Poing:Wollte er dem Mädchen helfen - oder plante er ein Verbrechen?

Kein Selbstläufer - Wie Eltern mit Kindern den Schulweg üben

Wenn Männer fremde Mädchen ansprechen, sieht das für Außenstehende meist verdächtig aus (Symbolfoto).

(Foto: dpa-tmn)
  • Ein Fall um einen Mann, der ein Mädchen angesprochen hat und nach Hause bringen wollte, hat auf Facebook für Aufsehen gesorgt.
  • Die Polizei hatte den Mann kontrolliert, ihr sei aber nichts Verdächtiges an ihm aufgefallen.
  • Auf Facebook schildert eine Frau, die den Vorfall beobachtet haben will, jedoch etwas völlig anderes.

Von Korbinian Eisenberger

Der Fall schien abgeschlossen, der Mann wollte nur helfen, so liest sich die Polizeimeldung vom Dienstag. Das Mädchen war auf dem Heimweg von der Schule. Und der Mann im Auto sorgte sich wegen der nassen Haare der Zwölfjährigen. Er wollte nichts Böses, er wollte das Kind nur ins Trockene bringen. So meldete es die Polizei, so musste es gewesen sein, am Montagmittag. Nach einem Zeugenhinweis hatten Beamte ja Mann und Kind überprüft, die Haare waren wirklich feucht, und der Mann entpuppte sich als unauffälliger Familienvater. Seine Aussage passte zu den Fakten, und der Fall ging zu den Akten.

Wahrscheinlich hätten sie den Bericht so schnell nicht wieder aus dem Polizeischrank herausgeholt, hätte die Geschichte nicht doch noch ein Nachspiel: Am Mittwochfrüh meldete sich eine Person zu Wort, die den Vorfall mitbekommen haben will. Und ihre Darstellung klingt ganz anders als die im Polizeibericht. Sie schreibt: "Das Mädchen hatte feuchte Haare, war aber auf keinen Fall klatschnass." Sie wundere sich, warum der Mann sie mehrmals fragte, ob er sie heimfahren solle. Sie und ein Bauarbeiter hätten "heftiges Kopfschütteln des Mädchens" mitbekommen. Sie fragt: "Wieso fährt er dann weg, sobald der Bauarbeiter auf ihn zu geht und kommt dann fünf Minuten später nochmal vorbei gefahren?"

Der Kommentar ist auf der Facebookseite des Poing-Blogs "WeltstadtvorstadtmitHerz" öffentlich einsehbar. Er steht unter dem Posting mit der Polizeimeldung und stammt dem Profilbild nach von einer blonden Frau. Man muss bei solchen Einträgen im Internet Obacht geben, die Identität der Verfasserin ist nicht gesichert, auf eine Privatnachricht antwortet sie bis Mittwochabend nicht. Rechtschreibfehler und viele Ausrufezeichen könnten Hinweise sein, dass die Verfasserin mit Emotion bei der Sache war, was nicht unbedingt dagegen spricht, dass sie wirklich dabei war.

Interessant ist das Posting der Frau in jedem Fall, auch, weil ihre Zeilen eine Netzdebatte ausgelöst haben. Auffällig ist, dass sich manche ein sehr schnelles Urteil bilden. "Gott sei dank war jemand da und hat eingegriffen", schreibt jemand. "Ist doch klar das er nicht zugeben würde was er mit dem mädchen wirklich vor hatte", schreibt ein anderer, beide sind sich offenbar sicher, dass der Autofahrer Hintergedanken hatte. Andere sind da defensiver. "Man muss ja nicht immer vom Schlimmsten ausgehen", schreibt ein Facebook-User. Eine Frau bringt es mit ihrem Kommentar ziemlich genau auf den Punkt. "Dieser Fall lässt doch sehr viele Fragen offen."

Mittwochnachmittag, Nachfrage bei der Polizei in Poing. Warum kamen die Beamten zu dem Schluss, dass dieser Fall nicht weiter verfolgt werden muss? Polizeichef Helmut Hintereder erklärt, dass die Hinweise gegen sexuelle Hintergedanken sprachen. Entscheidend sei nicht nur gewesen, dass die Haare der Zwölfjährigen noch feucht waren, auch nicht, dass der 44-jährige Mann aus dem Landkreis Freising selbst drei Kinder habe, "sondern auch, dass er polizeilich noch nie auffällig war", so Hintereder. "Sonst wären wir dem sicher weiter nachgegangen." Untypisch für eine geplante Sexualstraftat sei zudem, ein Kind vor Zeugen anzusprechen, so Hintereder. "Noch dazu, wenn man mit dem eigenen Auto unterwegs ist."

Will jemand helfen? Oder geht es um etwas anderes?

Es geht hier um ein verzwicktes Thema, das der Film "Die Jagd" (2012) eindrucksvoll darstellt: Ein Kind erzählt etwas über einen Mann - woraufhin er im Dorf geächtet wird. Es ist nichts bewiesen, und als Zuschauer ist man sich bis zum Schluss nicht sicher, ob man mit dem Kind oder mit dem Mann Mitleid haben muss.

Helmut Hintereder kennt das Problem aus dem wahren Leben. "Meistens finden sexuelle Übergriffe im Familien- und Verwandtenkreis statt", sagt er, in den Landkreisen Freising, Erding und Ebersberg seien das insgesamt etwa zehn im Jahr, im aktuellen Fall kannten sich die beiden nicht. "Ein Kind sollte laut und entschieden nein sagen können", sagt Hintereder. Wer von einem Fremden angesprochen wird, sollte am besten Hilfe von anderen Erwachsenen holen oder weglaufen. "Als Mann sollte man sich Kindern nur in Notfällen nähern", sagt er. Also wenn ein Kind weint oder augenscheinlich verletzt ist. "Alles andere führt nur zu Missverständnissen."

Klar bleiben Fragen offen. Der Mann fuhr weg, als sich Zeugen näherten, so berichtete es die Polizei. Warum tat er das? Wollte er hierbei besser nicht erwischt werden? Oder fiel ihm erst in diesem Moment auf, dass sein Angebot missverstanden werden könnte? Die Polizei kann am Mittwoch keine Antworten geben, die Beamten, die dabei waren, sind nicht im Dienst. Die Frau auf Facebook gibt an, dass der Mann noch mal zurück kam, bei der Polizei ist darüber wiederum nichts bekannt. Hintereder sagt, es wäre besser gewesen, sie hätte ihre Aussage bei der Polizei gemacht.

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