Politik:Schrecksekunden in der Staatskanzlei

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Umringt von Besuchern wurde es Horst Seehofer schummrig. (Foto: Catherina Hess)

Beim Tag der offenen Tür erleidet Horst Seehofer einen Schwächeanfall. Es ist nicht das erste Mal, der Ministerpräsident schont sich nicht

Von Thomas Schmidt, Lisa Schnell, München

Es ist die perfekte Harmonie. Im Kabinettssaal der Staatskanzlei lehnen unterleibslose Pappaufsteller auf den Stühlen rund um den hölzernen Konferenztisch. Pappkamerad Seehofer lächelt Pappkamerad Söder zu. Kein böses Wort fällt, nicht die kleinste Schmutzelei. Stumme Seligkeit unter Pappkameraden, so friedvoll. Einige ihrer Kabinetts-Pendants aus Fleisch und Anzug streifen durch das Gebäude, schütteln Hände, halten Vorträge, lächeln viel. Gemeinsam mit Landtag und Verfassungsgerichtshof hat die Staatskanzlei einen Tag der offenen Tür veranstaltet. Eigentlich ein Erfolg: Tausende strömen herbei, wuseln durch das Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten, Kleinkinder knabbern an Parlamentspulten während sich ihre Eltern die Demokratie erklären lassen. Doch dann geht etwas schief.

Ministerpräsident Horst Seehofer - der echte, nicht der aus Pappe - erleidet einen kurzen Schwächeanfall vor Publikum. Im Kuppelsaal der Staatskanzlei soll der 67-Jährige von zwölf bis 13 Uhr eine Bürgersprechstunde abhalten. Seehofer erscheint überpünktlich um 11.58 Uhr und geht dann scheinbar entspannt auf Fragen aus dem Publikum ein. Als sich eine Frau gerade über Finanzminister Markus Söder beklagt, witzelt Seehofer noch: "Wer ist das?" Schon ist sie dahin, die Harmonie der Pappkameraden.

Kurz darauf, um 12.27 Uhr, sackt Seehofer plötzlich in sich zusammen. Wenn ihn die zwei Männer hinter ihm nicht aufgefangen hätten, wäre der Ministerpräsident gestürzt. Sofort richtet sich Seehofer wieder auf, hält sich am Rednerpult fest und blickt für einige Sekunden schweigend auf sein schweigendes Publikum. Dann sackt er erneut weg, reißt beinahe das Pult mit sich. Mitarbeiter stützen ihn, helfen Seehofer auf einen Stuhl, geben ihm ein Glas Wasser. Auf die Frage, ob man die Sprechstunde nun besser abbrechen solle, antwortet er nur: "Bitte weitermachen." Zwei Sanitäter werden gerufen, greifen aber nicht ein.

Kurz darauf kann Seehofer weitermachen, erst im Sitzen, später auch wieder im Stehen. Aus dem Publikum bekommt er dafür Applaus - nicht euphorisch, eher zurückhaltend besorgt. Er entscheide immer noch selbst, wie lange er hier spreche, stellt der Ministerpräsident klar, als er erneut gefragt wird, ob man nicht zehn Minuten eher Schluss machen solle. Das Sicherheitspersonal ist sichtbar nervös, doch der CSU-Chef hält ohne Ausfälle bis 13 Uhr durch. Fast als wäre nichts gewesen.

Seehofer war in den vergangenen Tagen erkältet, heißt es aus seinem Umfeld. Trotzdem habe er ein wahnsinniges Tempo hingelegt. Anfang der Woche Parteitermine in München, dann mit dem Auto nach Berlin. Dort ging es von einem Gespräch zum nächsten. Bis tief in die Nacht war er bei einer Mediennacht, führte Verhandlungen mit der Großen Koalition zur Rente, war im Bundesrat. Dann zurück nach München zum Tag der offenen Tür. Erst im Landtag zwei Stunden Autogramme, Selfies, Händeschütteln, dann ab in die Staatskanzlei. Dort ist der Kuppelsaal voller Menschen, die Luft ein wenig stickig. Schon früher waren das die Situationen, in denen ihm kurz schummrig wurde, etwa bei der Klausurtagung Anfang 2016 in Wildbad Kreuth. Auch bei den Bayreuther Festspielen im Sommer klagte er über Unwohlsein.

Eine Kreislaufsache, nichts Ernstes, heißt es am Samstag aus der Partei. Bei dem hohen Pensum ganz normal. Seehofer mache in letzter Zeit gesundheitlich einen sehr stabilen Eindruck. Sicher, seine Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, könnte auch einen persönlichen Aspekt haben, vermuten manche. Hauptsächlich aber sei es eine politische Strategie.

Seehofer kennt seine Schwachstelle. Räume, in denen die Luft steht und ein rechter Tumult ist, verlässt er deshalb gerne schnell. Er schont sich aber auch nicht. Wenn es dann manchmal zu viel wird, wie nun am Samstag in der Staatskanzlei, setzt er alles daran, nicht schwach zu wirken. Nach ein paar Minuten fängt er sich meistens wieder. So auch diesmal. "Es gibt keine politische Karriere ohne Narben und Verwundungen", sagt er 15 Minuten nach seinem kurzen Schwächeanfall. Er meint damit Angela Merkel, denn jemand aus dem Publikum hat ihn gerade nach seinem Verhältnis zur Kanzlerin befragt. Doch die Antwort passt in diesem Moment auch sehr gut zu ihm selbst.

Während all das passiert, schiebt sich andernorts im Gebäude eine Menschenschlange durch Seehofers Arbeitszimmer, das zur Besichtigung hergerichtet ist. Der Blick geht zum Bücherschrank. "Der Lohn der Treue" steht auf einem der Rücken. Auf einem anderen: "Langstreckenflug".

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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