Organisierte Kriminalität in Bayern:Das Allgäu - Vorposten der Mafia

Finale in der Pizzeria "Vulcano": In Sonthofen hebt die Polizei eine Dealer-Bande der kalabrischen 'Ndrangheta aus.

Mike Szymanski

Karl Zirngibl hat immer gewusst, dass der Kampf noch lange nicht vorbei ist. 59 Jahre ist der Polizist alt. Er leitet seit 1998 die Polizeiinspektion in Sonthofen im Allgäu.

Organisierte Kriminalität in Bayern: 1998 griff die Polizei am Bahnhof in Kempten eher zufällig Giorgio Basile auf. 30 Auftragsmorde sollen auf das Konto des Mafia-Killers gehen.

1998 griff die Polizei am Bahnhof in Kempten eher zufällig Giorgio Basile auf. 30 Auftragsmorde sollen auf das Konto des Mafia-Killers gehen.

(Foto: Foto: dpa)

Eigentlich ein ruhiger Job. Mal prügelt sich die Jugend nachts vor der Diskothek, hin und wieder gibt es Raubüberfälle, häufig erwischen Zirngibls Beamte Drogenkonsumenten und manchmal auch die Händler des illegalen Stoffs.

Aber alles in allem ist Sonthofen in den vergangenen Jahren keine Stadt gewesen, in der man Angst haben musste. Das galt zumindest bis zu diesem Montag. Dann machte in der Stadt die Nachricht die Runde, Polizei und Staatsanwaltschaft Kempten hätten in Sonthofen einen Stützpunkt der Mafia zerschlagen.

Die frühere Pizzeria "Vulcano", ein beliebter Treffpunkt mitten im Zentrum der Stadt, soll als Drehscheibe für den Handel mit Drogen und Falschgeld gedient haben. Angeblich kontrolliert von der kalabrischen 'Ndrangheta, die auch für den Mord an sechs Italienern in Duisburg im vergangenen Jahr verantwortlich sein soll.

Mafiosi nutzten in den 90ern das Allgäu als Rückzugsraum

Zirngibl hat die Nachricht nicht verwundert. Anfang der 90er Jahre war er selbst Spezialermittler für Verbrechen der Organisierten Kriminalität im Allgäu und aus dieser Zeit weiß er: "Diese Strukturen sterben nicht." In den Neunzigern hatten Mafiosi, die untertauchen mussten, das Allgäu als Rückzugsraum genutzt - so zahlreich, dass die ländlich geprägte Gegend in Ermittlerkreisen auch gerne mal als ein "Vorposten für das Syndikat" bezeichnet wurde.

1998 griff die Polizei am Bahnhof in Kempten eher zufällig Giorgio Basile auf. 30 Auftragsmorde sollen auf das Konto des Mafia-Killers gehen, der den Spitznamen "Engelsgesicht" trug.

Der jüngste Fall zeigt, dass das System offenbar nie komplett zerschlagen werden konnte. Am Montag bestätigte Oberstaatsanwalt Peter Koch, dass im italienischen San Luca zwei Männer im Alter von 28 und 30 Jahren festgenommen worden seien.

Sie sollen nach Deutschland ausgeliefert werden, entsprechende Anträge seien bereits gestellt worden. Ein mutmaßlicher Komplize, 25 Jahre alt, werde noch mit internationalem Haftbefehl gesucht und halte sich vermutlich ebenfalls in Italien auf.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern vor, von Sonthofen aus den Kokainhandel zwischen Belgien und Italien organisiert zu haben. Auch Geschäfte mit Falschgeld sollen die Männer getätigt haben.

Kein Zusammenhang zu Duisburg

Zum Duisburger 'Ndrangheta-Clan bestünden verwandtschaftliche Beziehungen. "Zwischen den Morden in Duisburg und Sonthofen besteht aber kein Zusammenhang", betonte ein Sprecher der Behörde.

Seit mehr als drei Jahren hatten die Ermittler die Pizzeria "Vulcano" schon im Visier, hörten Telefongespräche mit, pflegten Kontakte zu Informanten und fanden sich schließlich auch zu einer Razzia ein. Die verdeckte Aktion wurde intern unter dem Titel "Finale"geführt. Es war wie in alten Zeiten.

1989 verhafteten die Fahnder des Landeskriminalamtes in Kempten den Gemüsehändler Salvatore Salamone, Kopf der Mafia-Familie Santangelo. 1991 wurde er an Italien ausgeliefert und wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Salamone folgten andere Mafiosi, die mit den Gastarbeiter-Familien nach Kempten kamen.

Zeitweise liefen bei der Allgäuer Justiz 99 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Mafiosi. Polizisten bekamen Fälle auf den Schreibtisch, in denen italienischen Wirten die Beine zerschossen worden waren. Die Kripo kämpfte gegen Schutzgelderpressung und den aufblühenden Rauschgifthandel.

1993 machten die Richter in Kempten Vito di Stefano den Prozess, dem einstigen Paten der Mafia im Allgäu. Er hatte von einer Pizzeria in Memmingen aus die Fäden gezogen. Fünf Jahre später ging den Ermittlern Basile ins Netz.

Ermittler wurden auf Restaurant "Vulcano" aufmerksam

"Dann wurde es für lange Zeit sehr ruhig", sagt Walter Beck, Sprecher des Polizeipräsidiums in Schwaben. Dort ist auch die Dienststelle Organisierte Kriminalität angesiedelt, die auf das Restaurant "Vulcano" aufmerksam wurde.

Erste Erfolge konnten die Ermittler 2006 vermelden. Damals wurden zwei Italiener aus dem Umfeld der Pizzeria bereits wegen des Geschäfts mit Falschgeld und wegen Drogenhandels verurteilt - die Richter in Kempten verhängten Haftstrafen von drei Jahren und elf Monaten sowie von siebeneinhalb Jahren.

Mit den jüngsten Festnahmen hält die Staatsanwaltschaft die Sonthofener Mafia-Strukturen für zerschlagen. "Der Clan ist weg", sagte Behördenleiter Herbert Pollert.

Die Pizzeria in Sonthofen hat inzwischen einen neuen Besitzer und einen neuen Namen. "Hier gibt und gab es keinerlei Auffälligkeiten", sagt auch Sonthofens Polizeichef Karl Zirngibl.

Im Rathaus von Sonthofen möchte man das nur allzu gerne glauben. "Die Polizei sagt uns, sie habe alles im Griff", erklärt der stellvertretende Bürgermeister Eugen Wutz von der SPD. "Wir verlassen uns darauf."

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