Passionsspiele in Unterfranken:Jesus von Sömmersdorf

Sömmersdorf

Szene von den Proben zu den Passionsspielen in Sömmersdorf.

Es ist Passionszeit in Sömmersdorf. Alle fünf Jahre wird in dem kleinen Ort in der Nähe von Schweinfurt das Leiden und Sterben Jesu aufgeführt. Seit 80 Jahren schon. Und 400 von 650 Sömmersdorfern machen mit - Familienverwicklungen nicht ausgeschlossen.

Von Katja Auer

Der Apostel Bartholomäus hat tags zuvor sein Deutsch-Abitur geschrieben und jetzt muss er dringend zum Fußball. "Schweinebraten und Nudeln sind im Kühlschrank", ruft ihm die Gottesmutter Maria hinterher, und Pontius Pilatus ergänzt, dass sie gescheit spielen sollen, schließlich steht die Meisterschaft an. Auch noch.

Es ist Samstag in Sömmersdorf, da haben die Mergenthals keine Zeit für ein gemeinsames Mittagessen. Ende Juni ist Premiere und bis dahin werden Susanne, Dieter und Marius Mergenthal wie die meisten Sömmersdorfer ihre Wochenenden auf der Bühne in dem kleinen Wäldchen am Dorfrand verbringen. Es ist Passionszeit, alle fünf Jahre wird in dem Ort im Landkreis Schweinfurt das Leiden und Sterben Jesu aufgeführt. Seit 80 Jahren schon. Und 400 von 650 Sömmersdorfern machen mit.

Robert König inspiziert den Dreckhaufen neben der Bühne, der noch ein wenig modelliert werden muss, bis er den Wüstenhügeln um Jerusalem gleicht. In diesem Jahr wurde die Freilichtbühne auf 50 Meter Breite erweitert, mehrere Ebenen hat sie nun und im Inneren die Garderobe. Sandalen liegen da herum und die Turnschuhe, gegen die sie die Schauspieler nach der Probe wieder tauschen. Helme für die Römer, Stoffballen, eine Amphore aus Pappmaschee. Ganz fertig ist es noch nicht, die Bauarbeiter waren langsamer als gedacht. Oben auf dem Berg Golgatha bastelt jemand an der Verankerung für das Kreuz herum, unten vertreibt Jesus die Händler aus dem Tempel. "Das wird schon", sagt König.

Am Nachmittag wird er die Trainingsjacke mit dem Brustpanzer des Pontius Pilatus vertauschen, bis dahin kümmert er sich als Vorsitzender des Vereins Fränkische Passionsspiele Sömmersdorf um fast alles. Er ist dieses Jahr in Rente gegangen, das sieht man ihm nicht an, aber seitdem widmet er fast jede freie Minute dem Passionsspiel. Das hat längst Ausmaße angenommen, die einen Geschäftsführer rechtfertigen würden, aber in Sömmersdorf arbeiten alle ehrenamtlich. Als Entschädigung gibt es einen Verzehrbon am Spieltag, sieben Euro für Erwachsene, vier Euro für Kinder. Die Dorfgemeinschaft ist in dieser Zeit gefordert. "Der Umgang miteinander ist in diesem Jahr anders als in anderen Jahren", sagt König. Das sei übrigens auch der Unterschied zu Oberammergau, dem berühmtesten aller Passionsspielorte, wo die Leidensgeschichte ein Riesengeschäft ist. In Sömmersdorf ist es noch eine Vereinsaktivität.

Seit 25 Jahren Maria

1,2 Millionen Euro hat der Verein gerade in die Bühne investiert und jetzt müssten die knapp 2000 Sitze eine feste Überdachung bekommen. 2,2 Millionen Euro würde das kosten. Das kann der Verein alleine nicht stemmen. "Da brauch ich die Politik", sagt König.

Auf der Bühne verabschiedet sich Jesus von seiner Mutter. Und dann noch mal, denn die Hauptrollen sind doppelt besetzt und jede Szene wird hintereinander von allen Schauspielern geprobt. Die Theaterpädagogen Marion Beyer und Hermann Vief führen in diesem Jahr Regie in Sömmersdorf, zum ersten Mal, und sie haben einiges über den Haufen geworfen. Die Besetzung zum Beispiel. Sie luden die Schauspieler zum Probenwochenende und verteilten die Rollen. Nur zwei durften ihre behalten. Susanne Mergenthal ist immer noch Maria, wie schon seit 25 Jahren und Stefan Huppmann spielt ein zweites Mal den Jesus. Die anderen wurden umbesetzt - und längst nicht alle waren begeistert.

"Das war schwierig, aber dann haben es doch alle akzeptiert", sagt Marion Beyer. Robert König zum Beispiel spielte 25 Jahre lang den Judas, jetzt ist er Pontius Pilatus. Das hat den Vorteil, dass er sich rasieren darf, während Apostel und Händler Bart und Haare wachsen lassen müssen. Und auch sonst hat sich König mit dem römischen Statthalter angefreundet. "Ich möchte, dass Pilatus um Jesus kämpft", sagt er. Die Regisseure haben ihren Schauspielern Rollenbiografien entworfen, die Sömmersdorfer sollen wissen, wen sie darstellen.

Die Inszenierung ist neu, es gibt eine Rahmenhandlung, die den Bezug zur Gegenwart herstellen soll. "Wir müssen auch ein jüngeres Publikum ansprechen", sagt Marion Beyer. Und dennoch die Tradition bewahren, denn die bedeutet viel in Sömmersdorf. "Wir wissen, dass wir einen ganz besonderen Schatz haben", sagt sie.

1933 spielten sie in einem Wirtsgarten im Dorf zum ersten Mal, aber nicht eines Gelübdes wegen, sondern weil der Männergesangsverein mal ein größeres Theaterstück aufführen wollte. Der Volksschullehrer Guido Halbig, der das Passionsspiel viele Jahre leiten sollte, organisierte und bearbeitete den Text. Die Nazis verboten die Aufführung zwei Jahre später und erst nach dem Krieg wurde das Spiel wiederbelebt. Heute weist ein Schild an der Autobahn auf den Passionsspielort Sömmersdorf hin, es gibt einen Passionsgarten und in diesen Tagen wird ein kleines Passionsmuseum eröffnet.

Orientalische Speisekarte

"Man ist von klein auf dabei", sagt Jesus Stefan Huppmann, der gerade zusieht, wie der andere Jesus Tobias Selzam unter einem brauen Sonnensegel das letzte Abendmahl feiert. Huppmann ist Schreiner, das Kreuz, an dem er viele Abende sterben wird, hat er selbst gezimmert. Er wohnt nicht mehr in Sömmersdorf, aber für die Passion kommt er immer wieder zurück. Mitspielen darf, wer aus dem Ort stammt oder hierher gezogen ist. Oder auch weggezogen. Einen Sommer lang mit den alten Freunden Theater zu spielen, das reicht vielen als Motivation. Und ein bisschen hat es auch mit Frömmigkeit zu tun. "Man kann das nicht machen, wenn man nicht an Gott glaubt", sagt Huppmann. Auf der Bühne bricht Jesus das Brot, unten läuft einer mit einer Wurstsemmel vorbei. Mittagszeit.

Hinten, in der Münsterhalle, probt die Band. Es wird Livemusik geben beim Passionsspiel, eigens für Sömmersdorf komponiert. Orientalische Töne dringen herüber, sie stammen von der Duduk, einer armenischen Flöte. Überhaupt soll es sehr orientalisch zugehen im Wäldchen am Dorfrand. Auch auf der Speisekarte. Die Verpflegung der Gäste übernehmen die Vereine, natürlich. Und die Feuerwehr regelt den Verkehr und organisiert das Parken.

"Das ist ein Ausnahmejahr, das schweißt das Dorf zusammen", sagt Susanne Mergenthal, die Gottesmutter. Sie ist vor 25 Jahren zu ihrem Mann nach Sömmersdorf gezogen. Der ist Kassier im Verein und gleich ist er als zweiter Pontius Pilatus dran. Den spielt er zum ersten Mal, früher war er im Hohen Rat. Über den Rollenwechsel ist Susanne Mergenthal richtig froh, denn jetzt musste er sich keinen langen Bart stehen lassen. Und der hätte in diesem Jahr gar nicht gepasst. "Unserer Tochter hat geheiratet", erzählt sie. "Das hätte schöne Hochzeitsbilder gegeben."

Karten und Informationen im Internet unter www.passionsspiele-soemmersdorf.de oder unter Telefon 09726/2626.

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