Pflege:Bayern setzt Spezialbeamte auf Betrug im Gesundheitswesen an

Lesezeit: 3 min

  • Vor allem gegen kriminelle Pflegedienste will Bayern künftig vorgehen und damit den Betrug im Gesundheitswesen stoppen.
  • Die Betrügereien in der Pflege haben eine Dimension erreicht, die Experten beunruhigt - womöglich ist bei verdächtigen Pflegediensten sogar organisierte Kriminalität im Spiel.
  • Oft stellten Pflegedienste Leistungen in Rechnung, die nur unvollständig erbracht wurden, oder nicht qualifiziertes Personal wurde eingesetzt.

Von Dietrich Mittler, München

Bayern will künftig verstärkt gegen den Betrug im Gesundheitswesen vorgehen - insbesondere auch gegen kriminelle Pflegedienste. Im Gesundheitsbereich entstehen nach Aussage von Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Winfried Bausback (beide CSU) bayernweit "jährlich Schäden in Millionenhöhe". Bundesweit geschätzt, belaufe sich der Schaden sogar auf 14 Milliarden Euro. Um Rechtsbrecher im Gesundheitswesen effizienter verfolgen zu können, sollen im Freistaat künftig speziell dafür ausgebildete Kripo-Beamte bereitstehen - zusammengefasst in je einem Wirtschaftskommissariat pro Polizeipräsidium. Am Dienstag stellten beide Minister in Nürnberg vor, wie sie "massives Fehlverhalten" im Gesundheitswesen bekämpfen wollen. Aus Sicht der Kranken- und Pflegekassen ist das der richtige Schritt. "Bayern geht damit in eine Vorreiterrolle", hieß es. Doch nun müssten den Worten Taten folgen.

"Da muss auf jeden Fall mehr passieren, als nur ein Türschild hinzuschrauben", sagte einer der Kassenvertreter auf Nachfrage. Auf Kritik stößt, dass in zwei der drei bereits bestehenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen die Personalbesetzung so schwach sei, dass die dortigen Ermittler mit der Arbeit kaum nachkämen. "Hut ab, was sich bei der Münchner Staatsanwaltschaft getan hat", hieß es. Nürnberg und Hof aber bräuchten dringend mehr Personal - eine Aussage, die das Justizministerium so prompt zurückwies.

Eine Personalaufstockung hält aber auch das Ministerium für wünschenswert.

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Unzweifelhaft ist: Die Betrügereien in der Pflege haben eine Dimension erreicht, die Experten beunruhigt. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hat den Kollegen in Bayern im vergangenen Jahr eine Liste mit bundesweit mehr als 200 verdächtigen Pflegediensten zukommen lassen, bei denen nicht auszuschließen ist, dass auch organisierte Kriminalität im Spiel sein könnte. Diese Liste liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Zwölf der aufgelisteten Unternehmen - es handelt sich um sogenannte russische Pflegedienste - haben ihren Sitz im Freistaat.

Was den gesamten Gesundheitsbereich angeht, inbegriffen also auch Ärzte, Sanitätshäuser oder Physiotherapeuten, gehen einige Kassenvertreter im Gegensatz zu Bausback und Herrmann gar davon aus, dass die Betrügereien zu Lasten der Kranken- und Pflegekassen in Bayern längst die Milliardengrenze überschritten haben. Doch gravierender noch als aller finanzieller Schaden ist, wenn durch unzureichende Pflege Menschenleben gefährdet werden. Die Staatsanwaltschaft Hof bestätigte nun einen Bericht des Bayerischen Rundfunks, wonach sie gegen zwei Pflegekräfte eines Intensivpflegedienstes wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ermittelt. Möglicherweise sei ein Patient aus dem Raum Hof aufgrund eines Pflegefehlers gestorben.

Dominik Schirmer lässt diese Nachricht aufhorchen, ist er doch bei der AOK Bayern für die Bekämpfung betrügerischer Pflegedienste zuständig. Insbesondere der Bereich der Intensivpflege bereitet ihm Sorgen. Schon deshalb, weil es um Menschen gehe, die als medizinische Notfälle von hoch qualifizierten Pflegefachkräften eine permanente Betreuung benötigten. Aber auch deshalb, weil gerade in diesem hochsensiblen Bereich derzeit viele Auffälligkeiten zu verzeichnen seien. "Wir haben in Bayern gut 120 Pflegedienste, die sich auf Intensivpflege spezialisiert haben", sagt Schirmer, "und wir wissen, dass gegen 23 dieser Dienste zurzeit wegen Betrugsverdachts Ermittlungsverfahren laufen."

Einer von Schirmers Mitarbeitern muss nur einen kurzen Blick in den Aktenschrank werfen, um einen solchen Fall präsentieren zu können. Der nahm damit seinen Lauf, dass bei der AOK Bayern eine anonyme Anzeige einging, in der die Verstöße des Pflegedienstes beschrieben wurden: unter anderem der Einsatz von nicht qualifiziertem Personal im Bereich der Intensivpflege und die Abrechnung von nicht erbrachten Leistungen. In Schirmers Augen sind das geradezu Klassiker. Oft stellten Pflegedienste auch Leistungen in Rechnung, die nur unvollständig erbracht wurden.

Ob im jüngsten Hofer Fall womöglich Betrug im Spiel ist, wird die dortige Staatsanwaltschaft erst später prüfen können. Erst einmal gilt es zu klären, ob der Todesfall durch einen Pflegefehler verursacht wurde, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Reiner Laib sagt. Dennoch, die Pflegebranche ist alarmiert. Als Vertreterin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe erklärte Marliese Biederbeck: Besonders in einem so sensiblen Bereich wie der ambulanten Intensivpflege sei kriminelles Vorgehen "nicht hinnehmbar".

"Gelegenheit macht Diebe", befürchten indes Justizminister Bausback und sein Kabinettskollege Herrmann. 2017 sei im deutschen Gesundheitswesen erstmals die Marke von einer Milliarde Euro Umsatz pro Tag überschritten worden. Zwei Dinge müssten aber klar sein: Es bestehe nicht die Absicht, einzelne Berufsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Zudem gehe es bei Weitem nicht nur um die Pflege. "Auch Ärzte schrecken vor kriminellen Machenschaften nicht zurück." Um Straftätern auf die Spur zu kommen, müssten die Ermittler "Tonnen von Papier" bearbeiten.

Bayerns Kassen jedenfalls sind bereit, mit Know-how auszuhelfen, wie AOK-Mann Dominik Schirmer herausstellt. Insbesondere in der Intensivpflege sei das momentan dringend geboten, sagt er. "Angesichts der Menge an Pflegediensten, gegen die hier Staatsanwaltschaften ermitteln, kann man nicht mehr von vereinzelten schwarzen Schafen reden. Das ist eine ganze Herde."

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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