Portrait:Das ganz normale Glück

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Als Levana Emmert einst erzählte, dass sie nach Nürnberg auswandern wollte, erlitt ihre Mutter einen Herzanfall. Jetzt lebt die Frau aus Tel Aviv ein erfülltes Leben in der Stadt der Reichsparteitage und Kriegsverbrecherprozesse

Von Olaf Przybilla

Vielleicht beginnt man die Geschichte von Levana Emmert mit dem Moment, als sie ihrer Mutter zu erzählen versuchte, woher ihr neuer Partner stammt. 1979 war das, in Israel. Levana Emmert arbeitete zu der Zeit in einem Hotel in Arad am Toten Meer und der Mann, von dem sie ihrer Mutter berichtete, hatte dort einen Urlaub gebucht, um eine Hautkrankheit zu kurieren. Die Mutter reagierte freudig. Ein neuer Lover, wie schön. Woher er denn stamme? Aus Deutschland. Das Gesicht der Mutter verfinsterte sich. Woher genau? Nürnberg.

Jahre später hat Emmert gelernt, dass es eine Redensart gibt im Deutschen: Jemand bekommt einen Herzanfall, etwa einer schlimmen Nachricht wegen. Die Herzattacke der Mutter aber war nicht redensartlich. Angesichts der Neuigkeiten musste sie in eine Klinik eingeliefert werden.

Fast 40 Jahre später in Deutschland, in Nürnberg-Muggenhof. Bevor Levana Emmert zu erzählen beginnt, hat sie eine Bitte. Beim Zahnarzt werde sie immer noch Frau Emmert genannt, sie könne das nicht ändern. Hier aber, in ihrem Restaurant Tel Aviv-Jaffa, werde keiner gesiezt. Sie möchte das nicht. In Isreal wird nicht gesiezt, "die Leute setzen sich zusammen und erzählen sich ihr Leben". Der Nachname spiele da keine Rolle. Also Levana, bitte.

Vier Jahre lang führten Levana Ben-Ezra und Herwig Emmert eine Fernbeziehung, bis sie 1983 ihre Sachen packte und nach Nürnberg zog. In die Stadt also, die "als Wort jeder Mensch spätestens in der Schule kennenlernt in Israel", sagt sie. Nürnberger Gesetze, Nürnberger Reichsparteitage - wenn es einen Ort gibt, der exemplarisch für die Infamie der NS-Täter steht, dann ist das diese Stadt in Franken. Ihre Freunde, ihre Familie reagierten fassungslos, sie versuchte es trotzdem. Nach einem Jahr gab sie auf. Was es genau war, dass ihr diesen Ort so schwer machte? Zwei Details fallen ihr ein: Der Moment, in dem sie versuchte, im Hauptbahnhof wenigstens einen Menschen zu finden, der Englisch spricht. Und der Augenblick, als sie in der Straßenbahn realisierte, dass die Frau mit dem Hündchen das ernst meint. Dass diese Frau tatsächlich im Begriff ist, eine Mutter mit schreiendem Säugling im Arm anzuherrschen, sie solle gefälligst dafür sorgen, dass ihr Kind ruhig ist. Weil: Der Hund werde allmählich unruhig.

Also zurück nach Israel, zunächst alleine mit den Kindern, später kam ihr Mann nach. Bis man es nach der Wende in Deutschland nochmals versuchen wollte, Orte und Menschen können sich bekanntlich ändern. Am Anfang schien es so nicht auszusehen. Der Nachbar in dem Mehrparteienhaus, in dem sich Herwig Emmert eine Wohnung anschaute, glaubte ihm diese wärmstens empfehlen zu können. "Keine Ausländer im Haus", schwärmte er.

Die Emmerts zogen trotzdem ein. Und wie das manchmal ist in Geschichten, es gibt Wendepunkte, die schwer zu erklären sind. Die einfach so passieren. Levana Emmert bereitete Essen zu für die Kinder von Tagesstätten und Schulen, sie kann fabelhaft kochen. Ob sie nicht ein Restaurant mit israelischen Spezialitäten aufmachen möchte, wurde sie oft gefragt. Aber natürlich kannte sie die Geschichten. Die etwa von dem Restaurant "Schalom" in Chemnitz, wo der Besitzer vor Jahren eine Strichliste für antisemitische Beleidigungen anlegte. Stand ja im Spiegel: Tischreservierung für 88 Personen an Hitlers Geburtstag - Strich. Eingeritztes Hakenkreuz in der Toilettentür - Strich. Schweinekopf auf Türschwelle - Strich. Es kamen enorm viele Striche zusammen in Chemnitz.

Nenne dein Restaurant in Nürnberg "Levana", empfahlen ihr Freunde. Das sei unverfänglich, und jeder kenne sie so. Aber genau das wollte sie nicht. Keine Heimlichtuerei, keine Konzessionen. "Ein bisschen Mut braucht man schon im Leben", sagt Levana Emmert und lacht laut auf. Seit sechs Jahren heißt ihr Lokal "Tel Aviv-Jaffa". Bösartigkeiten, widerwärtige Sprüche? Sie geht in die Küche, jede ihrer Mitarbeiterinnen wird jetzt einzeln befragt. Ergebnis: null, nichts. Einmal wurde die Mesusa an der Außentür geklaut, das könnten aber auch normale Diebe gewesen sein. Und einmal hat einer "free palestine" an die Hauswand gesprüht. Aber das stand im ganzen Viertel an den Hauswänden. "Und außerdem: Das hätte auch von mir stammen können," sagt Levana Emmert und lacht wieder. Auf ihrer Karte - vier frische Speisen pro Tag - mischen sich jüdische und arabische Spezialitäten. "Ich will das so", sagt sie, "das befruchtet sich doch gegenseitig."

Ist es jetzt schon eine Geschichte, wenn eine aus Isreal stammende Jüdin - Levana Ben-Ezra kam als Fünfjährige aus Marokko ans Tote Meer - Speisen aus ihrer ehemaligen Heimat anbietet und dabei in Ruhe arbeiten kann? Ja, wo sind wir denn, könnte man fragen. Andererseits: 2016 hat das "Schmock" in München geschlossen. Zu heftig wurden die Drohungen, berichtete der Inhaber, sein Auto wurde zerkratzt. Normal ist eben wenig, wenn ein Lokal "Schmock" heißt oder "Schalom".

Alltäglich ist auch das "Tel Aviv-Jaffa" nicht, nur in einem anderen Sinn. Wer Levana Emmert zuhört, wie sie die Geschichte ihres Lebensweges nach Nürnberg erzählt, der wird nicht auf den Gedanken kommen können, dass da jemand womöglich dazu neigt, Dinge zu idealisieren. Manches irritiert sie bis heute: Autorennen auf dem früheren NS-Reichsparteitagsgelände? Das Nürnberger Doku-Zentrum findet sie extrem gelungen, aber einmal im Jahr Boliden vor Nazi-Ruinen? Ist so gar nicht ihre Sache. Die 65-Jährige würde es also sagen, wenn es da ein paar dunkle Flecken gäbe in dem Lokal, das nur ein paar hundert Meter entfernt ist von dem Ort, wo Nazi-Gauleiter Julius Streicher zum Tod verurteilt wurde. "Aber da gibt es nichts", sagt sie, "ich bin einfach nur glücklich."

Warum? Levana Emmert deutet zum Fenster raus: Der Nachbar gegenüber züchtet für sie Essblumen, einfach so. Ein anderer versorgt sie mit Obst aus dem Garten. Ein Dritter gießt die Blumen, wenn sie mal nach Tel Aviv fliegt, seit Sommer gibt es Direktflüge von Nürnberg aus. Die Vierte hat ihr erzählt, sie lege sich an jedem zweiten Montag in die Wanne, öffne das Fenster möglichst weit und fühle sich dann wie in Paris. Zweimal im Monat gibt Levana Emmert Tango-Kurse im Lokal. "Dass wir andere offenbar ein bisschen glücklicher machen, ist ein großes Geschenk", sagt sie.

Ihr seligster Moment? Das weiß die Dame hinterm Tresen, ihre rechte Hand. "Weißte noch? Du hast Tage lang nur gelächelt", ruft sie rüber. Vor vier Jahren war das, Levana Emmert kam zurück vom sogenannten Kolosseum, dem Kongresshallen-Torso auf dem Nürnberger NS-Gelände. Die Symphoniker gaben dort einen lateinamerikanischen Abend, und danach war Emmert als DJ engagiert, sie legte Tango-Platten auf bis in die Nacht. Und als sie da so für Musik sorgte, kam ihr ein Gedanke, erzählt sie: "So, Adolf, ich kleine Jüdin lege hier auf. Und jetzt kannst du rotieren."

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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