Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg:Gustl Mollath ist wieder ein freier Mann

Nach sieben Jahren kann Gustl Mollath die geschlossene forensische Abteilung in Bayreuth verlassen. Er selbst ist von der Entscheidung so überrascht, dass er zunächst nicht weiß, wo er heute schlafen wird. Das Wiederaufnahmeverfahren in Regensburg beginnt frühestens 2014 - mit einigen wichtigen Änderungen.

Der Tag zum Nachlesen im Newsblog. Von Katja Auer, Ingrid Fuchs und Uwe Ritzer

Am Dienstag, 6. August 2013, ist es soweit: Nach sieben Jahren in der forensischen Psychiatrie kommt Gustl Mollath frei. Unverzüglich. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg hat eine anderslautende Entscheidung des Landgerichts Regensburg kassiert, ein Wiederaufnahmeverfahren beschlossen - und ordnete seine sofortige Freilassung an.

Kurz nach elf Uhr mittags erfährt Gustl Mollath die außergewöhnliche Nachricht. Bis er die verhasste Psychiatrie in Bayreuth schließlich verlässt, dauert es noch Stunden. Um 18 Uhr kommt er schließlich mit zwei Freunden und zwei Pflanzen unterm Arm nach draußen. Er trägt eine Dattelpalme und ein Orangenbäumchen, die er aus Kernen selbst gezogen habe.

Noch stünde nicht fest, wo er heute schläft, erklärt Mollath. Es gehe ihm darum, erstmal Ausweispapiere zu organisieren. Auf die Frage nach seinem Gefühl antwortet er: "Es ist in jedem Fall eine dementsprechende Freude, auch wenn man mir das jetzt so nicht ansieht." Denn seit er die Nachricht erhalten habe, sei es "einfach nur Stress" gewesen, weil er so schnell zusammenpacken musste.

Zwei Buchstaben bringen die Freiheit

Diesen Stress hat der Senat des OLG Nürnberg mit seiner überraschenden Entscheidung ausgelöst. Er stützte sich dabei vor allem auf ein ärztliches Attest, das als "unechte Urkunde" und damit als zwingender Wiederaufnahmegrund im Sinne der Strafprozessordnung gewertet wurde.

Der Grund: In dem Attest werde der Name der Praxisinhaberin genannt, die Mollaths Frau damals gar nicht selbst behandelt habe. Entsprechend sei das Gericht damals davon ausgegangen, das Attest stamme von einer erfahrenen Ärztin, nicht von deren Sohn. Das OLG räumt zwar ein, dass bei übermäßiger Vergrößerung der Urkunde ein Vertretungshinweis in Form der Kürzel "i.V." erkennbar sei - jedoch zu winzig. "Auf dem Attest in Originalgröße ist dieser Zusatz aber weder für den Senat noch für die Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren erkennbar gewesen."

Die Entscheidung des OLG überrascht zu diesem Zeitpunkt nicht nur Mollath selbst, sondern auch seine Unterstützer und die Medien. Nachdem er seinem Mandanten die Nachricht überbracht hat, deutet Anwalt Gerhard Strate an, dass Mollath die Psychiatrie wohl gegen 15 Uhr verlassen werde. Für Journalisten ein entscheidender Hinweis.

Warten auf den freien Mann

SZ-Reporterin Katja Auer positioniert sich schon gegen 14 Uhr 30 zusammen mit einem guten Dutzend weiterer Journalisten vor dem Bezirksklinikum. Kameraleute filmen die Schranke oder die wartenden Kollegen. Ein erster Übertragungswagen fährt vor.

Die Mitarbeiter des Klinikums waren so nett, zwei Kästen Wasser herauszustellen. Die Post kommt, aber kein Gustl Mollath. Die Schranke geht auf, nur ein Besucher. Kurz darauf fährt ein Polizeiauto vor, wendet und fährt wieder. Es tut sich nichts. Kein Unterstützer von Mollath zu sehen. Im Netz werden von ihnen jedoch bereits fleißig Hilfsmaßnahmen beworben, etwa Spendenaufrufe über Twitter.

Wie lange bleibt er frei? Wo geht er hin?

Noch ist unklar, wohin sich Mollath nun langfristig zurückziehen wird. Sein ehemaliges Wohnhaus ist zwangsversteigert; wo seine persönliche Habe geblieben ist, weiß niemand. "Nicht einmal ein Bild meiner Mutter ist mir geblieben", klagt Mollath immer wieder. Es ist davon auszugehen, dass sich Freunde und Unterstützer um den 56-Jährigen kümmern werden.

Um kurz vor 15 Uhr kommt ein bisschen Unruhe auf. Wenn er doch einen anderen Ausgang nimmt? Die Kameraleute diskutieren den besten Standort. Noch ein Vertreter der Piratenpartei fährt mit dem Wahlkampfmobil vor. Darauf steht: "Leb so wie du bist." Auch Karsten Schieseck kommt vorbei, der Rechtsanwalt des Klinikums. Er sagt, dass Gustl Mollath sein Entlassungsbescheid "zeitnah" zugestellt worden sei. Dann habe er natürlich Zeit bekommen, seine Sachen zu packen.

Wahlkampf vor dem Klinikum

Auf Twitter kommentieren seine Unterstützer unterdessen die Entscheidung des Gerichts - natürlich erfreut. Abgehakt ist der Fall damit aber natürlich noch lange nicht. Es werden weiter Informationen ausgetauscht und es wird gezetert, etwa über die Selbstgefälligkeit von Justizministerin Merk oder den Psychiater Klaus Leipziger.

Die Linken sind jetzt auch da. Und ein Abgeordneter der Freien Wähler. Es ist Wahlkampf in Bayern - wie man auch an den Reaktionen der Politiker deutlich merkt. Unterdessen: Noch mehr Übertragungswagen, noch mehr Journalisten. Aber immer noch kein Gustl Mollath - der kehrte erst gegen 18 Uhr in die Freiheit zurück.

Bei dem Verfahren am Landgericht Regensburg sollen alle Informationen nochmal ganz neu untersucht werden. Es ist dann auch davon auszugehen, dass die dubiosen Geldgeschäfte, die Mollath der Hypo-Vereinsbank immer wieder angelastet hat, eine größere Rolle spielen werden.

Wiederaufnahmeverfahren wohl frühestens 2014

Das OLG Nürnberg hat in seiner Entscheidung auch ausdrücklich festgelegt, dass bei der Wiederaufnahme, wenn nötig, ein psychiatrisches Gutachten über Gustl Mollath eingeholt werden kann. Auch dabei dürften dann andere Spielregeln gelten. Denn über Jahre hinweg störte sich niemand daran, dass die meisten Sachverständigen, die Mollath für wahnkrank erklärten, ihn weder gesehen, geschweige denn untersucht hatten. Es waren Gutachten allein nach der Aktenlage.

Das Ergebnis des Hauptverfahrens entscheidet dann darüber, ob Gustl Mollath ein freier Mann bleibt oder ob er womöglich doch wieder verurteilt wird. Das dürfte jedoch frühestens 2014 der Fall sein. Denn das OLG Nürnberg hat verfügt, dass eine bislang mit dem Fall nicht befasste Strafkammer am Landgericht Regensburg das Wiederaufnahmeverfahren übernimmt. Und die muss sich erst in dieses komplexe Verfahren, das mittlerweile ganz Deutschland beschäftigt, einarbeiten.

Die bisherige Berichterstattung der SZ zum Fall Mollath finden Sie hier.

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