Obersalzberg:Spurensuche am Täterort

Umdenken im Umgang mit dem Obersalzberg: Hitlers zweite Machtzentrale soll ein Lernort und die NS-Relikte in die Denkmalliste aufgenommen werden.

Hans Holzhaider

Der Obersalzberg bei Berchtesgaden, wo sich in den Jahren 1933 bis 1945 die neben der Reichskanzlei in Berlin bedeutendste Machtzentrale des nationalsozialistischen Regimes befand, soll in weit größerem Umfang als bisher als zeitgeschichtlicher Lernort genutzt werden. Bei einer Fachtagung in der Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg stellten Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) ein Konzept vor, das den Standort des sogenannten Berghofs, dem Wohnsitz Adolf Hitlers, und das "Teehaus" auf dem 1834 Meter hohen Kehlstein in die historisch-politische Bildungsarbeit einbezieht.

Erweiterungsbau der NS-Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg, 2005

NS-Dokumentationsstelle auf dem Obersalzberg: Eine mit Stahlplatten befestigte Schießscharte  gibt den  Blick auf eine Treppe in der Bunkeranlage unter dem Obersalzberg preis.

(Foto: dpa/dpaweb)

Beide Orte sollen neben einigen anderen baulichen Relikten der NS-Zeit auf dem Obersalzberg in die bayerische Denkmalliste eingetragen und so vor Veränderung und weiterer Zerstörung geschützt werden.

Das Konzept markiert eine deutliche Trendwende im Umgang mit dem historischen Gelände. Bis vor wenigen Jahren hatte das bayerische Finanzministerium die Aufnahme von Objekten auf dem Obersalzberg in die Denkmalschutzliste gezielt torpediert und nach dem Abzug der Amerikaner 1996 eine Reihe von noch bestehenden Gebäuden und Gebäuderesten abreißen und einebnen lassen.

Die Tagung auf dem Obersalzberg stand unter dem Titel "Täterort - Erinnerungsort - Lernort. Überlegungen für ein Gesamtkonzept Obersalzberg". Experten aus ganz Deutschland sprachen über ihre Erfahrungen mit Orten, die symbolisch für die Machtausübung und die inszenierte Massenpropaganda im sogenannten Dritten Reich stehen und über deren Nutzung es in den meisten Fällen keinen gesellschaftlichen Konsens gibt wie etwa bei den KZ-Gedenkstätten oder den Erinnerungsorten an den Widerstand gegen Hitler.

Solche Orte sind etwa die Zentralverwaltung der Konzentrationslager in Oranienburg, der Bückeberg bei Hameln, wo die "Reichserntedankfeste" inszeniert wurden, oder die NS-Ordensburg und "Thingstätte" Vogelsang in der Eifel.

Der Obersalzberg, darüber waren sich alle Teilnehmer einig, nimmt unter all diesen Orten eine Sonderstellung ein. "Der Obersalzberg ist bis heute untrennbar mit Hitler und seinem untergegangenen Reich verbunden. Der Name ist weltweit bekanntes Symbol der nationalsozialistischen Herrschaft", sagte Albert Feiber, einer der wissenschaftlichen Leiter der Obersalzberg-Dokumentation.

Für die Touristen, die seit den 50er Jahren in unverminderter Zahl auf den Obersalzberg strömen, war und ist freilich weniger die politisch-historische Bedeutung des Ortes, als vielmehr seine vermeintliche Aura als der "private" Wohnsitz Hitlers ausschlaggebend. Die Mitarbeiter der Dokumentation auf dem Obersalzberg erleben das bis heute täglich an den Fragen, mit denen sie von Seiten der Besucher konfrontiert werden. "Sie möchten von uns erfahren, wie Hitler gelebt und was er gegessen hat, sie möchten seinen Ausblick genießen, sie erwarten bei uns einen Blick durch das Schlüsselloch in Hitlers Wohnzimmer", schilderte Claire Keruzek ihre Erfahrungen.

Zwar hat sich die Dokumentation seit ihrer Eröffnung 1999 als ausgesprochenes Erfolgsmodell erwiesen - mehr als 160.000 Besucher kamen bisher jährlich - trotzdem geben sich zahllose Touristen nicht mit den Bildern und Texten in der Ausstellung zufrieden, sondern machen sich selbständig auf die Suche nach den "authentischen" Orten - insbesondere nach den Überresten des Berghofs - nicht weil sie Neonazis oder sonstige Rechtsextreme wären, sondern aus einer "von der Authentizität des Ortes geweckten, aber strukturell diffusen historischen Neugier" heraus.

Dabei aber werden sie regelmäßig enttäuscht. Denn das Wenige, was nach der Sprengung der Berghof-Ruine 1952 (siehe Kasten) noch übrig war, ließ die bayerische Staatsregierung 1995 restlos abtragen und einebnen. Schon vorher wurde das Gelände mit Büschen und Bäumen aufgeforstet und so unkenntlich und nahezu unzugänglich gemacht. Nur eine schwärzliche, in den Hang gebaute Stützmauer blieb bestehen.

Geheime Teile der Denkmalliste

Das war Teil eines planmäßigen Vorgehens, mit dem alles, was an materiellen Relikten der NS-Herrschaft auf dem Obersalzberg noch erhalten war, beseitigt oder zumindest unkenntlich gemacht werden sollte. Als 1973 das bayerische Denkmalschutzgesetz erlassen wurde, überprüfte das Landesamt für Denkmalschutz (LfD) auch die NS-Relikte auf dem Obersalzberg und setzte etliche davon auf die Denkmalliste, unter anderen das sogenannte Gästehaus Hitlers, den Platterhof, die Überreste der SS-Kasernen und der im Auftrag Bormanns angelegten Gewächshäuser.

Auf Anweisung des Finanzministeriums, als Liegenschaftsverwalter sozusagen der Hausherr auf dem Obersalzberg, musste dieser Teil der Denkmalliste allerdings geheim gehalten werden - ein klarer Verstoß gegen das Denkmalschutzgesetz, das festlegt, dass die Denkmalliste "von jedermann eingesehen werden kann". 1979 stoppte das Kultusministerium "auf Druck des Finanzministeriums", wie der Pressesprecher des Landesamts Richard Nemec sagt, die Aufnahme von Objekten auf dem Obersalzberg in die Denkmalliste. Im April 1985 mussten sogar die schon eingetragenen Objekte aus der Liste gestrichen werden.

So konnte das Finanzministerium, als die Amerikaner 1996 den Obersalzberg räumten, schalten und walten, wie es wollte. Es ließ sich dabei auch von einer Bürgerinitiative, die sich für die Erhaltung zumindest des Platterhofs einsetzte, nicht stoppen.

Im Umgang mit der NS-Geschichte des Obersalzbergs präsentierte die Staatsregierung das "Zwei-Säulen-Konzept": Einerseits die Dokumentation als die zeitgeschichtliche "Säule", andererseits ein Fünf-Sterne-Hotel zur Förderung des "gehobenen Tourismus". Mit seinen Zufahrten und Außenanlagen überdeckt das Hotel die Standorte der Wohnhäuser Bormanns und Görings und der Gewächshäuser, ein durchaus erwünschter Nebeneffekt, denn nach der Vorstellung der Staatsregierung sollte alles, was außerhalb der Dokumentation noch an Hitler und seine Zeit erinnert, verschwinden.

Umso überraschender kam nun bei der Tagung auf dem Obersalzberg die Mitteilung des bayerischen Landeskonservators Johannes Greipl, dass sich das Landesamt für Denkmalpflege ab 2009 erneut intensiv mit dem Obersalzberg beschäftigt habe und zehn Objekte auf die Denkmalliste setzen werde, darunter auch die im Boden befindlichen Überreste des Berghofs und das Kehlsteinhaus mitsamt Zufahrtsstraße.

Greipl machte keinen Hehl aus seinem Missmut über den bisherigen Umgang mit NS-Relikten auf dem Obersalzberg. "Ich halte das Zwei-Säulen-Modell für falsch", sagte der Landeskonservator. "Wir können nicht die Erinnerung, die in den realen Resten steckt, an die Dokumentation abgeben. Wir haben die Aufgabe, uns um die Originalzeugen der Geschichte zu kümmern, auch wenn sie unscheinbar oder belastet sind."

Axel Drecoll und Albert Feiber, die für den Obersalzberg zuständigen Historiker des IfZ, machten deutlich, dass es bei ihrem Konzept keinesfalls um eine wie auch immer geartete Hitler-Nostalgie gehe - im Gegenteil. Die "Bilder in den Köpfen der Touristen", die "überwiegend aus der NS-Zeit stammen", müssten gebrochen und mit den verheerenden Folgen der Entscheidungen, die hier getroffen wurden, konfrontiert werden. "Jede Auseinandersetzung mit den Zeugnissen der NS-Vergangenheit steht vor der Herausforderung, an die Taten zu erinnern, ohne den Tätern ein Denkmal zu setzen", sagte Drecoll. Man wolle keinen "NS-Wanderweg in einem historischen Disneyland" schaffen.

An die Taten erinnern, ohne den Tätern ein Denkmal zu setzen

Im Zentrum solle weiterhin die Dokumentation Obersalzberg stehen, die allerdings räumlich, personell und finanziell besser ausgestattet werden müsse. Ergänzend sollten zwei "Satellitenausstellungen" auf dem Gelände des ehemaligen Berghofs und auf dem Kehlsteinhaus hinzukommen. "Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel", sagte Feiber, vom "Touristenort mit einem Appendix Lernort" hin zum "Lern- und Erinnerungsort Obersalzberg mit touristischer Komponente". Dazu solle eine Jugendbegegnungsstätte dem europaweit wichtigen Lernort Obersalzberg eine neue Qualität geben.

Wie das im Einzelnen aussehen könnte, ist noch längst nicht geklärt. Gabriele Hammermann, die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, regte einen internationalen Wettbewerb an. "Ein paar Tafeln aufzustellen reicht nicht", sagte sie. Man dürfe "keine Angst vor künstlerischer und architektonischer Verfremdung" haben. Bei einer Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung wurde allerdings auch deutlich, dass die Vorstellungen der Historiker des IfZ durchaus nicht überall auf Gegenliebe stoßen.

"Dass man hier Denkmäler konstruiert, weil der größte Verbrecher der Weltgeschichte da oben war, da setze ich drei dicke Fragezeichen", sagte Georg Grabner, der Landrat des Landkreises Berchtesgadener Land. Die Berchtesgadener hätten Sorge, "dass Leute sich hier irgendwie im Gelände tummeln. Die sollen in die Dokumentation gehen, und wir sollten alles vermeiden, was das konterkariert". Auch Walter Schön, Amtschef im bayerischen Justizministerium, der als Vertreter der Staatsregierung im Stiftungsrat der Berchtesgadener Landesstiftung sitzt, meldete Bedenken gegen die Nutzung des Berghofgeländes an: "Da ist ja nur sehr wenig zu sehen. Was kann ich da als Botschaft vermitteln?" Man müsse bedenken, dass der "Grat zwischen Erinnerungs- und Wallfahrtsort" sehr schmal sei, sagte Schön.

Überraschend positiv äußerte sich dagegen Dominik Kazmaier, der für die staatlichen Immobilien zuständige Referatsleiter im Bayerischen Finanzministerium - also der Behörde, die in der Vergangenheit die Einebnung aller Nazi-Relikte vorangetrieben hat. Er könne sich den Ausführungen der Historiker "nur anschließen", sagte Kazmaier. Der große Erfolg der Dokumentation ziehe Folgerungen nach sich: "Das ist die Grundlage für die Fortentwicklung". Er sehe keinerlei Gegensatz zur bisherigen Politik des Finanzministeriums.

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