Flüchtlinge in Bayern:Kontrollsystem vor dem Kollaps

Flüchtlinge in Bayern: In Rosenheim greift die Bundespolizei mitunter Dutzende Asylsuchende im Zug von Verona nach München auf.

In Rosenheim greift die Bundespolizei mitunter Dutzende Asylsuchende im Zug von Verona nach München auf.

(Foto: Claus Schunk)
  • Die Bundespolizei kann offenbar die starken Flüchtlingsströme nach Bayern nicht mehr richtig kontrollieren.
  • Die Polizeigewerkschaft warnt in einem Brandbrief vor einem Zusammenbruch des Kontrollsystems an den Grenzen.
  • Allein in Passau würden täglich zwischen 250 und 300 Menschen "nicht mehr erkennungsdienstlich behandelt", heißt es in dem Schreiben, das der SZ vorliegt.

Von Heiner Effern und Dietrich Mittler

Angesichts der stetig steigende Zahl an Flüchtlingen wird es für die Beamten der Bundespolizei in Bayern von Tag zu Tag schwieriger, noch alle unerlaubt Einreisenden zu registrieren. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein Brandbrief der Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor, in dem diese vor einem Zusammenbruch des Kontrollsystems an den Grenzen warnt. In Teilen ist der Kollaps offenbar bereits eingetreten.

Dem Schreiben zufolge sollen seit Jahresanfang im Revier Passau mehrere tausend Flüchtlinge bei der illegalen Einreise erwischt worden sein, ohne dass die Bundespolizei Fingerabdrücke registriert hätte, wie es das Asylverfahrensgesetz vorschreibt. Auch in Rosenheim sollen die Kapazitäten nicht ausreichen, um alle Neuankömmlinge zu registrieren.

Dass viele unerlaubt Einreisende ohne korrekte Erfassung durchschlüpften, liege nicht an der Nachlässigkeit der Beamten, sondern schlicht an der "mangelhaften Geräteausstattung" sowie an der unzureichenden Personalstärke, erklärt Jörg Radek, der für die Bundespolizei zuständige GdP-Funktionär. Nach einem Besuch in Niederbayern in der vergangenen Woche alarmierte er Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem Brief.

Allein in Passau, heißt es darin, würden täglich zwischen 250 und 300 unerlaubt eingereiste Personen von der Bundespolizei "nicht mehr erkennungsdienstlich behandelt" - sofern es sich bei ihnen nicht um Schleuser handele. Diese Vorgehensweise sei sogar von oben abgesegnet: "Das Verfahren des Absehens von der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde durch die Bundespolizeidirektion München genehmigt." Dort verweist man auf die Bundeszentrale in Potsdam, die Fragen nach dem Nichterfassen von Flüchtlingen seit dem Wochenende unbeantwortet ließ.

"Wir kommen auf dem Zahnfleisch daher"

"Unsere Belastungsgrenze ist mehr als erreicht. Wir kommen auf dem Zahnfleisch daher, das kann man schon so sagen", sagt Frank Koller, der Sprecher der Bundespolizei in Freyung, über die Stimmung der Beamten, die täglich bis zu 300 Asylbewerber registrieren sollen. Allerdings distanziert er sich von Radeks Aussage, die Flüchtlinge könnten nicht mehr sorgfältig erfasst werden. "Wir registrieren sehr wohl jeden unerlaubt Eingereisten, den wir aufgreifen." Jedoch könne es durchaus sein, dass die Bundespolizisten auf die Speicherung der Fingerabdrücke und der Fotos verzichte. "Die Leute werden von uns ja in gecharterten Großraum-Bussen zur Deggendorfer Erstaufnahmestelle für Asylbewerber gebracht und dort registriert", betonte Koller.

Auch in Rosenheim kann oder darf niemand offiziell bestätigen, dass die Erfassung von Asylsuchenden nicht mehr gewährleistet werden kann. Das muss auch niemand, weil die Zahlen für sich sprechen. Für die Registrierung gibt es drei sogenannte Bearbeitungsstraßen, die sich aus den Abschnitten Durchsuchung, Foto und Fingerabdrücke sowie Vernehmung zusammensetzen. Bei einem 24-Stunden-Betrieb ohne Essens- oder Toilettenpause könnten die Rosenheimer am Tag durchschnittlich gut 100 Personen gesetzeskonform erfassen. An Tagen mit normalem Betrieb kommen dort aber 150 bis 200 an, zu Hochzeiten 400 und mehr.

Die Kollegen erschienen morgens zum Dienst und würden in die voll besetzte Turnhalle der Bundespolizei blicken, in der die Flüchtlinge auf ihre Vorsprache warteten, sagt Sprecher Rainer Scharf. Wenn sie abends den Dienst beendeten, sei die Turnhalle fast genauso dicht besetzt wie am Morgen. Die nur notdürftig erfassten Flüchtlinge würden in der Regel mit dem Zug nach München zur Erstaufnahmestelle geschickt, sagt Sprecher Scharf. Eigentlich müsste per Rücklauf die Nachricht kommen, ob diese dort angekommen sind.

Doch auch das sei bei der Masse nicht mehr zu kontrollieren. Wie in Passau der Weg nach der Bundespolizei geregelt ist, darüber gibt es widersprüchliche Aussagen. Die GdP schrieb an den Bundesinnenminister, die Aufgegriffenen würden nach dem Datenabgleich wieder laufen gelassen, wenn gegen sie keine Vorwürfe vorliegen - mit der Maßgabe, sich selbst zu einer Erstaufnahmestelle für Asylbewerber zu begeben. "Ob dies erfolgt oder nicht und ob sich die Person dort oder an einem anderen Ort mit dem angegebenen oder einem anderen Namen melden oder nicht, bleibt ungewiss", schrieb Radek.

Illegale Einwanderer

Routine: Flüchtlinge müssen bei der Einreise nach Deutschland ihre Fingerabdrücke abgeben.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Ausstattung der Dienststellen entspricht "nicht ansatzweise dem Bedarf bei anhaltenden Massenschleusungen", warnt er. Ein bisschen besser soll es in Kürze werden: In Rosenheim soll eine vierte Straße eröffnet werden, in Deggendorf startet in den kommenden Tagen der Probebetrieb für ein zusätzliches Registrierungssystem. Dennoch würden sich viele Bundespolizisten bei ihrer Arbeit die Sinnfrage stellen, schreibt die GdP, besonders da die Straftat der illegalen Einreise, die die Beamten aufnehmen müssten, so gut wie nie rechtliche Folgen habe. Die Verfahren würden in der Regel ergebnislos eingestellt.

Das bayerische Sozialministerium, zuständig für die Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber, sieht in des keinen Grund zur Aufregung: "Die Asylbewerber kommen auf vielen Wegen in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern an - und nur ein Weg unter vielen führe zuvor über die Bundespolizei", sagte eine Sprecherin am Dienstag.

"Alle Asylbewerber, die in einer der bayerischen Erstaufnahmeeinrichtung ankommen, werden registriert - unabhängig von ihrem Weg dorthin." Das bayerische Innenministerium äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht.

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