Prozess:Anwohner in Bad Reichenhall verklagen Bauern wegen Kuhglocken

Kuh mit Kuhglocke

Eine Kuhglocke kann mit mehr als 100 Dezibel ähnlich laut wie ein Presslufthammer tönen. Das nervt Anwohner, vor allem nachts.

(Foto: Andreas Heimann/dpa)
  • In Bad Reichenhall muss das Gericht einen Streit um nächtliches Gebimmel auf der Weide schlichten: Nachbarn wollten den Lärm nicht länger hinnehmen.
  • Als die Klage zugestellt wird, rücken die Landwirte mit 150 Personen zum Haberfeldtreiben an.
  • Nun muss das Gericht den "Klassenkrieg zwischen Landwirtschaft und Zugezogenen" schlichten.

Von Matthias Köpf, Bad Reichenhall

Rita selbst scheint sich aus der ganzen Sache noch am wenigsten zu machen. Mit großem Gleichmut steht sie im Regen, zusammen mit vier anderen Mutterkühen, ein paar Kälbern und einem stattlichen Stier. Nebenan grasen Schafe. An diesem Ende ist die Weide von Wohnhäusern gesäumt, ganz in der Nähe das Trachtenheim mit dem Maibaum und das ziemlich ehrgeizig mit Zinnen versehene Marzoller Schloss.

Die einzige Glocke, die momentan zu hören ist, hängt im Kirchturm von St. Valentin und schlägt gerade Mittag. Ritas Glocke dagegen bimmelt eine Stunde später verhalten vor einem kleinen Sitzungssaal im Amtsgericht in Laufen. Und um sie geht es ja bei all dem.

Der Mann, der Rita die Glocke am Vormittag abgenommen hat, bemüht sich erkennbar, sie im Gericht nicht allzu laut anschlagen zu lassen. Aber mitbringen wollte er sie doch. Er steht hier mit seiner Frau vor Gericht, um die Sicherheit seiner Kühe und außerdem die bäuerliche Tradition zu verteidigen, so sieht er das. Ritas menschliche Nachbarn sehen es anders. Kühe gehören auch für sie auf die Weide und nicht nur in den Fremdenverkehrsprospekt. Aber von der Glocke fühlen sie sich in ihrer Nachtruhe gestört.

"De Glockn bleibt dro"

Seit fünf Sommern hat immer eine Kuh die Glocke um den Hals. Seither wurde geredet und telefoniert, es wurden Briefe unterschrieben, und vor den Fenstern bimmelte es weiter. Tagsüber, aber auch zu nachtschlafender Zeit. Meistens an Ritas Hals, der vom Riemen ein bisschen dunkler ist als ihr übriges, hell geflecktes Fell. "De Glockn bleibt dro, du konnst ja wegziang, Madame", soll es nur geheißen haben.

Im vergangenen Sommer kam dann die Klage von zwei Nachbarinnen, und als die Bauersleute sie zugestellt bekamen, da haben sie das gleich als gerichtliches Kuhglockenverbot interpretiert. 150 Leute kamen zum Haberfeldtreiben - auch so eine Tradition, die manche nicht bewahrt bräuchten. Vor allem die Nachbarn und ihr ebenfalls ortsansässiger Anwalt nicht, vor deren Häusern die Haberfeldtreiber mit umgeschnallten Glocken Krawall schlugen, wie sie im Berchtesgadener Land sonst für die Perchtenläufe verwendet werden.

Den Rat, sie könnten ja wegziehen, gab man ganz untraditionell per Megafon. Eine Klägerin, die zur Miete in Marzoll gewohnt hat, ist dem inzwischen gefolgt. Der anderen gehört ihre Doppelhaushälfte. Sie will in der Menge viele Marzoller erkannt haben, die insgeheim selber froh wären, wenn das Geläute ein Ende hätte.

Wie der Richter den Streit vorläufig schlichtete

Die Einvernahme beider Seiten durch das Privatfernsehen trug auch nicht zur Befriedung bei. Das war schon dem Amtsgericht nicht geglückt, das den Parteien einen passenden Fachaufsatz sowie Urteile von anderenorts geschickt hatte. Also war am Dienstag Amtsrichter Stefan Poller mit dem Gütetermin dran.

Die Anwälte gaben sich erst eher ungütlich. Die Bauern hätten da einen "Klassenkrieg zwischen Landwirtschaft und Zugezogenen oder Akademikern" vom Zaun gebrochen, schimpfte der eine. Kühe auf einer innerorts gelegenen, ebenen und elektrisch eingezäunten Wiese bräuchten keine Glocke, und ortsüblich sei all das schon deswegen nicht, weil es mitten in Marzoll nur noch den einen Bauern gebe und das Dorf von der Stadt Bad Reichenhall als Wohngebiet ausgewiesen sei. Und ringsum brauche auch keiner Glocken.

Die Bauern und ihr Anwalt jedoch beharren darauf, dass die Herde auch auskommen könne, und dann müsse man sie wiederfinden durch das Läuten der Leitkuh, gerade in finsterer Nacht. Richter Poller mühte sich, die Parteien im Zaum zu halten, und bat an seinen Tisch, wo an einem ausgedruckten Plan herumgedeutet wurde. Das Ergebnis ist vorläufig: Rita und die anderen fressen den Rest der Wiese ohne Glocke ab, dann wird eine 60-Meter-Zone vor den Häusern zum Kuhglocken-Sperrbezirk. Geläutet wird nur noch weiter hinten. Dann wird probegehört. Nachts, und notfalls vom Gericht.

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