Politik:Drunter und drüber

Die Listenaufstellung der Parteien für die Bundestagswahl folgt komplizierten Regeln. Wer einen aussichtsreichen Platz ergattern will, muss nicht nur politisch kompetent sein. Stattdessen gilt es, allerlei Befindlichkeiten und natürlich den Regionalproporz zu beachten

Von Lisa Schnellund Wolfgang Wittl

High Noon beginnt in Regensburg an diesem Samstag ausnahmsweise nicht um 12 Uhr mittags, sondern bereits eineinhalb Stunden vorher. Am späten Vormittag finden sich die 160 CSU-Delegierten des Wahlkreises 233 ein, um ihren Direktkandidaten für die Bundestagswahl zu nominieren. Drei Bewerber stellen sich im Kolpinghaus zur Wahl, alle drei sind oder waren in Berlin schon als Abgeordnete tätig. Philipp Graf von und zu Lerchenfeld, 64, hat derzeit das Direktmandat inne; Astrid Freudenstein, 43, zog über die Liste ins Parlament ein; Peter Aumer, 40, war vor Lerchenfeld der Direktabgeordnete, ehe er sich überreden ließ, als Landrat anzutreten - und prompt verlor. Nun würde Aumer gerne wieder direkt in den Bundestag einziehen, doch auch Freudenstein werden gute Chancen zugerechnet.

Drei Bundestagsabgeordnete im Duell um nur einen Platz - so eine Konstellation erlebt selbst die kampferprobte CSU nicht alle Tage. Es zeigt aber auch: Direktmandate sind begehrt, schon deshalb, weil sie oft nur alle Jahrzehnte neu besetzt werden. Die CSU praktiziert in Bayern immer noch erfolgreich eine Art Erbfolgemodell. Bei den vergangenen Wahlen 2013 eroberte sie sämtliche 45 Direktmandate, insgesamt stellt sie 56 der 91 bayerischen Abgeordneten in Berlin. Wer seinen Platz hat, macht ihn so schnell nicht wieder frei.

Kreisdelegiertenwahl

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zieht sich aus dem Bundestag zurück.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Anders als in Regensburg ist die Entscheidung in den meisten Wahlkreisen bereits gefallen. Ob nun die Minister Dobrindt, Müller, Schmidt, der CSU-Generalsekretär Scheuer, der parlamentarische Geschäftsführer Straubinger, die Ex-Minister Ramsauer und Friedrich - die meisten machen weiter, nur wenige hören auf. Der Niederbayer Bartholomäus Kalb etwa zieht sich nach 30 Jahren im Bundestag zurück, auch die Franken Josef Göppel und Dagmar Wöhrl treten ab, ebenso der frühere Staatssekretär Hartmut Koschyk, und vor allem: Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Auch die christsoziale Frontfrau wird dann 30 Jahre dem Bundestag angehört haben, etwa als Vizepräsidentin oder als Ministerin unter Helmut Kohl.

Auf die gravierendsten Veränderungen wird sich die Münchner CSU einstellen müssen. Drei ihrer vier Abgeordneten hören auf oder haben es in dieser Legislatur bereits getan, so wie im vergangenen Jahr der frühere Staatsminister und Parteivize Peter Gauweiler. Sein Mandat im Münchner Süden möchte Michael Kuffer verteidigen. Bernhard Loos strebt im Norden die Nachfolge von Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer an, Stephan Pilsinger im Westen die von Hans-Peter Uhl.

Politik: Träumt vom Direktmandat: der Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek.

Träumt vom Direktmandat: der Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek.

(Foto: Grüne)

Gerade durch die Wechsel in München erhofft sich die Opposition neue Chancen. Eigentlich gilt in Bayern: Eher arbeitet ein SPDler bei einem Investmentfonds, als dass er ein Direktmandat holt. Nun aber bieten sich für die Genossen Perspektiven, gerade im Münchner Norden mit Florian Post und im Süden mit Sebastian Roloff. Auch in Nürnberg und Coburg wähnt sich die SPD aussichtsreicher als zuletzt. Dabei könnte ihr ausgerechnet die AfD helfen. Je mehr Kandidaten sich um ein Direktmandat bewerben, desto weniger Prozent reichen, um es zu gewinnen. "Zwei bis drei Direktmandate sind 2017 für uns drin", sagt ein SPD-Sprecher.

Auch bei den Grünen träumt man von einem Direktmandat. Etwa im Münchner Westen, wo Dieter Janecek gegen den CSU-Novizen Pilsinger antritt. Doch entscheidend dürften für die Opposition weiterhin vor allem die Zweitstimmen bleiben.

Wer einen aussichtsreichen Startplatz bekommt, bestimmen die Delegierten von Grünen und SPD auf ihren Aufstellungsversammlungen am 9. und 10. Dezember. Männer und Frauen wechseln sich auf der Liste ab. Interessant bei der SPD sind die ersten 22 Plätze, so viele Abgeordnete hat die Partei gerade in Berlin. Drei hören auf: Klaus Barthel (Oberbayern), Gabriele Fograscher (Schwaben) und Petra Ernstberger (Oberfranken); viele Neue drängen nach. Monatelang verhandelte SPD-Landeschef Florian Pronold mit den Bezirksvorsitzenden, wer wo antreten sollte. Scheinbar unvereinbare Regeln mussten beachtet werden. Alle Bezirke sollten vertreten sein, die Mischung aus Jung und Alt, Mann und Frau, erfahren und ehrgeizig sollte gelingen. Angeführt wird die Liste von Pronold, Anette Kramme und Martin Burkert. Die Gewinner der Reihung sind die Frauen, der Verlierer ein Mann: der Niederbayer Christian Flisek.

Johanna Uekermann, SPD

Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann drängt nach vorne.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Vor allem die Frauen aus Mittelfranken sollen verärgert gewesen sein, weil unter den ersten 16 aus ihrem Bezirk nur Männer vertreten waren. Dasselbe gilt für Niederbayern. Frauen aus diesen Bezirken rückten deshalb nach vorne, Rita Hagl-Kehl (Niederbayern) etwa von 20 auf 16. Flisek dagegen, immerhin Chef der Niederbayern-SPD, muss eine Abstufung von Platz 13 auf 21 hinnehmen. Wie Flisek wird auch Johanna Uekermann, Juso-Bundesvorsitzende, wenig begeistert sein. Die Jusos fordern einen aussichtsreichen Platz unter den ersten 20 für sie. Das dürfte schwer werden, zumal auf die Hoffnungsplätze weitere Frauen drängen: Bela Bach (Oberbayern) oder Doris Aschenbrenner (Oberfranken), die im Wahlkampfteam von Christian Ude war. Uekermann stammt zudem aus Niederbayern, das bereits drei Mandate hat. "Wenn die SPD junge Leute erreichen will, sollte sie auch junge Leute aufstellen und nicht auf dem Regionalproporz beharren", sagt Uekermann. Sie ist wohl der sogenannte "demokratische Wurm", das heißt, sie könnte die fein austarierte Reihung durch eine Kampfkandidatur durcheinander wirbeln.

Spannend wird es auch bei den Grünen. Sie versuchen gar nicht erst, vorher eine Reihung festzulegen. Wer unter die ersten zehn aussichtsreichen Plätze kommt, wird in den zwei Tagen im Dezember entschieden. Zwei Mandate werden frei. Thomas Gambke (Niederbayern) und Elisabeth Scharfenberg (Oberfranken) hören auf. Als gesetzt gelten nur Claudia Roth, Toni Hofreiter und Ekin Deligöz. Ab Platz vier beginnt die Schlacht. Uwe Kekeritz aus Mittelfranken greift Dieter Janecek an. Danach streiten sich wohl drei Frauen aus Oberbayern um Platz fünf, darunter auch die jetzige Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Margarete Bause. Als Neulinge drängen Lisa Badum (Oberfranken) und Manuela Rottmann (Unterfranken) nach Berlin. Bei den Männern gelten Karl Bär (Oberbayern) und Stefan Schmidt (Oberpfalz) als aussichtsreich.

Die CSU wird ihre Listenaufstellung erst im kommenden Frühjahr vornehmen. Das werden auch die Linken so halten. Von ihren derzeit vier bayerischen Abgeordneten wird nur die Ingolstädterin Eva Bulling-Schröter nicht mehr antreten. Klaus Ernst, Harald Weinberg und Nicole Gohlke bewerben sich ein weiteres Mal.

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