Polizeiaufgabengesetz:Der massive Protest beunruhigt die CSU

Klausurtagung des CSU-Vorstands - Ministerpräsident Söder, Parteichef Horst Seehofer und Generalsekretär Markus Blume.

Da lang: Ministerpräsident Söder schaltet sich beim PAG selbst ein. Parteichef Horst Seehofer (Mitte) und Generalsekretär Markus Blume assistieren.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Trotz der massiven Demonstrationen will die CSU das Polizeiaufgabengesetz am Dienstag ohne Änderung im Landtag verabschieden.
  • Ministerpräsident Markus Söder will Ruhe in die Debatte bringen, verspricht eine "Informationsoffensive" und eine "Dialogreihe" etwa in Schulen und Hochschulen.
  • Die Opposition fordert weiterhin, das Gesetz zu stoppen.

Von Wolfgang Wittl

Der Friedensengel kommt um kurz vor halb zehn, und zwar in Gestalt einer irdischen Person, die man in dieser Rolle eher nicht vermuten würde. Er schwebt nicht von oben ein, sondern biegt mit dem Dienstwagen vom Mittleren Ring ab. Er hat keine goldenen Locken, sondern dunkles Haar mit wachsendem Silberanteil. Das einzig Weiße, das er bei sich trägt, sind keine Flügel, sondern ein Zettel zwischen den Zähnen, während er auf der Straße in seine Anzugjacke schlüpft. Der Zettel verdient Beachtung, denn eigentlich spricht Markus Söder immer frei, wenn er in der CSU-Zentrale vor die Mikrofone tritt. Jetzt aber hat er sich Notizen gemacht, sicher ist sicher, der Auftritt muss sitzen.

Offiziell ist der CSU-Vorstand am Samstagvormittag zusammengetreten, um die Strategie für den Landtagswahlkampf festzuzurren. Generalsekretär Markus Blume hat ein paar knackige Sätze formuliert, mit denen sich die CSU vor allem die AfD vorknöpfen will. Doch das beherrschende Thema ist ein anderes.

Gut zehn Minuten spricht Söder über das Polizeiaufgabengesetz (PAG), das die CSU am Dienstag im Landtag verabschieden will - und gegen das so viele Menschen auf die Straße gehen. Mehr als 30 000 demonstrierten am Donnerstag in der Münchner Innenstadt, ein breites Bündnis mit mehr als 80 Parteien und Verbänden hat sich gegen das PAG zusammengeschlossen. Am Samstag sind es wieder 2000 im Freistaat, die meisten protestieren in Bamberg, während die CSU in München über ihren Wahlkampfplänen brütet.

Noch züngelt das Feuer des Widerstands vor allem in den Städten, aber niemand weiß, ob daraus ein Flächenbrand wird. Seit Wochen versucht die CSU, die Debatte über dieses Gesetz, das die Befugnisse der Polizei mitunter erheblich erweitern wird, in den Griff zu bekommen. Vergeblich. Auch deshalb nimmt sich der Ministerpräsident der Sache jetzt selbst an. Söder will Ruhe in diesem Konflikt. Aber nachgeben will er auch nicht. Was tun?

Auf dem Zettel steht eine genau abgewogene Botschaft. Ja, das Gesetz sei "notwendig", dreimal verwendet Söder dieses Wort in einer Minute. Es diene der Sicherheit der Bevölkerung, es soll Opfer verhindern, "es ist eine reine Aufgabe für den Schutz des Lebens". Amokläufe, Terrorismus, Stalking - die Polizei brauche bessere Möglichkeiten, um auf Bedrohungen reagieren zu können. Das PAG kommt also wie geplant, das ist Teil eins der Söderschen Botschaft. Teil zwei setzt auf Deeskalation. "Wir nehmen die Sorgen ernst", es gebe "offenkundig viele Missverständnisse", "wir garantieren die Rechtsstaatlichkeit".

Mit einer "Informationsoffensive" will Söder die Debatte beruhigen, eine "Dialogreihe" soll dabei helfen. Polizisten sollen etwa an Schulen und Hochschulen aufklären, wie das PAG in der Praxis aussehe. Gerade die Proteste der Jüngeren bereiten der CSU Sorgen. Parallel dazu will Söder eine Kommission aus Datenschützern, Verfassungsrechtlern, "ehemaligen Polizeipraktikern" und Bürgerbeauftragten einsetzen, sie soll das Gesetz in den kommenden Monaten begleiten. Die Kommission soll dem Landtag berichten, verklausuliert stellt Söder sogar eine Gesetzesänderung in Aussicht. Man werde "das Ganze evaluieren und weiterentwickeln". Es habe ihn bewegt, sagt Söder, dass sehr viele Menschen "eine große Unsicherheit und eine große Angst" vor dem PAG hätten. Darüber müsse man reden.

Die Gegenrede der Grünen kommt sofort, ein engelsgleiches Friedensangebot können sie nicht erkennen. Söder verteile nur "Beruhigungspillen", kritisiert Fraktionschefin Katharina Schulze, "absolut unglaubwürdig" sei die Sache mit der Kommission. "Es ist eine alte Strategie der CSU, Evaluierungen und eventuelle spätere Anpassungen zu versprechen, aber nie umzusetzen", sagt Schulze. Das sei in anderen Fällen auch so gewesen. "Wir lassen uns aber nicht mit einem Löffel Baldrian beruhigen."

Momente der leichten Distanzierung

SPD-Landeschefin Natascha Kohnen fordert die CSU auf, das PAG zurückzuziehen. Sie wirft Söder groteskes Vorgehen vor. Zum einen eine offene Diskussion anzukündigen, zum anderen vollendete Tatsachen zu schaffen, "das ist ganz schlechter politischer Stil", sagt Kohnen.

Dass die CSU das PAG am Dienstag verabschieden wird, daran lässt Söder keinen Zweifel. Es gibt aber Momente, in denen leichte Distanz aufblitzt. Das Gesetz sei ja schon im vergangenen Jahr begonnen worden, sagt Söder, es stamme also "nicht unmittelbar aus meiner Regierungszeit". Und "dass die Information offensichtlich nicht so erfolgreich war wie gedacht", das sei "ja seit Wochen klar". Das kann man als Spitze gegen Innenminister Joachim Herrmann werten, der das PAG zu vertreten hat. Nach der Großdemonstration in München hatte Herrmann die Diskussion verschärft, als er von "Lügenpropaganda" sprach, die "unbedarfte Menschen in die Irre geführt" habe.

Womöglich ein Resultat seiner Gemütslage, heißt es in der CSU. Herrmann fühle sich von den heftigen Protesten persönlich getroffen. Im Grunde gehöre der Innenminister ja zu den Liberalen in der Partei, müsse aber am meisten Kritik einstecken. Bei der Strategieklausur fehlte Herrmann, er besuchte am Wochenende den Katholikentag in Münster. Die Staatsregierung und der Ministerpräsident stünden hinter Herrmann und dem Gesetz, sagte Söder.

Im Parteivorstand bekam Söder für seinen Kurs Rückendeckung. Schon wegen der AfD könne die CSU beim Polizeigesetz nicht mehr zurück, sagte ein Vorstandsmitglied. Anders als bei der Bundestagswahl sucht die CSU jetzt die Frontalkonfrontation mit der Partei am rechten Rand. "Wir werden einen harten Kampfkurs gegen die AfD fahren", kündigt Generalsekretär Blume in einem Strategiepapier an. Nur die CSU habe das "Bayern-Gen", könne Interessen des Freistaats vertreten. Bei der SPD sei "die eigene Orientierungslosigkeit Programm", bei der FDP "Verantwortungslosigkeit". Grüne träumten von "Multi-Kulti, Wertegleichgültigkeit und Ökofundamentalismus", die Freien Wähler betrieben "Freibierpopulismus". Aber alle Parteien gelten in der CSU als "politischer Wettbewerber", das Prädikat "politischer Gegner" erhält nur die AfD. Wer Hass säe und die Gesellschaft spalte, "dem sagen wir: Brauner Schmutz hat in Bayern nichts verloren!"

Das Ziel der CSU ist offensichtlich: Wähler von der AfD zurückholen, ihre Funktionäre als unwählbar brandmarken. Sie will die Grundsatzdebatten jetzt führen, nicht in den letzten Wochen des Wahlkampfs. "Die AfD ist ein Feind von allem, für das Bayern steht", heißt es in dem Papier weiter. Das Spektrum der CSU sei ohnehin wesentlich breiter, sagte Parteichef Horst Seehofer. "Dort, wo die AfD Irrwitziges vertritt, und das ist nicht wenig, werden wir sie stellen, das ist klar. Aber ansonsten werben wir für unsere Politik und für die bürgerliche Mitte."

AfD-Chef Jörg Meuthen entgegnete, seine Partei sei klar konservativ, bürgerlich-freiheitlich und patriotisch. "Die Verzweiflung in der CSU muss sehr groß sein, wenn sie das als unbayerisch bezeichnet."

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