Politspektakel auf dem Gillamoos:Kraftmeierei im Bierzeltdunst

Wie Beckstein, Maget, Daxenberger und Westerwelle um die Lufthoheit über Niederbayerns größtem Sommer-Stammtisch ringen.

Ch. Burtscheidt, S. Mayr, O. Przybilla und K. Auer

Drei Wochen noch, dann wird in Bayern der Landtag gewählt. Der Kampf um die Wählerstimmen verschärft sich, am vor allem in den Bierzelten. Gleich fünf davon gibt es beim Gillamoos-Volksfest in Abensberg. Dort luden die Parteien am Montag zum politischen Frühschoppen.

Politspektakel auf dem Gillamoos: Das "Traumpaar" der Freien Wähler, Hubert Aiwanger und Gabriele Pauli, im Kampf um Stimmen: "Es ist nicht länger hinnehmbar, dass eine Alleinregierung sich benimmt, als würde ihr der Staat gehören."

Das "Traumpaar" der Freien Wähler, Hubert Aiwanger und Gabriele Pauli, im Kampf um Stimmen: "Es ist nicht länger hinnehmbar, dass eine Alleinregierung sich benimmt, als würde ihr der Staat gehören."

(Foto: Foto: Reuters)

10.02 Uhr: Gabriele Pauli kommt. Giftgrünes Dirndl, weiße Pumps. Sie ist der Überraschungsgast im Weißbierstadl bei den Freien Wählern. Der Applaus ist stark und freundlich. Doch das Klatschduell geht eindeutig an den Landesvorsitzenden Hubert Aiwanger. Als er erscheint, erklingen ,,Hubert, Hubert-Rufe''. Bevor die Veranstaltung beginnt, gehen Aiwanger und Pauli kurz nach draußen. Koordination tut offenbar not.

10.05 Uhr: Weil die Freien Wähler sie im Weißbierstadl überboten hatten, sind die Grünen erstmals seit 20 Jahren nicht in einem Zelt auf der Festwiese. Die "Jungen Grünen" sorgen dennoch für Präsenz ihrer Partei. In weißen Overalls und mit Trillerpfeifen tragen sie ein Anti-Atomkraft-Plakat durch die Gassen.

10.10 Uhr. SPD-Spitzenkandidat Franz Maget schiebt sich mit einem Tross örtlicher Parteifreunde durch den Gang des vollen Jungbräu-Zeltes. Für den Fraktionsschef gibt es nur spärlichen Applaus. Den Genossen scheint der spektakuläre Coup vom Tag zuvor noch in den Knochen zu stecken: Parteichef Kurt Beck zurückgetreten, Franz Müntefering als neuer Parteivorsitzender nominiert, Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat. Maget ist um gute Laune bemüht, begrüßt jeden per Handschlag. Die örtliche SPD-Spitzenkandidatin Johanna Werner-Muggendorfer legt sich ins Zeug, um im Festzelt die Stimmung anzuheizen: "Jetzt seids bei den Roten, jetzt seids ned verkehrt", begrüßt sie die Leute. Doch die Pointen wollen nicht sitzen. Selbst die Wellküren können mit ihrer Stubnmusi da wenig rausreißen. Immerhin gibt es von ihnen eine klare Wahlempfehlung: "Wenn der Franz so gut Politik macht, wie er schafkopfen kann, dann kann hier nichts mehr schief gehen."

10.31 Uhr: FDP-Generalsekretär Martin Zeil betritt die Bühne im Weinzelt. Er greift zur Maß Bier und versucht die Verbrüderung mit den Gästen "Jetzt trink ich erst einmal auf den Freistaat Bayern." Danach äußert er sich eindeutig zur Zeit nach der Wahl - und erteilt dabei einer Zusammenarbeit mit SPD, Grünen und Freien Wählern eine Absage: "Ein buntes Regenbogenbündnis kann nicht regieren", sagt er, "Bayern braucht keine Selbsterfahrungsgruppe mit politischen Geisterfahrern." Die SPD bezeichnet er angesichts des Führungswechsels als "völlig orientierungslos und verzweifelt in Berlin und in Bayern". Und dann wettert er ebenso heftig gegen die CSU.

10.45 Uhr: Hubert Aiwanger tritt mit hochgekrempelten Hemdsärmeln ans Rednerpult. Er fordert ,,das Ende der Leidengeschichte der CSU-Alleinherrschaft'' und macht ebenfalls eine Art Koalitionsaussage: ,,Wir reden mit allen vernünftigen Bayern, denen Bayern am Herzen liegt. Und bei der CSU ist die Vernunft zurzeit nicht zuhause.'' Aiwanger endet mit den Worten: "Wir brauchen eine neue Ära, wir müssen die Weichen für ein besseres Bayern stellen. Bayern hat es verdient, Sie haben es verdient, Glück auf, es lebe Bayern." Alle Zuhörer erheben sich und klatschen. Alle, bis auf Gabriele Pauli. Sie bleibt sitzen, klatscht kurz und schreibt dann Autogramme.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie SPD-Spitzenkandidat Franz Maget die CSU attackiert und Marga Beckstein für Aufregung sorgt.

Kraftmeierei im Bierzeltdunst

10.50 Uhr: Die Genossen sitzen reglos auf den orangen Holzbänken und starren auf ihre Maß. Jetzt wird es Zeit für die Rede ihres Spitzenkandidaten. Denn eines kann Franz Maget, reden ohne Punkt und Komma. So tritt er in seiner schwarzen Lodenjacke auf das Podium und hebt zum Angriff gegen die CSU an. "Nach 50 Jahren Alleinregierung braucht es endlich einen Neuanfang für Bayern", ruft er in die Menge hinein. Und um alle Zweifel auch bei jenen noch aus dem Weg zu räumen, die nicht wissen, wo sie am 28.September ihr Kreuz machen sollen, sagt er: "Die tun so, als hätten sie den Chiemsee persönlich ausgehoben und die Alpen aufgeschüttet", doch Bayern werde ohne die CSU nicht untergehen.

Franz Maget, SPD, Getty

SPD-Spitzenkandidat Franz Maget: "Die CSU muss endlich einen auf den Deckel kriegen, und zwar saftig! ... Nach über 50 Jahren Alleinregierung der CSU braucht es einen Neuanfang."

(Foto: Foto: Getty)

10.59 Uhr: Bevor der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle das Weinzelt betritt, sagt er in die Kameras: "Die Chancen der FDP sind so gut wie seit der Deutschen Einheit nicht mehr." Auf der Bühne bezeichnet er CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein als "Fall für die medizinische Behandlung", weil er jetzt "Unterschriften gegen sich selbst" sammle. Er spielt auf den Plan der CSU an, die von der großen Koalition abgeschaffte Pendlerpauschale wiedereinzuführen.

11 Uhr: Maget muss noch etwas zu dem spektakulären Machtwechsel an der Spitze der SPD sagen. Darauf warten sie. "Das ist ein Mann voller Saft und Kraft. Das ist mein Mann, dem vertraue ich. Der wird uns helfen", sagt er zum designierten Parteichef Müntefering. Das sind nicht nur Worte, um die Partei zur Geschlossenheit aufzufordern. Dem Fraktionschef ist in dem Moment die Erleichterung anzusehen, dass er nicht mit einem Kurt Beck in den Endspurt des Wahlkampfs ziehen muss.

Doch er weiß um die Stimmung in seiner Partei, in der das nicht alle begrüßen. Und so sagt Maget auch: Beck habe seine Sache gut gemacht. Es sei ungerecht gewesen, wie man mit ihm umgegangen sei. Zugleich warnt er aber auch vor neuen Grabenkämpfen in der SPD. Man müsse aufpassen, dass man sich den neuen Vorsitzenden nicht wieder kaputtreden lasse.

11.10 Uhr: Hat sie oder hat sie nicht? Nein, Marga Beckstein trägt kein Dirndl. Der örtliche CSU-Landtagsabgeordnete Martin Neumeyer hat das sogleich erkannt und will offenbar nicht umhin, dies nun vor versammeltem Festzelt anzusprechen. Macht doch nichts, sagt Neumeyer, er habe sich auch für den Anzug entschieden - der lieben Frau Ministerpräsidentin zuliebe, sozusagen. Frau Beckstein, sie trägt gestricktes Blouson und einen weiten Rock, nimmt den nächsten Höhepunkt der innerbayerischen Dirndldebatte mit stoischer Miene zur Kenntnis. Ihr Gatte hat sich in eine graue Joppe gezwungen. Als er zu reden beginnt, beginnt Frau Beckstein sich Notizen zu machen. Mit der Rede des Gatten scheinen sie wenig zu tun zu haben. Auch zu Zwischenapplaus lässt sich Marga Beckstein selten animieren. Dafür sorgt ja schon Neumeyer, der Landtagsabgeordnete.

11.15 Uhr: Gabriele Pauli darf auch reden. Sie lobt die "wahnsinnig schöne und engagierte Rede" Aiwangers und betont: "Ich unterstütze dich gerne." Die Freien Wähler seien "die einzigen in Bayern, die nicht im Filz und in Netzwerken hängen.'' In Anspielung auf Becksteins Aussage, jeder anständige Bayer wähle die CSU, sagte sie: "Wir brauchen jetzt endlich anständige Politiker an der Macht."

11.16 Uhr: Am Ende einer langen Wahlkampfrede ist es Maget gelungen, die Genossen vorübergehend aus ihrer Lethargie zu reißen. Sie spenden dem Redner stehend Applaus. Maget ballt die Fäuste. Dann wird die Bayernhymne angestimmt, die Sozialdemokraten stehen auf. Ihr Spitzenkandidat legt die Hand aufs Herz um zu demonstrieren, dass er ein anständiger Bayer sei, dem man die Regierungsverantwortung auch in einem konservativen Land anvertrauen könne.

11.40 Uhr: Der Beifall fällt insgesamt dünn aus. Obwohl Beckstein ins Mikrofon brüllt, als würde er dessen Funktionsfähigkeit in Frage stellen wollen, ist am Zelteingang kaum etwas zu hören, so laut unterhalten sie sich dort. In der Zeltmitte fangen sie nach 20 Minuten an, sich weißblaue Bälle zuzuschmeißen. Nur gelegentlich brandet Jubel auf: als Beckstein der SPD eine "gscheide Watschn" wünscht, unter 15 Prozent, das gehöre den Sozis. Ein paar "neue Gesichter jetzt", ansonsten werde sich nichts ändern bei denen. Steinmeier solle nun auf den Verzicht Gesine Schwans als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten hinwirken. Er, Beckstein, habe den Eindruck, der SPD-Kanzlerkandidat fliege "überall in der Welt herum", nur um sich nicht grundsätzlich zum Fall Ypsilanti äußern zu müssen.

11.45 Uhr: Als letzte melden sich die Grünen im Wirtshaus Kuchlbauer zu Wort. Vor etwa 200 Leuten wiederholt der Landesvorsitzende Sepp Daxenberger immer wieder das Leitmotiv seiner Rede: "Die CSU versemmelt die Zukunftsfähigkeit Bayerns." Zum Beispiel durch die Bildungspolitik: "Ein Drittel aller bayerischen Schulkinder hat Angst vor dem Versagen in der Schule", kritisiert Daxenberger. "Versagensangst ist eine Managerkrankheit, verdammt noch mal,", wettert er, "Kinderkrankheiten sind Mumps und Röteln." Als Schlusswort ruft er den jubelndem Publikum zu: "Wir retten die Gletscher und schmelzen die CSU."

11.45 Uhr: Am Ende erntet Beckstein zwar einige "Günther, Günther"-Zurufe, das Zelt aber hat sich merklich geleert. Auf dem Herrenklo lassen sie ihrer Enttäuschung freien Lauf. "Er ist halt ned der Stoiber", sagt einer. Es ist als Verteidigungsrede auf Beckstein gedacht. "Der Beckstein?", sagt ein anderer, der eigens aus Bad Gögging gekommen ist, "der bekommt hier temporäres Asyl, mehr nicht." Warum? "Im Bierzelt bringt er's einfach nicht, dieser Franke."

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