Oberpfalz:Fliegerbombe hält Regensburg in Atem

Oberpfalz: Ein Luftangriff der Alliierten auf Regensburg 1943. Ziel waren die Flugzeugwerke im Westen der Stadt. Dort wurde auch der Blindgänger entdeckt.

Ein Luftangriff der Alliierten auf Regensburg 1943. Ziel waren die Flugzeugwerke im Westen der Stadt. Dort wurde auch der Blindgänger entdeckt.

(Foto: Stadtarchiv Regensburg)

Alle 750 Betten eines Krankenhauses müssen geräumt werden - erst dann kann der Sprengmeister anrücken.

Von Andreas Glas, Regensburg

Am Freitagmorgen ist es friedlich in der Dornierstraße, und friedlich schlummert auch der Polizist auf dem Beifahrersitz seines Kastenwagens. Er muss Wache halten neben der Baustelle, wo Arbeiter die Bombe am vergangenen Montag gefunden haben. Mitten im Wohngebiet, die Feuerwehr hat das Gelände mit rot-weißen Flatterbändern abgesperrt, hinter dem Bauzaun türmt sich der Schutt und irgendwo dahinter muss er liegen, der 250 Kilo schwere Sprengkörper. Der Polizist lässt die Fensterscheibe runter, schaut aus müden Augen auf die Straße. "Bis Sonntag passiert hier gar nichts", sagt er, fährt die Scheibe wieder hoch und fläzt sich zurück in den Sitz.

Krankenhaus mit 750 Betten muss geräumt werden

Die Ruhe täuscht. Nur 200 Meter Luftlinie entfernt, im Krankenhaus Barmherzige Brüder, haben sie längst begonnen, sich für den Sonntag zu wappnen. Dann soll die Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden, dann müssen alle 750 Betten der Klinik geräumt sein. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, aber eine, die es in sich hat. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sei ein so großes Krankenhaus evakuiert worden, sagt die Klinikleitung.

Bis Freitagmittag waren noch fast 400 Betten belegt, bis Samstagabend sollen die letzten stationären Patienten in benachbarte Krankenhäuser umgezogen sein, am Sonntag werden noch 14 Intensivpatienten in die nahe gelegene Kinderklinik Sankt Hedwig gebracht. "Ein großes logistisches Thema" sei das, sagt Geschäftsführer Andreas Kestler, trotzdem herrsche in der Klinik "große Gelassenheit angesichts des außergewöhnlichen Ereignisses".

Der Bürgermeister meldet sich staatsmännisch auf Youtube

Es ist bereits die vierte Bombe, die in diesem Jahr in Regensburg entschärft werden muss. Doch diesmal ist es besonders aufregend, die Bombe ist Stadtgespräch Nummer eins. Kein Wunder, denn im Kreis von 500 Metern um die Fundstelle müssen am Sonntag im Stadtwesten sämtliche Wohnungen evakuiert werden - insgesamt 5300 Menschen. Ein Anlass für Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD), sich via Youtube ganz staatsmännisch an seine Bürger zu wenden.

Mit ernster Miene, die Hände auf dem Tisch verschränkt, sagt Wolbergs, es gebe "überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen", die Fundstelle sei gesichert, aber es werde schon "ein bisschen umständlich" am Sonntag, an Allerheiligen. Ein 80-köpfiger Krisenstab arbeite an den Vorbereitungen, "wir werden das alles organisieren können", sagt Wolbergs.

Bis acht Uhr früh müssen die Menschen ihre Häuser verlassen haben

Oberpfalz: SZ-Karte

SZ-Karte

(Foto: SZ)

Um acht Uhr früh müssen die Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen haben, wer keine andere Bleibe findet, den bringt die Stadt mit Bussen in umliegende Turnhallen. Wie lange es dauert, bis die Bombe entschärft ist, kann niemand präzise vorhersagen. Es könne alles ganz schnell gehen, sagt OB Wolbergs, "es kann aber auch drei, vier Stunden dauern". Ob es vielleicht sogar bis zum Sonntagabend dauert, dürfte davon abhängen, ob die Sprengmeister am Fundort wie geplant eine vier Meter tiefe Grube graben können, um die Bombe zur Entschärfung unter die Erde zu bringen.

Die Bombe fortzuschaffen, um sie an einem anderen Ort zu entschärfen, halten die Sprengmeister für zu gefährlich. Sollte sich also herausstellen, dass der Grundwasserspiegel zu hoch ist, um die Bombe tief genug abzusenken, müsste kurzfristig sogar in einem Radius von 1200 Metern evakuiert werden. Die Experten halten dies aber für unwahrscheinlich.

Die Bombe liegt an der Dornierstraße

Der Fundort der Fliegerbombe liegt außerhalb der Altstadt, im Stadtwesten - und kurioserweise an der Kreuzung zweier Straßen, deren Namen mit Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg verbunden sind. Die Dornierstraße ist nach der Firma Dornier benannt, die einst die Wehrmacht mit Kampfflugzeugen belieferte. Die Udetstraße wiederum trägt den Namen des Jagdfliegers Ernst Udet, der im Nationalsozialismus zuständig war für die technische Ausrüstung der Luftwaffe.

Ein Zufall ist es aber nicht, dass die Bombe ausgerechnet in einem Wohngebiet gefunden wurde, deren Straßennamen mit der militärischen Luftfahrt zu tun haben. In der Nähe des Fundorts befanden sich einst die Messerschmitt-Werke, die ebenfalls Kampfflugzeuge für die Nazis produzierten. Die Gegend war also ein strategisches Ziel für die US-Amerikaner und war im Zweiten Weltkrieg entsprechend heftig bombardiert worden. Der Blindgänger, der am Montag dort gefunden wurde, ist ein Überbleibsel aus dieser Zeit.

Bei der Bombe handelt es sich um eine sogenannte 500-Pfund-Allzweckbombe US 500 LBS. Im Fall einer Explosion würde diese Bombe eine solche Wucht entwickeln, dass die Druckwelle auch auf der Autobahn A 93 zu spüren wäre, die quer durch den Regensburger Westen verläuft. Am Sonntag wird deshalb der Autobahnabschnitt zwischen den Ausfahrten Regensburg-Königswiesen und Regensburg-Pfaffenstein von acht Uhr früh an in beiden Richtungen gesperrt. "Ein großes Brimborium" sei das, gibt Oberbürgermeister Wolbergs zu, aber Sicherheit gehe nun einmal vor.

Klinik-Räumungen

Erfahrungen mit der Räumung von Kliniken bei laufendem Betrieb hat in Bayern vor allem das Würzburger Universitätskrankenhaus. Im Jahr 2009 mussten dort an einem Sonntag 260 Patienten aus dem Klinikum gebracht werden, darunter 30 Intensivpatienten. Allerdings war der Anlass ein anderer: Das Haus hatte den Umzug ins neue Zentrum für Innere Medizin zu meistern, in einen Komplex, der an Größe Würzburgs Residenz übertrifft. Die Klinik bereitete sich darauf ein Jahr lang vor, im Einsatz waren 35 Krankenwagen, darunter Spezialfahrzeuge des Roten Kreuzes für intensivpflichtige und übergewichtige Patienten. Benötigt wurden 15 Spezialtransporter, die sensible Unterlagen in Datenschutzcontainern und eingefrorene Laborproben beförderten, sowie ein Gefahrguttransporter für Chemikalien. Der Umzug verlief ohne Zwischenfälle. Vier Jahre zuvor hatte das Würzburger Universitätsklinikum an einem Tag 130 Patienten transportieren müssen, beim Umzug ins neue Zentrum für Operative Medizin. Die Verlegung dauerte sechs Stunden, ebenfalls ohne Zwischenfälle. Auf einen Großeinsatz wie den in Regensburg musste sich das Südklinikum Nürnberg vor zwei Jahren vorbereiten. Beim Bau eines Parkhauses legten die Auswertungen von Luftbildern den Verdacht nahe, dass möglicherweise eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Boden schlummern könnte. 1100 Patienten und insgesamt 7200 Anwohner wären davon betroffen gewesen, die Klinik hätte lediglich 72 Stunden Zeit gehabt für die Räumung. Eine Spezialfirma für Kampfmittelsondierung konnte am Ende aber Entwarnung geben. prz

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: