Prozess in Aschaffenburg:Der Wahnsinnige von Mespelbrunn

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Er bezeichnet sich selbst als Hauptmann der Spessarträuber: Alexander R. hat zugegeben, eine junge Mutter von drei Kindern erstochen zu haben. Der Prozess um eine grauenhafte Tat vor märchenhafter Kulisse steht kurz vor dem Abschluss.

O. Przybilla

Wenn es stimmt, was der selbsternannte Räuberhauptmann vor dem Landgericht in Aschaffenburg berichtet, dann ist Alexander R. ein angenehmer Gesprächspartner. Einer, der zuhört und sich nicht aufdrängt, der eine Runde bereichert, allein durch sein Niveau.

Vor der märchenhaften Kulisse des Schlosses Mespelbrunn soll Alexander R. im Juli 2008 ein grauenhaftes Verbrechen begangen haben. (Foto: dpa)

Noch kurz vor der Tat hatte der Zeuge, der sich dem Vorsitzenden Richter als Räuberhauptmann vorstellt, ein längeres Gespräch mit R. geführt. Er war ihm nachdenklich erschienen, noch nachdenklicher als sonst. Wenige Stunden später erstach R. auf dem Parkplatz vor dem Spessartschloss von Mespelbrunn eine junge Mutter von drei Kindern.

Im Gerichtssaal feixt keiner, als der Zeuge von sich als dem "Hauptmann der Spessarträuber" spricht. Auch nicht, als er angibt, im Hauptberuf eine Sparkassenfiliale zu leiten. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Frauenmörder R. hatte mehrere solch scheinbar kuriose Momente: Der Fall spielt vor einer märchenhaften, fast unwirklichen Kulisse.

Wie im Film mit Liselotte Pulver

Und manche Zeugen kennen den Angeklagten nur aus einem folkloristischen Zusammenhang. Die Tat aber, für die sich Alexander R. verantworten muss, lässt keinen Raum fürs Kuriose. Schließt sich das Gericht der Ansicht der Staatsanwaltschaft an, dann wird der 38-Jährige den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen - lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Am Mittwoch soll das Urteil fallen.

Der Leiter der Sparkassenfiliale hat vor Gericht gleich zweimal ausgesagt. Er war es, der als Erster feststellte, dass sich R. auf seiner elf Monate andauernden Flucht auch Zugang zu den Konten der Verwandten verschafft hatte. Der Sparkassenleiter war es auch, der zuvor gehofft hatte, den Eigenbrötler R. in eine Gruppe integrieren zu können: die "Mespelbrunner Spessarträuber", eine Gruppe von Laiendarstellern, die von Tagungsteilnehmern gebucht werden kann.

Das Geschäft läuft gut: Im Hotel neben dem Schloss wird konferiert, dann lassen sich die Teilnehmer im Wald überfallen. Sie singen, es wird Schnaps gereicht, wie im Film mit Liselotte Pulver. Noch wenige Tage vor der Tat hatte R. an einem solchen Überfall teilgenommen. "Wie gesagt", erklärt der Zeuge, "er wirkte noch nachdenklicher als sonst. Aber ich wusste nicht, wie ich ihm helfen kann."

Mordprozess in Aschaffenburg: An den Füßen gefesselt kommt der Angeklagte Alexander R. in den Gerichtssaal des Landgerichts Aschaffenburg (Unterfranken). (Foto: dpa)

Die 32-jährige Mutter von drei Kindern hatte Alexander R. im Hotel neben dem Schloss kennengelernt. Sie arbeitete an der Rezeption, R. half beim Rasenmähen aus oder bei anderen Kleinigkeiten. Der Angeklagte sagte während der Verhandlung fast nichts. In den Schilderungen der Zeugen aber hat sich ein Bild von ihm verfestigt: Nach dem Abitur hat R. ein Studium begonnen. Er gilt als eloquent, als einer, mit dem man über Friedrich Barbarossa genauso gut debattieren kann wie über Quantenphysik.

Irgendwas aber scheint mit ihm nicht zu stimmen. Im Jahr 1993, er ist damals 20 Jahre alt, wird der Student R. zum ersten Mal auffällig. Eine Freundin weist ihn zurück, will die Beziehung mit ihm beenden. Sie fragt auch einen Jugendpsychologen um Rat. Der analysiert, der Student R. schwanke offenbar zwischen "Genie und Wahnsinn". Als die Frau dann Schluss macht mit R., dringt er in ihre Wohnung ein. Er verletzt die Mutter mit einem Meißel und verschleppt die ehemalige Freundin, die seine Zuneigung nicht mehr erwidert, von Miltenberg nach Granada. Dort gelingt der Verschleppten die Flucht. R. wird festgenommen und muss für ein paar Monate ins Gefängnis.

15 Jahre später wohnt R. immer noch bei seinen Eltern im Spessart. Seine Cousine, die Hotelchefin in Mespelbrunn, bietet ihm gelegentlich einen Job an in dem Vier-Sterne-Haus am Schloss. Dort lernt R. auch die junge Mutter aus Klingenberg am Main kennen. Eine Woche vor der Tat schreibt R. ihr eine SMS. Sich selbst beschreibt er als "knorrige alte vertrocknete Eiche", die sich nun Hoffnung mache auf das Paradies. Die Rezeptionistin erklärt einer Bekannten, der Cousin der Hotelchefin mache ihr aufdringliche Avancen. Sie aber wolle nichts wissen von ihm. Wieder wird R. abgewiesen.

Spätestens seit Liselotte Pulver 1958 im Spessartschloss die Comtesse spielte, gilt Mespelbrunn als berühmtester Ort in der Region. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel reiht sich an Sonntagen ein Bus an den anderen. Es gab Zeiten, da war das Wasserschloss im Spessart als kitschig verschrien. In letzter Zeit aber stieg die Zahl derer, die sich mit Räuberhüten eindecken, mit Pulver-Postkarten und Spessartschnaps, Jahr für Jahr an. Seit dem Sommer 2008 ist alles ein bisschen anders. "Irgendwie ist hier das Leichte gewichen, das Unbeschwerte", klagt ein Mann vor dem Schlosskiosk, wenige Meter entfernt von der Stelle, wo am 25. Juli 2008 die junge Frau in einer Blutlache entdeckt worden ist. "Weil die Leute jetzt immer auch an den R. denken, wenn sie vom Ort Mespelbrunn hören."

Auf seiner Flucht ist R. zweimal zurückgekommen nach Mespelbrunn. Einmal wurde der gesamte Ort für Stunden abgeriegelt, vergeblich. Ein anderes Mal drang R. in das Hotel neben dem Wasserschloss ein, erbeutete Bankkarten, sperrte drei seiner Verwandten in den Keller und knebelte sie. Unter den Opfern waren auch seine Tante und seine Cousine, die ihm Arbeit gegeben hatten im Hotel.

Alexander R. hat im Prozess verlesen lassen, er übernehme die "volle Verantwortung" für den Tod der jungen Frau. Er habe sie aber nicht töten wollen. Sein erspartes Geld, es soll sich um 50.000 Euro handeln, will er den drei Kindern der Getöteten zur Verfügung stellen.

© SZ vom 22.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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