Oberbayern:Prozess um WM-Mord in Bad Reichenhall beginnt

Mord nach WM-Sieg der deutschen Fußballer

Vor dem Landgericht in Traunstein beginnt der Prozess gegen einen jungen Mann, der in Bad Reichenhall einen Rentner ermordet und eine 17-Jährige schwer verletzt haben soll.

(Foto: dpa)
  • Ein 20-jähriger Soldat soll nach dem WM-Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Bad Reichenhall einen Rentner getötet und eine 17-Jährige lebensgefährlich verletzt haben.
  • Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Traunstein der Prozess gegen den jungen Mann.
  • Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Christoph R. tötete, weil er einfach Lust dazu hatte. Der Angeklagte schweigt bislang.

Von Lisa Schnell

Es ist die Nacht des 14. Juli 2014. Vor ein paar Stunden schoss Mario Götze das Tor gegen Argentinien. Deutschland ist Weltmeister. Überall feiern die Menschen auf der Straße, fallen sich in die Arme. Die Jubelnacht der Nation - für die Anwohner der Kurstadt Bad Reichenhall wird sie zur Schreckensnacht.

Dort verlässt der 20-jährige Soldat Christoph R. um 2.15 Uhr früh seine Kaserne. Er hat kurze blonde Haare, seinen schwarzen Kapuzenpulli trägt er auf Links gedreht, sodass der blaue Aufdruck nicht erkennbar ist. Bei sich hat er ein Kampfmesser der Bundeswehr, die Klinge ist 16 Zentimeter lang und drei Zentimeter breit. Mindestens 29 Mal soll er damit auf einen 72-jährigen Rentner eingestochen haben - in den Kopf, das Auge, die Brust. Der Rentner stirbt noch auf der Straße.

Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes

So steht es in der Anklageschrift gegen Christoph R. Diesen Dienstag, genau neun Monate nach der Tat, beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen WM-Mörder vor dem Landgericht Traunstein. R. ist wegen Mordes und versuchten Mordes angeklagt. Denn der 72-Jährige Rentner war nicht das einzige Opfer.

Laut Anklage lässt R. ihn blutüberströmt liegen und zieht weiter. Am Rathausplatz sagt er Passanten, dass er gerade einen Menschen getötet hat und biegt in die Berchtesgadener Straße ein. Dort schiebt die 17-jährige Sarah F. gerade ihr Fahrrad nach Hause. R. grüßt, geht weiter. Von hinten packt er F. an den Haaren, sticht ihr mit dem Messer in den Nacken, schlägt mit dem Griff auf ihren Schädel ein. Er hört auch nicht auf, als sie vor ihm zusammenbricht. F. schleppt sich zwei Häuser weiter, weckt einen Anwohner. Nur deshalb ist sie heute wohl noch am Leben, auf dem linken Auge wird sie für immer blind sein.

Das Verbrechen sorgte in ganz Deutschland für Entsetzen. R. kannte die Opfer nicht. Sein Facebook-Profil zeigt einen jungen Mann, der gerne klettert und Rapmusik hört. Was bringt einen unauffälligen Mann dazu, anscheinend wahllos zu töten? R. selbst wird vor Gericht darauf sehr wahrscheinlich keine Antwort geben. Seit seiner Festnahme am 5. August 2014 schweigt er. "Das ist für viele unverständlich, aber sein gutes Recht", sagt sein Anwalt Harald Baumgärtl. Auch er hat von seinem Mandaten nichts zu Tat oder Motiv erfahren. Die Staatsanwaltschaft aber ist überzeugt, dass R. tötete, weil er einfach Lust dazu hatte.

Festnahme in Norwegen

Wie Christoph R. sich vor Gericht gibt, wird in Bad Reichenhall sehr genau beobachtet werden, sagt Oberbürgermeister Herbert Lackner. Seit dem 14. Juli ist die Kurstadt nicht mehr dieselbe. In der Hochstaufen-Kaserne grübeln die Soldaten bis jetzt, was in ihrem ehemaligen Kameraden vorging. "Dass er zu so was fähig sein könnte, hat keiner vermutet", sagt ein Sprecher der Bundeswehr. Mit Hilfe eines Militärgeistlichen und eines Truppenpsychologen versuchten die Soldaten den Schock zu verarbeiten.

"Viele waren sehr verängstigt, weil völlig unklar war, ob der Täter wieder zuschlägt", sagt Lackner. Trotz Spürhunden, Großfahndung und Polizeihubschrauber tappten die 70 Ermittler der Soko fast drei Wochen im Dunkeln. Erst das Bundeswehrmesser, versteckt an einem Waldrand, führte sie zur Kaserne und zum Spind von Christoph R. Dort fanden sie seinen Kapuzenpulli mit dem Blut der Opfer. R. war indes schon auf dem Weg nach Norwegen. Auf einer Landstraße nach Trondheim war er mit Rucksack und Schlafsack unterwegs. Zwei Stunden nachdem die Polizei den internationalen Haftbefehl verschickt hatte, wurde er dort festgenommen.

Viele offene Fragen

Die Stadt sei seitdem "mehr zusammengerückt", sagt Bürgermeister Lackner. Viele wollten ihre Solidarität nicht nur in Worten zeigen und sammelten eine "erhebliche Summe" für Sarah F., die die Messerattacke schwer verletzt überlebte. Seit Ende letzten Jahres arbeitet sie wieder als Auszubildende in einem Drogeriemarkt. Jetzt ist der Prozessbeginn Tagesgespräch in Bad Reichenhall. "Viele befürchten, dass der Beschuldigte am Ende nur zu einer relativ geringen Freiheitsstrafe verurteilt wird", sagt Lackner.

"Die ganz große Frage wird sein, ob das Gericht Jugend- oder Erwachsenenrecht anwendet", sagt Josef Hager, Sprecher des Landgerichts Traunstein. An diesem Montag ist R. 21 Jahre alt geworden. Stufen die Richter ihn als Erwachsenen ein und halten ihn für schuldig, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Entscheidet sich das Gericht aufgrund der besonderen Schwere der Schuld für eine Sicherheitsverwahrung, würde R. länger als die üblichen 15 Jahre in Haft sein. Die Strategie der Verteidigung werde es sein, das Verfahren auf die "Jugendrechtsschiene" zu bringen, sagt Hager. Dann käme R. nach 15 Jahren auf jeden Fall frei.

Verteidiger Harald Baumgärtl schließt auch nicht aus, dass R. schuldunfähig gewesen sein könnte. "Dass es nicht normal ablief, ergibt sich aus der Tat", sagt er. Um diese Fragen zu klären, liegt dem Gericht ein etwa 60-seitiges psychologisches Gutachten vor. In elf Tagen werden 56 Zeugen gehört, darunter Jugendfreunde und Bundeswehrkameraden von R. Das Urteil wird am 20. Mai erwartet.

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