Politik:Transsexuelle Entertainerin kandidiert in Zwiesel

Politik: Gloria Gray stammt aus einer Metzgersfamilie in Zwiesel. Nach vielen Jahren kehrte sie wieder in ihre alte Heimat zurück.

Gloria Gray stammt aus einer Metzgersfamilie in Zwiesel. Nach vielen Jahren kehrte sie wieder in ihre alte Heimat zurück.

(Foto: Manuel Jacob/dpa/oh)
  • Am 27. November wird in Zwiesel im Bayerischen Wald ein neuer Bürgermeister gewählt.
  • Die transsexuelle Gloria Gray kandidiert für das Amt, dabei wurde die ehemalige Broadway-Entertainerin in ihrem Heimatort oft als "schwule Sau" beschimpft.

Von Andreas Glas

Die Mutter Gottes wirkt recht entspannt, als Gloria Gray ins Café Hinkofer stöckelt, auf zehn Zentimeter hohen Absätzen. Gloria Gray rutscht in die Eckbank, direkt vor das Marienbild an der Holzwand. Sie kramt ein Bonbon aus der Handtasche, bestellt Kamillentee mit extra Honig. Weil ihr Hals kratzt und weil sie nachher noch singen muss, drüben auf der Bühne der Viechtacher Stadthalle. Sie schiebt die Teetasse beiseite und rollt ein Plakat auf dem Tisch aus, ihr Wahlplakat für die Bürgermeisterwahl in Zwiesel. Warum macht sie das? Warum kandidiert sie? "Weil die Leute danach hungern, dass jemand kommt, der sie ein bisschen verzaubert, der eine Prise Magie über die Stadt streut", sagt Gloria Gray, hält ihre Hand über den Tisch und reibt die Fingerspitzen aneinander, als wolle sie hier schon mal anfangen zu streuen.

Die Einwohnerzahl in Zwiesel schrumpft gnadenlos

Am selben Abend, eine halbe Autostunde weiter östlich. Es wird gerade dunkel in Zwiesel, der Himmel ist grau, die Läden haben schon zu, der Stadtplatz ist menschenleer. Man muss sich nur umschauen, um zu verstehen, wie das gemeint ist mit der Magie und dass die Stadt eine Prise davon gut vertragen könnte. Der Altersschnitt liegt in Zwiesel bei fast 50 Jahren, die Einwohnerzahl schrumpft gnadenlos. Es dodelt, wie man hier sagt, es rührt sich nichts. Wie in vielen Städten und Gemeinden im Bayerischen Wald.

CSU-Mann tritt für die Grünen bei Bürgermeisterwahl an

Hier in Zwiesel tritt Gloria Gray im November bei den Bürgermeisterwahlen an.

(Foto: Armin Weigel)

Nur an einer Stelle dodelt es nicht: im früheren Modehaus Stenzer, ein paar Schritte unterhalb des Zwieseler Rathauses. Hier hat Gloria Gray eine Art Schaufenstermuseum eingerichtet. Hinter den Scheiben laufen in Dauerschleife ihre TV-Auftritte auf Bildschirmen, und die Schaufensterpuppen tragen die schrillsten Kostüme, die Gloria Gray während ihrer Bühnenkarriere so getragen hat. Üppige Röcke, Korsettkleider, Puffärmel, High-Heels. An der Hausfassade spannt ein meterhohes Werbebanner, das Gloria Gray ohne all diese Requisiten zeigt. Kein pompöses Kostüm, kein Dekolleté, kein übertriebenes Make-up, nur der Lidschatten ist kräftig. "Gloria Gray - Bürgermeister-Kandidatin" steht auf dem Banner, dazu: "parteilos". Und ihr Wahlkampfslogan: "Mut für Veränderung".

Ach ja, das riesige Werbebanner, sagt Gloria Gray: "Das ist ganz meine Art. Think big." Es wäre ja wirklich ein Riesending: Eine transsexuelle Bürgermeisterin, noch dazu im Bayerischen Wald. Dort, wo den Menschen immer noch das Image anheftet, engstirnig zu sein und konservativ und kirchentreu. Halt hinterwäldlerisch. Schmarrn, sagt Gloria Gray. "Ich bin der Meinung, die Zwieseler sind tolerant genug. Sonst würde ich es erst gar nicht probieren." Der Waldler von heute ist nicht mehr der Waldler von früher, findet Gray. "Gehen Sie doch mal in eine Messe in Zwiesel, dann sehen Sie, wie die Kirchengemeinde geschrumpft ist."

Think big. Das passt zu Gloria Gray, 50. Alles an ihr ist ja irgendwie überdimensional. Die Brüste sind gewaltig, die Beine lang wie Stelzen, ihr Haar hat sie an diesem Abend im Café Hinkofer unter einem riesigen Filzhut versteckt. Schon vor fünf Jahren hatte sie es probiert, wollte bei der Bürgermeisterwahl antreten. Doch sie bekam nicht genug Unterstützerunterschriften zusammen. Kein Wunder, sagt sie heute. Damals sei sie gerade erst ins niederbayerische Zwiesel zurückgekommen, nach 27 Jahren München und Weltenbummlerei. "Natürlich hatten da manche Berührungsängste", sagt Gloria Gray, "aber innerhalb von drei Jahren waren die abgebaut. Die Leute hatten die Gelegenheit, mich als Mensch zu beobachten und mich kennenzulernen."

Früher wurde sie mit Steinen beworfen

Die Leute, über die Gloria Gray spricht, sind zum Teil die selben, die sie als junge Frau aus Zwiesel vertrieben haben, in den Achtzigerjahren war das. "Wie lebendig begraben" habe sie sich als Jugendliche in Zwiesel gefühlt, "wie in einem Gefängnis". Die Kinder im Ort spürten, dass Gloria Gray anders war. Aber ahnten nicht, dass da ein Mädchen in einem Bubenkörper steckte. Ihre Mitschüler warfen mit Steinen nach ihr, nannten sie "schwule Sau". Bis Gloria Gray abhaute, nach München. Sie ließ ihr Geschlecht medizinisch angleichen, mit 26 Jahren war sie dann endlich eine Frau, eine gefragte noch dazu.

Sie reist nach Hollywood, zum Broadway, in die ganze Welt. Mal tritt sie als Lilli Marleen in verrauchten Nachtklubs auf, mal als Brigitte Bardot oder Mae West auf den großen Varieté-Theaterbühnen. Das Pin-up-Girl, die singende Sexbombe, das ist ihre Rolle. In all den Jahren habe sie "nie an Zuhause gedacht, nicht mal von Zuhause geträumt. Und ich hätte nie gedacht, dass ich zurückgehe". Doch sie kam zurück, nicht ganz freiwillig, vor sechs Jahren. Wegen ihrer inzwischen verstorbenen Eltern, die ihre Pflege brauchten. Eine neue Rolle, die sie annahm. Aber eine Rolle, die ihr nicht reichte.

"Seit ich wieder in Zwiesel bin, habe ich mehr für die Kultur gemacht als die Stadt"

Also öffnete sie in Zwiesel das Café Gloria, ein Kultur-Café mit Bühne. Drei Jahre lang hat sie das Lokal betrieben, hat mehr als hundert Veranstaltungen auf die Beine gestellt, vom Kinderfasching bis zur "Puffparty". Sie holte Cleo Kretschmer, Marianne Sägebrecht und Lilo Wanders auf die Bühne - und mit ihnen ein bisschen Glanz nach Zwiesel. "Seit ich wieder in Zwiesel bin, habe ich mehr für die Kultur gemacht als die Stadt. Die Leute sind so dankbar dafür", sagt Gray. Dass ihre Veranstaltungen so oft ausverkauft waren, habe ihr gezeigt, dass Zwiesel nach Leben lechzt und die Zwieseler bereit sind für eine Bürgermeisterin, die anders ist. Nicht umsonst seien die 120 Bürgerunterschriften diesmal "ruckzuck da gewesen". Nun darf sie am 27. November zur Wahl antreten - gegen Elisabeth Pfeffer (CSU) und den parteilosen Amtsinhaber Franz Xaver Steininger.

Zwiesel

SZ-Karte

Und warum sollte es eigentlich nicht klappen? Die Stadt Zwiesel liegt im Landkreis Regen, und dort haben sie schon mal einen gewählt, der nicht ins Hinterwäldler-Klischee passt: Michael Adam, jung, evangelisch, schwul, SPD-Mitglied. Ihn wählten die Leute erst zum Bürgermeister in Bodenmais und dann, vor fünf Jahren, zum Regener Landrat. Es wäre fast konsequent, wenn ausgerechnet im Bayerwald etwas gelingen würde, was in Deutschland noch nie da war: Eine Transsexuelle wird zur Rathaus-Chefin. "Ich sehe mich als Wegebereiterin, auf alle Fälle", sagt Gloria Gray. Jede Bewegung brauche "jemanden, der anfängt und sich durchboxt". Doch in erster Linie gehe es ihr darum, ihrer Heimatstadt wieder Leben einzuhauchen.

Trägt sie den Zwieselern denn gar nicht nach, dass sie früher so grausam zu ihr waren? Das sei eine andere Zeit gewesen, sagt Gloria Gray, "die Leute waren halt nicht aufgeklärt, die waren überfordert" mit einem Buben, der einfach kein Mannsbild sein wollte. "Ich habe mich in mir selbst nicht zu Hause gefühlt. Dafür kann Zwiesel nichts und dafür kann der Bayerische Wald nichts. Ich bin in Frieden zurückgekehrt, ich habe keine Rachegefühle."

Ihre Herkunft sei ihr oft hilfreich gewesen. "Das raue Klima hat mich geformt und geprägt", sagt Gloria Gray. Und damit meint sie nicht die kalten Winter im Bayerwald, sondern das Klima, das in ihrem Elternhaus herrschte. Sie ist in einer Viehhändler- und Metzgerfamilie groß geworden. "Der Umgang war herzlich, aber auch grob", eine andere Zeit eben. Im Geschäft musste Gloria Gray schon als Kind mitarbeiten, musste trotz ihrer inneren und äußeren Kämpfe funktionieren. Das half ihr, auch später nicht aufzugeben, als sie darum kämpfen musste, als Frau anerkannt zu werden. "Das hat mir das Leben gerettet", sagt sie heute.

Wer im Leben so viele Ängste und Zweifel hatte, wer trotzdem immer weiter gemacht hat und ans Ziel gekommen ist, den kann ein Bürgermeisterwahlkampf nicht schrecken. Auch wenn Gloria Gray weiß, dass die Gemeinheiten von damals im Wahlkampf wiederkommen können. "Damit rechne ich", sagt sie, "niedere Instinkte werden Menschen dazu veranlassen, in Wunden reinzuhauen und mich zu verletzten. Aber das sagt dann mehr über den Charakter dieser Menschen aus als über mich. Angst habe ich keine. Ich bin schon ganz andere Rodeos geritten."

Vielleicht sind es ja eh die anderen, die Angst haben müssen. Die etablierten Politiker in Zwiesel, "die in meinen Augen müde sind, aber nicht abtreten wollen, weil man als Stadtrat eben wer ist im Ort". Der derzeitige Bürgermeister sei zwar fleißig, aber der Stadtrat so zerstritten, dass nichts vorwärts gehe in Zwiesel. "Hier herrscht eine Verwaltung des Mangels, ich würde die Stadt beleben. Weil ich sehr gut bin, was Marketing angeht". Sie will die Stadt lebendiger machen und so wieder mehr Touristen und Firmen in den Luftkurort holen. Aber geht das so einfach, die Stadtkasse ist ja ziemlich leer? "Ich sage nicht, dass ich das alleine schaffe. Aber ich habe unglaublich viele Ideen."

Gray will die Leute dazu bewegen wieder aufs Land zu ziehen

Mit ihren Marketingideen will sie den Trend umkehren und dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr nur aus dem Bayerischen Wald in die Großstädte ziehen, sondern auch mal jemand aus der Stadt aufs Land kommt. "Wie man sich als Normalverdiener ein Leben in München leisten kann, ist mir ein Rätsel", sagt Gray. "Die Bäume, die Luft, die Ruhe, das gibt mir soviel Kraft und das möchte ich auch anderen Menschen vermitteln, damit sie herkommen. Der Bayerische Wald ist mein Nest geworden, und da bleibe ich auch."

Die Lokalzeitung hat mal geschrieben, dass mit Gloria Gray "in Zwiesel ein starkes Thema zu Hause ist: ein Mensch, der inmitten des Waldler'schen Bescheidenheits-Imperativs den Mut gefunden hat, zu wachsen, zu sprechen und sich zu zeigen". Schon möglich also, dass sich manche Zwiesler angesprochen fühlen von einer Figur, die ihre eigenen, ungestillten Sehnsüchte bedient. "Ich höre öfter, dass ich ein Vorbild bin für Menschen, die sich nicht trauen, ihr Ding zu machen, weil sie in Denkschablonen gefangen sind oder in Mustern leben, die ihnen von der Erziehung und der Religion übergestülpt werden", sagt Gloria Gray.

Zwei Stunden nach dem Gespräch im Café Hinkofer steht Gloria Gray auf der Bühne. Es ist kurz nach acht, die Stadthalle in Viechtach ist bummvoll, das Stück heißt "Der Watzmann ruft", ein Musical. Sie spielt die "Gailtalerin", eine Sexbombe, mit hochgeschnallten Brüsten, mit Lackstiefeln und Strapsen unterm Dirndl. Das Drehbuch geht so los: Die Gailtalerin, zuletzt in Las Vegas unterwegs, kehrt nach Jahren zurück in ihre Heimat und mischt das verschlafene Dorf mal so richtig auf. Schaut ganz so aus, als habe Gloria Gray schon mal angefangen zu üben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: