Prozess in Aschaffenburg:Gutachten mit Sprengkraft

Im Prozess gegen die Mutter, die ihre beiden Töchter getötet haben soll, stehen sich die Gutachten konträr gegenüber. Eine Gefahr für die Allgemeinheit stellt die Frau laut dem von der Verteidigung bestellten Psychiater nicht dar. Die Sachverständige des Gerichts sieht das anders.

Von Olaf Przybilla

Prozess - Mutter ertränkt zwei Töchter

Im Landgericht Aschaffenburg soll geklärt werden, ob eine 34-jährige Angeklagte eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellt.

(Foto: David Ebener/dpa)

Es ist der zweite Verhandlungstag im Verfahren gegen eine Frau, die ihre Kinder getötet haben soll. Und auch am zweiten Tag kommt es zu keiner Zeugeneinvernahme. Schon vor einer Woche hatten die Verteidiger das Gericht mit Befangenheitsanträgen eingedeckt. Am zweiten Tag geht es so weiter: Werden private Gutachter als Zeugen zugelassen? Hatte die Verteidigung die Akten rechtzeitig? Ist die Erstgutachterin unbefangen?

Die Kammer versucht, die Anträge möglichst rasch abzuschmettern. Immerhin ist die 34-Jährige seit einem Jahr in der geschlossenen Psychiatrie, ohne dass das Verfahren in Gang gekommen wäre. Eile ist also geboten. Als die Verteidigung beantragt, einen privaten Gutachter als Zeugen einzuführen, sieht sich die Kammer erneut gezwungen, das Verfahren auszusetzen.

Das Gericht habe dessen Gutachten in einer Sitzungspause überflogen, sagt der Vorsitzende Richter. Es kommt zu einem diametral anderen Ergebnis als die offiziell bestellte Gutachterin, die ihre Stellungnahme im Wesentlichen nach Aktenlage erstellt hat.

Das Sicherungsverfahren gegen die 34-Jährige hat eine Ebene, die zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung unstrittig ist. Die offenbar psychisch erkrankte Frau soll vor einem Jahr ihre beiden Kinder, zwei und vier Jahre alt, in der Badewanne ertränkt haben. Eine Ebene darunter aber tobt seit Monaten ein juristischer Streit, der an Schärfe zunimmt.

Der Psychiater attestiert der Frau eine Psychose

Im Kern geht es um die Frage: Ist es richtig und angemessen, so eine Frau auf unbestimmte Zeit in die hochgesicherte Abteilung einer Psychiatrie zu sperren? Oder bräuchte diese Frau nicht viel eher therapeutische Hilfe in einem dafür spezialisierten Krankenhaus? Etwa eine Traumatherapie?

Das Gutachten des von der Verteidigung bestellten Sachverständigen birgt erhebliche Sprengkraft. Denn nachdem der Arzt die 34-Jährige mehrfach untersucht hat, kommt er zum Ergebnis, von der Frau gehe "mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit" keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Ihre Aggression richtete sich vielmehr gegen die eigenen Töchter und nicht zuletzt gegen sich selbst.

Der Psychiater attestiert der Frau eine Psychose, ihre Tat sei durch einen Generationenkonflikt ausgelöst worden. Das Pikante: Dieses Gutachter zieht Aussagen und die Lebensgeschichte der 34-Jährigen ein. Das Gutachten der vom Gericht bestellten Sachverständigen tut das nicht. Mit ihr hatte die 34-Jährige nur kurz gesprochen. Und danach, als diese sich mehrere Monate nicht mehr meldete, das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit der Gutachterin verloren.

Gutachten nach Aktenlage? Da schrillen inzwischen nicht nur in Bayerns Justiz die Alarmglocken. Und noch ein Detail lässt aufhorchen. Die Wahlverteidiger der Frau, Matthias Kolb und Christina Glück, schildern eine Begebenheit nach dem ersten Verhandlungstag. Demnach hätten sie die Erstgutachterin gebeten, den Befangenheitsantrag gegen sie "nicht persönlich" zu nehmen. Diese soll geantwortet haben: Doch sie nehme diesen persönlich, nach 34 Jahren Gutachtertätigkeit.

Die Gutachterin sei offenbar "emotional betroffen", sagen die Anwälte, ein Indiz für deren Befangenheit. Die Gutachterin soll jetzt Stellung nehmen dazu, schriftlich. Und noch etwas will das Gericht geklärt wissen bis zum nächsten Mal. Nachdem die 34-Jährige sich einem Psychiater gegenüber offenbar ausführlich geäußert hat, soll geprüft werden, ob sie tatsächlich verhandlungsunfähig ist. Bislang musste sie nicht an der Verhandlung teilnehmen.

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