünschenswert, wenn für eine Verurteilung nicht mehr zwingend eine Aussage des Opfers nötig wäre", sagt Sporer.

Solche Zeugenaussagen sind aus zweierlei Gründen nicht zu bekommen: Erstens wollen viele Frauen nach dem Ende ihres Horror-Trips schnellstmöglich in ihre Heimat. Zweitens haben sie nach wie vor Angst vor ihren Peinigern.

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