Öffentliches Wissen:Revolutionäres Projekt

Bayerische Staatsbibliothek, Muenchen

Mit Hilfe von speziellen Handschriftenscannern werden im Münchner Digitalisierungszentrum auch Schriften aus dem Mittelalter digitalisiert und im Internet zugänglich gemacht.

(Foto: H.-R. Schulz/Bayerische Staatsbibliothek)

Ein Buch im Internet lesen. Diese Vorstellung stieß vor 20 Jahren auf große Skepsis. Die Bayerische Staatsbibliothek aber wagte mit ihrem Digitalisierungszentrum diesen Schritt. Inzwischen sind 1,9 Millionen Bände im Netz verfügbar

Von Hans Kratzer

Die digitale Welt hat ein schwindelerregendes Tempo aufgenommen. Manche Menschen verfolgen dies mit Sorge, andere mit Euphorie. Der Bayerischen Staatsbibliothek hat dieser Fortschritt immerhin eine weltweit beachtete Innovation beschert, von der die Nutzer enorm profitieren. Mitte der Neunzigerjahre wurde dort erstmals die Frage aufgeworfen, ob man denn Bücher auch im Internet darstellen könne. Es war ein geradezu revolutionärer Vorstoß. Wohlgemerkt, das Internet war damals ein recht junges Medium, das nur von einer Minderheit genutzt wurde. "Alles war neu, ein solches Projekt war in jener Zeit nur schwer umsetzbar", sagt Markus Brantl, der Leiter des in die Staatsbibliothek integrierten Münchner Digitalisierungszentrums (MDZ). Es gab genügend Stimmen, die lauteten: "Das ist niemals möglich!" Aller Skepsis zum Trotz wurde das Digitalisierungszentrum mithilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft dann doch ins Leben gerufen. Noch ahnte niemand, welch eine Erfolgsgeschichte daraus werden sollte. Umso größer war jetzt die Freude bei der Feier des 20-jährigen Bestehens. "Das MDZ ist über Bayern und Deutschland hinaus ein Schrittmacher der digitalen Revolution", erklärte Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle bei der Festveranstaltung.

Dieses Lob kam nicht von ungefähr. Die Bayerische Staatsbibliothek hat in den vergangenen 20 Jahren Digitalisierungsprojekte umgesetzt und Informationsportale aufgebaut, die weltweit Beachtung finden. Überdies resultiert daraus ein enormer Gewinn für die Benutzer, die sich lange Wege, Kosten und Mühen sparen, weil sie die Schriften und Bücher nicht mehr im Lesesaal in München einsehen müssen, sondern alles bequem am heimischen PC lesen und studieren können.

Die ersten Schriften, die im großen Stil digitalisiert wurden, waren 500 Bände Reichstagsprotokolle von 1867 bis 1942. Der digitale Zugang zu diesem Schatz war eine Sensation. In den folgenden Jahren wurden die Scan-Technik und die Software immer besser. Wurde 1997 noch mit Digitalkameras und Flachbettscannern gearbeitet, so folgten recht bald automatisierte Buchscanner. Als die Staatsbibliothek im Frühjahr 2007 ankündigte, in Kooperation mit Google eine Million Bände aus dem eigenen Bestand zu digitalisieren, schien das ein Projekt für Jahrzehnte zu sein. Zehn Jahre später sind die Werke längst eingescannt und im Internet frei verfügbar. Dieses Tempo war nur mithilfe von erstmals in Deutschland eingesetzten Scanrobotern möglich. In den vergangenen 20 Jahren digitalisierte die Staatsbibliothek mehr als 1,9 Millionen Bände aus ihrem Bestand, ein Datenvolumen von knapp 700 Terabyte. Es ist der größte digitale Datenbestand aller deutschen Bibliotheken. Es werden aber nur solche Werke digitalisiert, bei denen es keine urheberrechtlichen Bedenken gibt. Das Ziel lautet: "Alles, was urheberrechtsfrei ist, soll im Internet zugänglich sein", sagt Markus Brantl. Nicht immer geht es freilich mit höchstem Tempo voran. Bei den wertvollen mittelalterlichen Handschriften werden behutsam höchstens 200 Seiten pro Tag digitalisiert, bei den Büchern sind es bis zu 500 pro Woche. Die Bücher vom 8. bis zum 16. Jahrhundert bearbeitet die Staatsbibliothek selbst, Google übernimmt die Bestände vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, wobei die Staatsbibliothek Kopien erhält. Zum digitalen Angebot der Staatsbibliothek gehört künftig auch ein Portal für digitalisierte Zeitungen. Bis Jahresende sollen mehr als 1000 urheberrechtsfreie historische Zeitungstitel verfügbar sein. Präsentiert werden die Digitalisate unter anderem im größten deutschen Regionalportal (www.bayerische-landesbibliothek-online.de).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: