Oktoberfest-Attentat:Stilles Gedenken an einem lauten Ort

Der Tag, an dem die Wiesn Trauer trug: Rote Nelken erinnern an das Oktoberfest-Attentat vor 30 Jahren, während Feierwütige zu den Festzelten pilgern. OB Ude spricht sich für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen aus.

Tobias Dorfer

Noch ist es verhältnismäßig ruhig auf der Theresienwiese. Die ersten Fahrgeschäfte öffnen, auch einige Feierwütige sind schon da. Sie tragen lustige Hüte. Einige haben schon um zehn Uhr morgens eine Weinflasche in der Hand. Sie laufen vorbei an einer Gruppe, die sich am Haupteingang versammelt hat.

Gedenken zum 30. Jahrestag des Oktoberfest-Attentats

Gedenken dem Oktoberfest-Attentat vor 30 Jahren: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, Oberbürgermeister Christian Ude und sein Vorgänger Georg Kronawitter.

(Foto: dpa)

Mehrere hundert Menschen sind gekommen. Ihnen ist nicht nach feiern zumute an diesem Sonntagvormittag. Sie sind hierher gekommen, um der Tat zu gedenken, die vor 30 Jahren einen dunklen Schatten auf das größte Bierfest der Welt geworfen hat: An das Attentat vor 30 Jahren, bei dem 13 Menschen starben, 211 teils schwer verletzt wurden.

An diesem Sonntag liegen rote Rosen vor dem Mahnmal, das an diesen Anschlag erinnern soll. Außerdem liegen da noch Blumen in blau und weiß, den Farben des Freistaats Bayern. An eben dieser Stelle, an der vor 30 Jahren Blut am Boden des Geländes klebte.

Am 26. September 1980 explodierte am Haupteingang des Oktoberfests eine Rohrbombe, die in einem Feuerlöscher versteckt war, der wiederum in einem Mülleimer deponiert war. Es war eines der schlimmsten Attentate in der Geschichte der Bundesrepublik.

Für die Opfer von einst besonders tragisch: Das Geschehene ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Die im Jahr 1982 eingestellten Ermittlungen gehen davon aus, dass der Rechtsextremist Gundolf Köhler, der bei der Explosion ums Leben kam, als Einzeltäter handelte - eine These, die umstritten ist und die von vielen angezweifelt wird. Die Überlebenden und ihre Nachfahren kämpfen seitdem um eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.

An diesem Sonntag spricht sich auch Oberbürgermeister Christian Ude und die Jugendsekretärin des DGB München, Katharina Joho, für weitere Ermittlungen aus. Der Wunsch nach einer "restlosen Aufklärung" müsse aufgegriffen werden, sagt Ude. Die Bedeutung der Kontakte des Attentäters zur rechtsextremen Szene sei nie weit genug ausgeleuchtet worden, um alle Zweifel zu zerstreuen.

Joho wirft den zuständigen Staatsorganen bei den Ermittlungen eine unrühmliche Rolle vor. Auch die Rolle des damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß müsse kritisch beleuchtet werden, sagt sie unter dem Applaus zahlreicher Anwesender. Strauß, seinerzeit bayerischer Ministerpräsident, habe die neonazistische Wehrsportgruppe Hoffmann, zu der der mutmaßliche Attentäter in Verbindung stand, verharmlost.

Seit dem Attentat vor 30 Jahren kommen Angehörige der Opfer jedes Jahr an den Eingang der Theresienwiese und erinnern an das Geschehene - auch Repräsentanten von Stadt, Brauereigewerbe und Behörden sind anwesend. In diesem Jahr ist neben Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der bayerischen Grünen-Landesvorsitzenden Theresa Schopper und der Fraktionschefin Margarethe Bause auch Charlotte Knobloch gekommen, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Herrmann: Keine neuen Erkenntnisse

Und noch einer ist gekommen. Mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann(CSU) nimmt erstmals ein Mitglied der Staatsregierung an der Gedenkstunde teil. Herrmann erinnert an ein "dramatisches Ereignis", er spricht den Opfern und ihren Angehörigen sein Mitgefühl aus, er mahnt, "jede Keimzelle extremistischer Gewalt" müsse konsequent bekämpft werden.

Nur zu einem äußert sich Herrmann nicht. Nämlich genau zu der Sache, die viele an diesem Morgen bewegt: dass er sich für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen einsetzt. Hierzu gibt sich der Innenminister wortkarg. Nach der Veranstaltung sagt er lediglich, die Entscheidung über eine mögliche Wiederaufnahme der Ermittlungen liege bei der Generalbundesanwaltschaft. Diese prüfe dies seines Wissens zurzeit. "Ich warte ab, was diese Analysen sagen."

Abgesehen von Stasi-Unterlagen, die ihm nicht vorlägen, gebe es aber nichts Neues. Somit habe man in Bayern derzeit keine Erkenntnisse, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigten.

Feiern und Trauer, Ausgelassenheit und Würdigung - kann so etwas zusammengehen? Christian Ude erzählt in seiner Ansprache, dass er sich kürzlich mit Überlebenden des Attentats zu einem Austausch getroffen hat. Dabei habe ihm ein Mann berichtet, wie er durch den Anschlag beide Beine verloren hat. Heute sei er Rollstuhlfahrer - und voller Lebensfreude, erzählt der Oberbürgermeister. Bei den chirurgischen Behandlungen habe er "die Frau seines Lebens kennengelernt".

Mit einem Bläserstück endet die Veranstaltung, die Stille geht im Lachen der vorbeiziehenden Oktoberfest-Feiergemeinde auf. Langsam zerstreut sich die Gruppe am Wiesn-Haupteingang. Nur eine Stunde später geht denn auch auf der Jubiläumswiesn das Programm weiter. Mit einem Standkonzert der Wiesn-Kapellen zu Füßen der Bavaria.

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