Porträt: Horst Seehofer:Ein Wall aus Witz, eine Mauer des Lächelns

Der zukünftige Ministerpräsident wirkt offen und jovial. Doch ganz bei sich ist er nur bei seiner Eisenbahn.

Stefan Mayr

Wenn es um die heimlichen Leidenschaften des designierten bayerischen Ministerpräsidenten geht, dann denkt keiner an seine Modelleisenbahn. Und doch sind die 16 Züge im Keller seines Ferienhauses im Altmühltal seine wirkliche große Leidenschaft.

Horst Seehofer

Horst Seehofer: Die Modelleisenbahn im Keller ist eine wirkliche große Leidenschaft.

(Foto: Foto: ap)

Ein selbstgeschriebenes Computerprogramm lässt die Züge akkurat ihre Kreise ziehen. Und wenn Seehofer dort in seinem Keller ist, dann ist er wirklich ganz bei sich. Dann kann er alles lenken in seiner kleinen Welt, dann stört kein Konkurrent, dann gibt es keine unlösbaren Probleme, nie kommen sich zwei Züge auf demselben Gleis entgegen. Hier ist alles wohlgeordnet.

"Wenn er uns das vorführt, dann ist er in seiner Welt", sagt seine ältere Schwester Christa Woltz, 62. Eine Welt, die nur sehr wenige mit ihm teilen, seine Frau nicht, auch seine drei Kinder in Ingolstadt nicht. Dort, wo sich Horst Seehofer wohlfühlt, ist er ganz allein.

In diese geheime Welt dringen nicht viele Menschen vor. Seehofer, der joviale, offene, lässt sie nicht wirklich an sich heran. Er baut einen Wall aus Witz, eine Mauer des Lächelns. Ein Lächeln, das ihm immer geholfen hat auf seinem Weg nach oben.

Zeitungen ausgetragen

Seehofers Vater ist Lastwagenfahrer, seine Mutter Grete die starke Frau der Familie. Drei Geschwister hat Seehofer, sie wachsen arm auf. Die zwei Söhne mussten gemeinsam in einem ausrangierten Ehebett schlafen, bis der Ältere zur Bundeswehr musste.

Jeden Freitag müssen Horst und sein Bruder Dieter zur Baufirma gehen und dafür sorgen, dass der Vater die Lohntüte nach Hause bringt, ohne unterwegs das Geld zu verprassen. Am Wochenende haben die zwei Buben keine 50 Pfennig, um die Fußballspiele des MTV Ingolstadt anzusehen. "Wir haben solange vor dem Kassier gestanden, bis er uns reingelassen hat", berichtet Bruder Dieter Seehofer. Auch er hat sich hochgearbeitet und ist nun Chef der Sparkasse Ingolstadt.

Fünf Mark hat die Knabenrealschule gekostet, ans Gymnasium war nicht zu denken. Der kleine Horst verdient sein erstes Geld, indem er Lesezirkel-Zeitschriften in die Arztpraxen austrägt. Er spielt Handball und berichtet darüber unter dem Kürzel see für den Donaukurier.

Ein Teamspieler ist er schon damals nicht. "Er kann schon in der Mannschaft spielen, aber nur als Spielertrainer", sagt sein Bruder. "Als Alphatier reiht er sich nicht gerne in Reih und Glied ein."

Dieter Seehofer hat sein graues Haar gescheitelt wie sein Bruder Horst - nur nicht ganz so streng. Der jüngere Bruder, 57, fühlt sich Horst Seehofer sehr verbunden, auch im Ehrgeiz. Immer wieder haben die Brüder ihre Kräfte gemessen, beim Tippkick, beim Pfennigwerfen, bei Fußball, Handball, Schach.

Und wenn der kleine Bruder damals den Horst besiegt hat, "dann ist da schon mal eine Obstschale zu Bruch gegangen". Dass Seehofer kein besonders guter Verlierer ist, weiß auch sein Bruder.

Aber vor allem sei er ein Streber gewesen, sagt seine Schwester Christa. Er habe ständig gebüffelt und die besten Noten gehabt. Nach der Schule beginnt Seehofer eine Ausbildung am Landratsamt Ingolstadt. "Die Mutti hat ihn praktisch an der Hand zum Vorstellungsgespräch mitgenommen", sagt Schwester Christa.

Lesen Sie auf der zweiten Seite über Seehofers erste Ehe, sein uneheliches Kind und das Verhältnis zu seiner Frau.

Ein Wall aus Witz, eine Mauer des Lächelns

Der Lehrbub beginnt als Amtsbote. "Er war hochqualifiziert und superehrgeizig", sagt der ehemalige Eichstätter Landrat Konrad Regler, der ihn schnell zum Verwaltungsamtmann beförderte. Als 1971 der Vater an Krebs stirbt, ist Horst Seehofer 22. "Er hat geheult wie ein Schlosshund", sagt seine Schwester.

Porträt: Horst Seehofer: Horst Seehofer und seine Frau Karin.

Horst Seehofer und seine Frau Karin.

(Foto: Foto: dpa)

Seehofer arbeitet sich weiter nach oben. 1979 schließt er an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie München sein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt ab - als Jahrgangsbester. Und allmählich interessiert sich Seehofer auch für Politik.

Doch der Jungen Union tritt er 1969 eher zufällig bei. "Wir hatten einen Kegelabend im Kolpinghaus", sagt Hermann Regensburger, der damalige Ausbilder Seehofers und spätere Innenstaatssekretär. "Zu vorgerückter Stunde habe ich ihn überredet, auf einem Bierfilz seinen Eintritt zu unterschreiben", so Regensburger. Dabei sei es nur ums "Kegeln, Schafkopfen und gemeinsam Urlaub machen" gegangen. Die jungen Burschen hätten es halt krachen lassen. "Wenn was los war, war der Horsti dabei", so Regensburger. "Er war ein Umtreiber, die Politik war Nebensache."

Das hat sich grundlegend geändert. Heute gilt Seehofer als Polit-Junkie, der selbst dann nicht von Telefon und Computer lassen kann, wenn sein Körper streikt. Im Jahr 2002 liegt er wegen einer Herzmuskelentzündung 21 Tage lang auf der Intensivstation. Er überlebt mit Glück, erholt sich nur langsam und schwört, künftig kürzerzutreten. Er tut es nicht. Längst hat ihn die Politik so sehr infiziert, dass er nicht mehr von ihr lassen kann.

Und er wollte immer ganz nach oben. Sein früher Förderer Regensburger wollte den jungen Mann zum zukünftigen Oberbürgermeister Ingolstadts aufbauen. Doch der wollte mehr, 1980 zog er als erst 30 Jahre alter Abgeordneter in den Bundestag ein. Und kümmerte sich vor allem um die Sozialpolitik, ein Thema, das er auch persönlich mit Leben erfüllen konnte.

In der Politik becirct der junge, freundliche Abgeordnete die Menschen mit seinem Charme. Auch seine Wahlkreisbüromitarbeiterin Waltraud Meier, die ihm seit 1980 in Ingolstadt den Rücken frei hält, schwärmt: "Er ist charmant, zuverlässig und nie grantig." Fast wie in der Operette: immer nur lächeln, immer vergnügt.

Doch privat scheint Seehofers Lächeln nicht immer zu funktionieren. Die erste Ehe mit seiner Jugendliebe Christel scheitert. Die Scheidung taucht in keinem Lebenslauf auf. Seine jetzige Frau Karin lernte er im Landratsamt Eichstätt kennen. Er war Beamter, sie Verwaltungsangestellte. Weihnachten 1985 heirateten die beiden im Altmühltal. Wie seine Mutter musste auch Seehofers Frau die Familie weitgehend alleine managen. "Das war ein Alleinerziehungsauftrag", sagt sein Bruder Dieter.

Horst Seehofer selbst bekannte schon 1994 in einem Fragebogen unter der Rubrik "Ihr größter Fehler?": "Zu wenig Zeit für die Familie." Und auf die Frage, was er an seiner Frau schätze, sagte er: "Dass sie eine wunderbare Mutter und verständnisvolle Frau ist. Ich war ja fast nie da."

Ein zweites Leben

Horst und Karin Seehofer haben drei Kinder im Alter zwischen 16 und 21 Jahren, sie wohnen im Ingolstädter Vorort Gerolfing, in einem Einfamilienhaus. Doch Seehofer hat jahrelang noch ein zweites Leben.

Im Sommer 2007 bringt Seehofers Berliner Lebensgefährtin Anette Fröhlich die gemeinsame Tochter Anna-Felicia zur Welt. Er bekennt sich zu dem Kind, erklärt das Verhältnis zu der Mutter aber nach monatelangem Überlegen für beendet: "Die Familie Seehofer bleibt zusammen." Doch die Entscheidung kommt zumindest für seinen ersten Anlauf zum Vorsitz der CSU zu spät: Auf dem Parteitag 2007 erringt er - auch wegen seiner privaten Unentschlossenheit - nur einen Achtungserfolg.

"Die Krise scheint überwunden", sagt Bruder Dieter. Auf Außenstehende wirkt das Ehepaar Seehofer als kühle Zweckgemeinschaft. Eine Zweckgemeinschaft, die nun im Dienste Bayerns auftreten muss, er als Ministerpräsident, sie als First Lady.

Karin Seehofer habe ihren eigenen Freundeskreis, heißt es, mit dem habe er kaum etwas zu tun. Sie spielt regelmäßig Tennis, er greift ebenfalls gerne zum Schläger. Aber miteinander spielen sie nie. Aber natürlich lächeln sie.

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