Brauchtum an Pfingsten:Wenn die Kerze fällt, dann droht Krieg

Englmarisuchen Pfingsten Sankt Engelmar dpa

Ein wunderbares Volksschauspiel ist das Englmarisuchen am Pfingstmontag in St. Englmar. Die Aufnahme entstand im Jahre 2000.

(Foto: Foto: dpa)

Bogenberger Wallfahrt, Englmarisuchen, Kötztinger Pfingstritt: Das Pfingstbrauchtum in Bayern ist voller Rätsel und Wunder.

Von Hans Kratzer

Dass viele bayerische Landschaften gesprenkelt sind mit Kapellen, Feldkreuzen und Marterln, hat mit Jux und Gaudi nichts zu tun. Wer sich auf diese Zeugnisse der Volksfrömmigkeit einlässt, wer die ergreifenden Inschriften und Votivbilder studiert, dem begegnet auf Schritt und Tritt der Mensch in seinem Schrecken, in seiner existenziellen Not und in seiner dankbar hingenommenen Errettung aus großer Gefahr.

Schon im frühen Mittelalter haben die Menschen weite und beschwerliche Wege auf sich genommen, um Hilfe zu erheischen. In jenen Jahren, als Christoph Kolumbus Amerika entdeckte, wurden die Menschen in Bayern von verheerenden Katastrophen heimgesucht, die ihre gesamte Existenz bedrohten. Beispielsweise wütete in den Wäldern des Bayerischen Waldes der Borkenkäfer, dessen Gefräßigkeit die Menschen völlig hilflos hinnehmen mussten. Was sollten sie auch tun in einer Zeit ohne Motorsägen, ohne Chemie, ohne Versicherungsschutz. Also suchten sie Beistand im Überirdischen, bei den Göttern und Heiligen, und in Bayern besonders bei der Gottesmutter.

Die Bauern von Holzkirchen legten in ihrer Not ein Gelübde ab. Wie der Ortsname andeutet, ist das Pfarrdorf eine Rodungssiedlung. Ohne Holz war dort kein Leben möglich. Wenn der Käfer ihre Wälder verschone, so gelobten die Holzkirchener, dann wollten sie der Muttergottes auf dem Bogenberg alljährlich eine mit rotem Wachs umwickelten Fichtenstamm bringen.

Der Bogenberg lag zwar zwei Tagesmärsche entfernt, aber er war ein berühmter Wallfahrtsort, der Marianische Festkalender von 1866 nennt ihn das "zweite Altenötting in Bayern". Es klingt unglaublich, aber die Holzkirchener erfüllen ihr Gelübde nun schon seit mehr als 500 Jahren. Nur zweimal ist die Kerzenwallfahrt ausgefallen. Einmal im Dreißigjährigen Krieg, das andere Mal im Kriegsjahr 1945.

Mittlerweile ist die zweitägige Wallfahrt durch Fernsehdokumentationen ein überregional beachtetes Spektakel geworden. Am Pfingstsamstag brechen die Holzkirchener auf, überschreiten in Vilshofen die Donau und schlagen in Deggendorf ihr Nachtquartier auf. Der Höhepunkt aber kommt am Ende der Strecke, wo die Wallfahrer von Volksmassen erwartet werden. Dann geht es den steilen Weg zum Bogenberg hinauf, der mit Hoffen und Bangen verknüpft ist.

Brauchtum an Pfingsten: Schwerstarbeit: Die Wallfahrer aus Holzkirchen schleppen eine turmhohe Kerze auf den Bogenberg. (Zur Vollansicht auf die Lupe klicken.)

Schwerstarbeit: Die Wallfahrer aus Holzkirchen schleppen eine turmhohe Kerze auf den Bogenberg. (Zur Vollansicht auf die Lupe klicken.)

(Foto: Foto: dpa)

Auf dem gesamten Weg schleppen die Wallfahrer auf ihren Schultern eine 13 Meter lange Kerze mit, deren Kern aus einer Holzstange besteht, die mit Wachsschnüren umwickelt ist. Am Fuß des Bogenberges aber wird die Kerze aufgerichtet, und nur ein Mann darf sie in dieser senkrechten Stellung den Berg hinauftragen. Wenn die Kerze umfällt, dann steht Unglück ins Haus, lehrt die Überlieferung. Es drohen Krieg und Hungersnot. Sowohl 1913 als auch 1938, also in den Jahren vor den beiden Weltkriegen, soll die Kerze umgefallen und gebrochen sein.

Keine andere Bogenberg-Wallfahrt konnte dem Marsch der Holzkirchener bisher den Rang ablaufen. Nicht einmal die rhetorisch aufgepeppte Jugendwallfahrt des Bistums Regensburg, die einige Jahre unter dem Motto "Powerfrau in Weiß und Blau" stand. Die protestantische Vorsitzende des Vereins für Deutschen Sprache in Regensburg wusch dem Bischof Gerhard Ludwig Müller für diese sprachliche Entgleisung coram publico gehörig den Kopf.

Wo ein Dackel den Leib des Heiligen findet

Nirgendwo blüht das Pfingstbrauchtum so stark wie in Niederbayern. Ein wunderbares Volksschauspiel bietet auch der Luftkurort St. Englmar, wo sich am Pfingstmontag die ganze Gemeinde zum Englmarisuchen trifft. In St. Englmar ist herrlich zu beobachten, wie sich altes Brauchtum und moderne Eventkultur miteinander vermischen, nicht immer zum allgemeinen Segen. Noch in bester Erinnerung sind die Verwerfungen, welche die letzte Raunacht im Januar mit sich brachte. Die Perchten legten Discoklänge auf und enthemmte Touristen tanzten mitten im alten Friedhof zwischen den Gräbern.

Ungeachtet dieser Umtriebe wird der Leichnam des heiligen Englmar jedes Jahr an Pfingsten aus dem Wald heimgeholt. Der Legende nach lebte der fromme Mann als Einsiedler in den hiesigen Wäldern, wo sich viele bei ihm Rat holten. Um 1100 herum soll er von einem Gefährten aus Neid mit einem Beil erschlagen worden sein. Sein Leichnam wurde erst später entdeckt. Ein Priester, der zufällig des Weges kam, hatte über dem Platz, wo der Tote verscharrt war, einen seltsamen Lichterglanz gesehen.

Diese Begebenheit wird im Englmarisuchen nachgespielt. Es ist ein barockes Drama von seltener Volkstümlichkeit. Eine große Prozession zieht bergwärts zum nahen Wald, wo an einem felsigen Hügel der Leib des Heiligen, eine lebensgroße bekleidete Holzfigur, unter Reisig versteckt liegt. Ein Dackel spürt den Leib auf, ein Engel erklimmt den Felsen und verkündet laut, der Leichnam des Englmar sei gefunden worden. Nach einer Predigt wird die Figur auf den Englmariwagen gehoben und feierlich zur Pfarrkirche geleitet.

Sowohl die Kerzenwallfahrt als auch das Englmarisuchen belegen nachdrücklich die Neigung der Niederbayern zum sinnlichen, stark diesseitig orientierten Glauben. Dieses Land kennt kaum Mystiker. Stattdessen blühen Wallfahrten, Bittgänge, Prozessionen, Gelübde, Rituale. Das Brauchtum ist deshalb so kraftvoll, weil es schon auch eine Gaudi ist und Zuschauer und Fernsehkameras anlockt. Nicht zuletzt gibt die Erfüllung eines Gelübdes das beruhigende Gefühl, sich mit der Muttergottes und den Bauerngöttern gut gestellt zu haben. Nix Genaues weiß man zwar nicht, aber schaden tut's auch nichts.

Kötztinger Pfingstritt

Bis zu 1000 Reiter nehmen jedes Jahr am Kötztinger Pfingstritt teil - nur Männer dürfen mitmachen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Wen wundert es da noch, dass am Pfingstmontag bis zu tausend Reiter auf prächtig geschmückten Pferden am Kötztinger Pfingstritt teilnehmen. Der ist trotz seiner 600-jährigen Tradition nur insofern von vorgestern, als bloß Männer mitreiten dürfen. Der Legende nach begleiteten junge Burschen aus Kötzting anno 1412 einen Geistlichen auf dem Weg zu einem Sterbenden, um ihn und das Allerheiligste vor Übergriffen zu schützen. Nach ihrer Heimkehr gelobten sie, den Ritt jedes Jahr zu wiederholen.

Dass der Ritt angesichts von 40.000 Zuschauern nur ein Touristen-Spektakel sei, wollen die Kötztinger aber nicht hören. "Wir machen das nur für uns. Wir würden auch ohne Publikum reiten", sagen sie. Dafür steht das Patriarchentum in hoher Blüte. Nicht einmal in der Fußball-Champions-League schauen die Matadore so selbstbewusst drein wie die Reiter des Pfingstritts, zu denen sich seit einigen Jahren auch der Regensburger Bischof gesellt. "Solche stolzen Männer gibt's sonst nirgends mehr", sagte eine Zuschauerin im vergangenen Jahr.

Doch bei allem frommen Tun - mit dem kirchlichen Pfingstfest haben die großen niederbayerischen Pfingstbrauchtümer absolut nichts zu tun. Wie in der Politik ist das barocke Bayern auch in seinem Glauben widerspenstig und eigenwillig.

Dieser Text ist am 30. Mai 2009 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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