Oktoberfest-Thriller von Scholder:"Ich habe keine Aggressionen gegen das Oktoberfest"

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Horrorszenario zur Jubiläumswiesn: Russische Ex-Soldaten nehmen 70.000 Besucher als Geisel. Autor Christoph Scholder erzählt, wie er auf solche Gedanken kommt.

Ch. Mayer und M. Baumstieger

Die Wiesn: Der Inbegriff von Gaudi und Gemütlichkeit. Aber nicht bei Christoph Scholder. Sein Thriller Oktoberfest ist die Geschichte eines spektakulären Terrorangriffes auf das Oktoberfest. sueddeutsche.de traf den Autor im Weinzelt.

In seinem Thriller ist die Polizei nicht nur am Kinderkarussell aktiv: Christoph Solcher hat ein Buch über eine Geiselnahme auf dem Oktoberfest geschrieben. (Foto: Robert Haas)

sueddeutsche.de: Herr Scholder, für Ihren Thriller haben Sie sich ein Schreckensszenario ausgedacht, bei dem russische Ex-Elitesoldaten 70.000 Wiesnbesucher als Geisel nehmen, um zwei Milliarden Euro zu erpressen. Entschuldigen Sie die Frage, aber: Wie kommt man auf solche Gedanken?

Christoph Scholder: Natürlich beim Bier. Ich saß vor zirka 15 Jahren mit Freunden auf dem Oktoberfest und hatte plötzlich ein unglaubliches Bild vor Augen: GSG-9-Beamte in voller Montur stürmen das Zelt, wie Marsmenschen. Ich wollte diesen irren Einfall sofort meinem Kumpel erzählen: "Wenn jetzt ..." Aber der winkte nur ab, "Red' keinen Schmarrn. Trink dein Bier". Aber seitdem wusste ich: Die Wiesn ist eine tolle Location für einen Action-Thriller. Das Bild hatte sich festgesetzt.

sueddeutsche.de: Das war vor 15 Jahren, wie sie sagten - warum kam das Buch erst jetzt?

Scholder: Ich habe die Idee immer mit mir rumgetragen. Doch vor vier Jahren wusste ich: Wenn ich mich jetzt nicht hinsetzte und das Buch schreibe, dann tue ich es nie. Irgendwann hatte ich alle Figuren im Kopf und natürlich habe ich jedes Jahr auf dem Oktoberfest recherchiert. Wobei das schwierig ist: Nach zwei, drei Maß lässt der Recherchewille deutlich nach.

sueddeutsche.de: Als Sie dann wirklich zu schreiben begonnen haben - war es leicht, einen Verlag zu finden? Denn einen literarischen Anschlag auf ein bayerisches Nationalheiligtum zu verüben, ist schon ein wenig heikel, wie einige Reaktionen zeigen.

Scholder: Ich musste nicht lange suchen. Meinem Verlag hat die Story deutlich besser gefallen als dem Wirtesprecher Toni Roiderer. Der hat ja im Rundfunk gesagt, das Buch brenne sicher gut. Er hat es nach eigener Aussage aber gar nicht gelesen. Mit so einer Kritik muss ich mich nicht auseinandersetzen, wenn eine sachliche Diskussion nicht möglich ist.

sueddeutsche.de: Sie haben eine Startauflage von 50.000 Stück - eine sehr hohe Zahl für ein Erstlingswerk.

Scholder: Viele Thriller-Autoren sind von Massenveranstaltungen fasziniert - mit gutem Grund: Jeder weiß, dass sie ein Risiko bergen, dass sie kaum komplett abgesichert werden können. Die kontroversen Reaktionen sind vielleicht so erklärbar, dass das Oktoberfest als Schauplatz die Menschen stärker berührt, wenn sie in diesem Thriller jede Straße kennen, mehr, als wenn etwa in einem Film mit Will Smith das Weiße Haus in die Luft gejagt wird.

sueddeutsche.de: Weil Sie also geschickt mit Ängsten spielen.

Scholder: Das ist die Kunst des Thrillerautors. Aber ich bitte Sie: Russische Elitesoldaten, die beim Wiesnaufbau Giftgasleitungen verlegen, um so zwei Milliarden Euro in Rohdiamanten zu erpressen - das ist dermaßen überspitzt und überhöht, da merkt man doch, dass man in der Welt von James Bond oder Jason Bourne ist. Man sollte die Intelligenz der Leser nicht unterschätzen - die können sehr wohl zwischen einem fiktiven Thriller und der Wirklichkeit unterscheiden. Wer Das Schweigen der Lämmer liest, hat danach ja auch nicht permanent auf der Straße Angst, von Hannibal Lecter angeknabbert zu werden.

sueddeutsche.de: Nun gehen viele von einer konkreteren Bedrohung aus: Um das Oktoberfest herum stehen Betonpoller, um etwa Anschläge durch Autos zu verhindern. Zudem jährt sich der Anschlag auf das Oktoberfest zum 30. Mal, der ganz real 13 Todesopfer gefordert hat.

Scholder: Ich bestreite ja gar nicht, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht der Schlechteste ist, um Aufmerksamkeit auf das Buch zu leiten. Aber: Das ist Zufall, ich habe vier Jahre an dem Buch geschrieben - und jetzt bin ich eben fertig. Die Polizei hat mich übrigens noch nicht als Sicherheitsberater angefragt - also nehmen auch die mein Phantasie-Szenario nicht so ernst.

sueddeutsche.de: Also keinerlei Gewissensbisse?

Scholder: Überhaupt nicht. Natürlich ist man als Thriller-Autor gut beraten, wenn man die vorhandenen Ängste in der Gesellschaft erspürt. Und vielleicht ist es ja ganz heilsam, wenn sie in Buchform verhandelt werden. Der Schrecken ist Fiktion, die Angst bleibt zwischen den Buchdeckeln. Loriot hat es einmal treffend formuliert: "Beim Krimiautor ist das Böse in guten Händen." Aber ich verspüre keine Aggressionen gegenüber dem Oktoberfest, das wäre ein Missverständnis. Das ist schon gut so, wie es ist.

sueddeutsche.de: Ihr eigentlicher Beruf ist ein ganz anderer: Sie sind Dozent für Soziologie.

Scholder: Ich weiß, dass wir Soziologen nicht unbedingt dafür bekannt sind, spannend zu schreiben. Ich finde: Es gibt viele komplexe Themen, die sich nur mit komplexen Begriffen verhandeln lassen. Alles andere sollte man aber möglichst einfach und klar schreiben. Das tue ich jetzt, inzwischen bin ich freier Autor.

sueddeutsche.de: Kommt bald der nächste Oktoberfest-Thriller?

Scholder: Ich arbeite an etwas Neuem, aber dieses Mal hat es nichts mit Massenveranstaltungen zu tun. Es wird ein Thriller, ich bleibe bei der Action. Das ist eine Kunst, die fast etwas Wissenschaftliches hat: Wie kriege ich den perfekten Aufbau hin? Darüber kann man wahnsinnig viel nachdenken. Und wenn es klappt, merkt der Leser davon gar nichts. Außer, dass er das Buch in einem Rutsch durchgelesen hat.

sueddeutsche.de: Wie erklärt der Soziologe die Anziehungskraft des Phänomens "Massenveranstaltung" - das ja, wie jeder weiß, Gefahren birgt?

Scholder: Massenerlebnisse machen eine Gemeinschaft, einen Zusammenhalt erlebbar - um sich live zu versichern, dass es diese Gemeinschaft gibt. Das geschieht über Rituale - "Oans, zwoa, gsuffa" - und über Symbole, die den Zusammenhalt illustrieren, zum Beispiel Lederhosen und Dirndl. Aber eigentlich will ich hier gar nicht soziologisieren ...

sueddeutsche.de: ... dazu ist es ja auch viel zu laut. Sie kommen aus Tübingen. Konnten Sie sich mit dem Oktoberfest gleich anfreunden?

Scholder: Als ich hier das erste Mal ein Bierzelt betreten habe, dachte ich: Diesen Wahnsinn machst du nicht mit. Nach der zweiten Maß fand ich die Musik bereits ganz lustig - und bei der dritten stand ich auf der Bank. Diesem Sog kannst du nicht entkommen. Unglaublich.

sueddeutsche.de: Sie fallen in Ihrem Buch durch unglaublich detailliertes Wissen zu Waffen und Pyrotechnik auf. Sind Sie auf der Wiesn normalerweise an der Schießbude zu finden?

Scholder: Eigentlich nicht. Ich bin kein Waffennarr, war auch nicht bei der Bundeswehr, das ist alles recherchiert. Aber: Wenn ich meine, dass jetzt eine Rose angebracht ist, treffe ich das Röhrchen meistens schon.

sueddeutsche.de: Zum Abschluss: Wenn Sie Ihren Thriller mit etwas hier auf der Wiesn vergleichen müssten - was wäre ein gutes Sinnbild?

Scholder: Es gibt hier so eine Achterbahn, die einen Teil der Strecke durchs Dunkle fährt. Das wäre ein guter Vergleich: Halb Achterbahn, halb Geisterbahn - rasant und gruselig - ich glaube, das Fahrgeschäft heißt "Höllenblitz", das passt.

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