Parteienkritiker von Arnim:"Politiker sollen unter den Gesetzen leiden, die sie beschließen"

Hans Herbert von Arnim

Hans Herbert von Arnim stellt die Neufassung seines Buches "Die Selbstbediener" in München vor. 

(Foto: Stephan Rumpf)

Verwandtenaffäre ausgestanden? Noch lange nicht, sagt Hans Herbert von Arnim. Der Parteienkritiker holt zum nächsten Rundumschlag gegen Bayerns Politiker aus. Die Liste der Vorwürfe.

Von Sebastian Gierke

Für Ministerpräsident Horst Seehofer ist die Verwandtenaffäre beendet. Hans Herbert von Arnim ist dagegen der festen Überzeugung: "Es sind noch längst nicht alle Hausaufgaben gemacht." Dem Staatsrechtler Arnim heftet das Label Parteienkritiker so hartnäckig an, als wäre es sein zweiter Vorname. Einer wie er, der fängt jetzt erst richtig an. Noch einmal holt der Verwaltungsrechtler zum Rundumschlag gegen die bayerischen Politiker aus.

Auch durch sein Buch "Die Selbstbediener" kam die Verwandtenaffäre ins Rollen. Darin behauptet Arnim, dass sich in keinem anderen Bundesland die Politiker den Staat derart unverfroren zur Beute gemacht hätten, wie in Bayern. Der Skandal um die Beschäftigung von Familienangehörigen scheint diese These zu unterstreichen. Jetzt legt Arnim nach, nicht mit einem neuen Buch, sondern mit einer erweiterten Neuauflage.

"Fast ein politisches Erdbeben"

Denn als am 15. April dieses Jahres das Buch in Berlin vorgestellt wurde, fand sich darin nur ein Nebensatz, in dem Arnim erwähnt, "theoretisch" könnte es sein, dass Abgeordnete immer noch Ehegatten oder Kinder beschäftigten - obwohl das bereits seit Ende 2000 verboten ist. Ein bisschen dürfte sich der Staatsrechtler deshalb schon geärgert haben darüber, dass er ausgerechnet den Punkt unterschätzte, aus dem sich der Skandal entwickelte, der die Politikverdrossenheit steigen ließ und das Vertrauen vieler Menschen in die Politik so nachhaltig erschüttert hat, wie wenig sonst in den vergangenen Jahren. Ein Skandal, der Rücktritte, Gesetzesverschärfungen und plötzliche Sparmaßnahmen zur Folge hatte. Zwar hatte Arnim, wie er immer wieder betont, schon im Jahr 2011 das Thema Vetternwirtschaft bayerischer Landtagsabgeordneter in einem wissenschaftlichen Aufsatz kritisiert. Doch damals wusste er schlicht nicht, dass Politiker immer noch dutzendfach eine Ausnahmeregelung nutzen. Erst Recherchen der Medien brachten das gesamte Ausmaß ans Licht.

Dennoch: Stolz ist Arnim schon auf das, was nach der Buchveröffentlichung geschehen ist. Das Werk habe "fast ein politisches Erdbeben ausgelöst", sagt er. Und der erste Satz des Vorwortes der Neuauflage, die er im Münchner Literaturhaus vorstellt, lautet: "So schnell hat noch selten ein Buch eine Gesetzesänderung bewirkt." Tatsächlich sind jetzt alle Arbeitsverhältnisse auch mit entfernteren Verwandten verboten. Für Arnim ist das aber längst noch nicht genug. Denn "nur ein kleiner Teil der im Buch behandelten Missstände" sei dadurch bereinigt worden. Die Hauptprobleme seien in der Diskussion bisher noch viel zu kurz gekommen.

"Nach Art eines großen politischen Kartells"

Arnims Hauptvorwurf lautet: "Sämtliche Auswüchse der bayerischen Politikfinanzierung beruhen auf äußerst anfechtbaren, selbst gemachten Regelungen, und diese haben stets alle Abgeordneten und alle Fraktionen, nach Art eines großen politischen Kartells, immer wieder einmütig beschlossen." Stets seien sich die Abgeordneten im Bayerischen Landtag und ihre Fraktionen einig gewesen, wenn es um die "exzessive Bewilligung und die missbräuchliche Verwendung von staatlichem Geld und Personal ging." In Sachen Politikfinanzierung hätten Mehrheits- und Oppositionsfraktionen ein politisches Kartell gebildet - und gemeinsam versucht, alle möglichen Kontrollen zu umgehen. Kurz: "Politiker sollen selbst unter den Gesetzen leiden, die sie für alle Steuerzahler beschließen." Dann würden sie vielleicht auch andere Gesetze machen.

In 21 Themen - die wenigsten sind gänzlich neu - hat Arnim bei der Präsentation der Neuausgabe die aus seiner Sicht schlimmsten Auswüchse zusammengefasst. Eine Auswahl:

  • Laut Arnim sind auch Verträge mit Familienangehörigen die bereits im Jahr 2000 und zum Teil im Jahr 1999 geschlossen wurden, illegal. Er argumentiert, dass Verträge, die abgeschlossen wurden, als ein baldiges Verbot bereits absehbar war, keinen Vertrauensschutz genießen würden und unter anderem deshalb rechtswidrig sind. Dies könne "Rückforderungen in Millionenhöhe" zur Folge haben. Außerdem sei die Ausnahmeregelung in Neufassungen des Abgeordnetengesetzes beispielsweise im Jahr 2004 nicht mehr erwähnt worden. Dass ein Sprecher des Landtages im Gespräch mit der SZ in dem Zusammenhang von einem "Redaktionsversehen" spricht, sieht Arnim sogar als Bestätigung seiner These. "Damit geben sie ja zu, dass es da hätte stehen müssen." Neues Recht schlage altes Recht.
  • Arnim bezeichnet die Altersversorgung bayerischer Landtagsabgeordneter als "weit überhöht". Bayerische Abgeordnete würden für ein Jahr im Landtag 270 Euro monatliche Pension erwerben. Ein durchschnittlicher Sozialversicherter erhalte dagegen pro Beitragsjahr nur einen Anspruch auf 28 Euro Rente. Bayerische Abgeordnete würden deshalb eine zehnmal höhere Altersversorgung erhalten, wie der durchschnittliche Rentenversicherte. Ihr Gehalt sei dagegen im Durchschnitt nur 2,5-mal so hoch.
  • Wichtig sind Arnim die Punkte Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter-Finanzierung. Die Kontrollen hier seien völlig unzureichend. Dies führe zu "verdeckter Parteienfinanzierung" - und einem "steilen Hochschießen der in eigener Sache bewilligten Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter". Tatsächlich hatten Abgeordnete für ihre Mitarbeiter 1981 noch monatlich 1250 Mark zur Verfügung. Ab Oktober 2013 wären es bis zu 9773 Euro gewesen. Diese letzte, bereits beschlossene Steigerung wurde gerade gestoppt. "Derzeit kaum vermittelbar", erklärte die CSU-Fraktionsvorsitzende Christia Stewens dazu.
  • Auch die Kostenpauschale bayerischer Abgeordneter hält Arnim für verfassungswidrig. Die steuerfreie Pauschale in Höhe von 3200 Euro im Monat, die jeder Abgeordnete neben seinen Diäten erhält und die unter den deutschen Bundesländern einzigartig ist, sei grob unangemessen und widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz.
  • Arnim wirft der CSU-Fraktionsvorsitzenden Stewens außerdem vor, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben. Stewens hatte behauptet, Bayern habe jetzt "das strengste Abgeordnetengesetz Deutschlands". Dies treffe allerdings nur auf zwei Teile der Politikfinanzierung zu. "Es bleibt dabei, dass der Bayerische Landtag die bei weitem üppigsten, vielfach verfassungswidrigen Regelungen aller Länder hat", sagte Arnim. "Erschlichen durch Gesetze, für die die Abgeordneten in eigener Sache zuerst alle Kontrollen ausgeschaltet und sich dann bereichert haben."

Jetzt hofft Arnim darauf, dass der Oberste Rechnungshof noch vor der Landtagswahl die Ergebnisse seiner Untersuchung präsentiert. "Dann können sich die Fraktionen seinen Empfehlungen nicht entziehen", glaubt Arnim und fügt ohne allzu viel Bescheidenheit hinzu: "Ohne mein Buch wäre auch heute noch alles beim Alten."

Glaubt man den Umfragen, ist das auch trotz seines Buches so. Die CSU, also die Partei, die der Skandal besonders getroffen hat, darf davon träumen, bald wieder alleine zu regieren. Arnim sagt, dass er das auch nicht erwartet habe. Trotzdem glaubt er, dass das "schnell umschwappen" kann. Keine Partei könne es sich deshalb leisten, so kurz vor der Wahl die Vorwürfe einfach auszusitzen.

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