Oberbayern:83 Einwohner, Kramerladen, Wirtshaus - und eine Goldmedaille

Bad Endorf, Hirnsberg, schönstes Dorf Bayerns,

Wolfgang Kirner im Wirtshaus in Hirnsberg.

(Foto: Angelika Bardehle)

Hirnsberg im Landkreis Rosenheim ist eines der schönsten Dörfer Deutschlands. Die bayerische Idylle bescherte dem Ort eine Auszeichnung.

Von Matthias Köpf

Einfach ist das nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. "Da brauchst du schon Power, da musst du immer dahinter sein", sagt der Woof. Er trägt manchmal ein T-Shirt zur Lederhose und mal ein Polohemd, aber wie einer von diesen gar so lässigen Wochenend-Bayern aus der Stadt schaut er trotzdem nicht aus. Der Woof, wie die meisten hier Wolfgang Kirner nennen, weiß, wovon er spricht. Der 32-Jährige mit dem Kugelschreiber am Lederhosenträger hat vor fünf Jahren selber angepackt, damit etwas so bleibt, wie es davor schon 400 Jahre lang gewesen ist.

Er hat seinen Job als Wirtschaftsingenieur und die dauernde Fahrerei in die Firma nach Österreich hinter sich gelassen und stattdessen daheim das Gasthaus gepachtet, weil der alte Wirt schon weit in seinen Achtzigern war und aufhören wollte. Eines Abends hat Wolfgang Kirner die ersten Farbeimer in die Gaststube getragen. Und dann sind sie gekommen, einer nach dem anderen. Irgendwann sind 20 Leute im Arbeitsgewand herinnen gestanden und haben ihr Wirtshaus hergerichtet, bis in die Nacht. Am nächsten Abend sind sie wiedergekommen, und eigentlich tun sie das bis heute, nur dass es nichts mehr zu renovieren gibt.

Oberbayern: SZ-Karte

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Hier im Wirtshaus haben sie dann auch immer wieder diskutiert, ob sie es wirklich machen sollen. Wir haben ja schon alles, wofür also das Ganze, zweifelten die einen. Die anderen wollten gar nicht widersprechen. Aber sich das alles selber mal bewusst machen, es herzeigen und ein bisschen stolz drauf sein, das könne man doch auch. Am Ende haben sie es gemacht, sie haben es hergezeigt, und sie sind stolz auf das Ergebnis: Gold auf Bundesebene bei "Unser Dorf soll schöner werden - unser Dorf hat Zukunft". Für Hirnsberg, Gemeinde Bad Endorf, Landkreis Rosenheim. Und für alle seine 83 Einwohner.

In den Kramerladen kommen alle Hirnsberger wahrscheinlich öfter mal

Wer Renate Gottschall zuhört, der könnte meinen, alle diese 83 Hirnsberger seien in der Frauengemeinschaft, alle 83 seien sie bei den Veteranen, alle 83 im Schützenverein, bei der Feuerwehr sowieso, und der Trachtenverein habe auch 83 Mitglieder. Aber ganz so sagt Renate Gottschall das natürlich nicht, und zum Beispiel der Trachtenverein ist ja außerdem viel größer, weil da wie in den meisten anderen Vereinen auch die Pietzinger dabei sind und die Leute von den vielen Höfen dazwischen.

Aber zu Renate Gottschall in den Laden kommen wahrscheinlich schon alle 83 Hirnsberger öfter mal. Wie sollte sich der Kramerladen sonst halten, trotz der Top-Lage gegenüber vom Gasthaus und neben der Kirche. Die Kramerin, die hier niemals Tante Emma hieße, kennt ihre Kundschaft genau.

Sie weiß, dass sie auf ihren vielleicht 15 Quadratmetern Verkaufsfläche Brot und Semmeln braucht und sonst ein bisschen Obst, Gemüse, Käse und Wurst, dreierlei Butter, dazu Kehrbesen und Spülbürsten sowie Schleckzeug für die Kinder und Fliegenklatschen für die Gäste, die drüben beim Fischerhof Urlaub auf dem Bauernhof machen. Die Dauercamper unten am Simssee haben meistens schon eine.

Direkt hinter den Häusern beginnt das Landschaftsschutzgebiet

Dass die Hirnsberger nicht alles in ihrem Kramerladen einkaufen, ist auch klar. Es gibt schließlich all diese grauen Beton- und Wellblechkästen der Supermärkte und Discounter, die Gewerbegebiete mit den Fachmärkten: Teppiche, Matratzen, Tierfutter. Nur hier in Hirnsberg gibt es so etwas eben nicht. Weil direkt hinter den Häusern das Landschaftsschutzgebiet beginnt.

Weil sie hier also keinen Platz für ein Gewerbegebiet haben, weil sie auch keins wollen und keins brauchen - was umso leichter ist, als dass sie dafür bloß nach Bad Endorf, Prien oder Rosenheim fahren müssen, wo sowieso die meisten von ihnen arbeiten. Ihr Hirnsberg aber bleibt eben so, wie es ist - und wie es sein soll, wenn es nach ihnen selber, ihren Gästen und nach den Bewertungskommissionen für den Dorfwettbewerb geht.

Bad Endorf, Hirnsberg, schönstes Dorf Bayerns,

Regina Gottschall bedient in ihrem Kramerladen. Sie ist gleichzeitig Mesnerin.

(Foto: Angelika Bardehle)

In Bayern heißt dieser Wettbewerb zur Hälfte immer noch "Unser Dorf soll schöner werden", wie in seinen Anfängen als Blumenschmuckwettbewerb in den Sechzigerjahren. An Balkonen und Geranien mangelt es in Hirnsberg ebenso wenig wie in den meisten anderen der fast 27 000 bayerischen Dörfer, die sich über die Jahrzehnte an "Unser Dorf soll schöner werden" beteiligt haben. Dass aber ausgerechnet Hirnsberg mit seinen bunt blühenden Bauerngärten noch schöner werden sollte, das gilt seinen Bewohnern höchstens für ein paar Details wie das Pfarrhaus, in dem der Ruhestandspfarrer wohnt und das halt einfach dasteht, ohne auffällig schön zu sein.

Ein echter Dorn im Auge war den Hirnsbergern eher der Kirchenvorplatz, und das schon seit geschlagenen 30 Jahren. Der schnöde Asphalt hat nicht zu den weitgehend unverputzten Steinmauern der spätgotischen Kirche gepasst. Also haben sie vor zwei Jahren zum Landesentscheid wieder alle angepackt, haben große runde Bachkugeln herangeschafft und sind den zwei Fachleuten beim Schubkarrenschieben, beim Pflastern und beim Sandeinkehren zur Hand gegangen.

Wirtshaus, Kramerladen und Kirche sind der Kern der Hirnsberger Idylle

Bad Endorf, Hirnsberg, schönstes Dorf Bayerns,

Die Lage ihres Dorfes auf einem Hügel über dem Simssee ist ein Geschenk. Wie sie damit umgehen, hat den Hirnsbergern nun alle Ehre gemacht.

(Foto: Angelika Bardehle)

Jetzt kann die Kramerin Renate Gottschall von ihrem Laden über rundliche Natursteine hinüber zur innen barockisierten Kirche gehen, wo sie als Nebenerwerbs-Mesnerin den anderen Teil ihres Einkommens verdient. 340 Seelen hat die Kirchengemeinde, sagt Regina Gottschall. Ungefähr 60 kämen im Schnitt zur Sonntagsmesse, und ein paar Evangelische gebe es auch. Zuzügler werden schnell integriert, aber viele davon gibt es nicht, denn ein neues Haus wurde in Hirnsberg zuletzt vor zehn Jahren gebaut, und auch das nur an einer Stelle, an der davor auch schon ein Haus gestanden ist.

Manche müssen aber auch wegziehen wie die junge Frau, die hinüber ins drei Kilometer entfernte Antwort geheiratet hat in dem Gefühl, für den Mann ihre Heimat zu verlassen. So erzählt es Andrea Stein. Sie hat vor fünf Jahren von ihren Eltern den Campingplatz unten am See übernommen. Dafür zog sie vom 20 Kilometer entfernten Griesstätt nach Hirnsberg. Inzwischen vertritt sie das Dorf als Ortssprecherin im Bad Endorfer Marktgemeinderat.

Die Dreieinigkeit aus Wirtshaus, Kramerladen und Kirche ist der Kern der Hirnsberger Idylle, aber für die zweite Hälfte des Dorf-Wettbewerbstitels, für "Unser Dorf hat Zukunft", hätte das nicht gereicht. Da heißt es, auf den Strukturwandel zu reagieren und den ländlichen Raum sozial und ökologisch weiterzuentwickeln. Genauer hat ihnen das Sepp Stein erklärt, der im Landratsamt in Rosenheim arbeitet und die treibende Kraft hinter der Bewerbung gewesen ist.

Für viele Hirnsberger ist Sepp Stein nur der "Apfesepp", wegen seines leidenschaftlichen Einsatzes für den Obst- und Kulturweg, der drüben auf der Ratzinger Höhe bis Prien führt. Der Spitzname hat sogar auf den Sohn abgefärbt, den "Apfeschorsch", obwohl der es gar nicht so hat mit den Äpfeln.

Vollerwerbsbauern gibt es nur noch einen im Dorf

Für den Senior würde nur Sepp jedenfalls nicht reichen, denn es gibt in Hirnsberg ja noch einen Josef, und auch der hat viel mit dem Strukturwandel und mit der Zukunftsfähigkeit des Dorfes zu tun. Josef Öttl hat seinen alten Lamplhof zur Hackschnitzel-Heizzentrale umgebaut und versorgt mit seiner Nahwärme die Kirche, das Pfarrhaus, den Kindergarten und vorerst zwei Wohnhäuser.

Dem Stall sieht man das nicht an, so wie man drüben beim Hintermoar auch kaum bemerkt, dass im Stall keine Kühe mehr sind, sondern eine Werkstatt für Landmaschinentechnik. Vollerwerbsbauern gibt es nur noch einen im Dorf und eine Handvoll drumherum. Alle haben vereinbart, es mit dem Maisanbau nicht zu übertreiben. Das ist auch gut fürs Trinkwasser, das in Hirnsberg immer noch aus einem eigenen Brunnen kommt. Ob sie sich dessen Sanierung noch leisten können, ist aber offen.

Mit der übrigen Infrastruktur sehen sich die Hirnsberger ganz gut versorgt. Statt der Schule gibt es immerhin noch einen weithin gefragten Kindergarten mit 25 Plätzen. Eine Stunde pro Woche hat die Dorfbücherei geöffnet, und die Jugend hat einen Bauwagen bekommen, der alle paar Wochen bei einem anderen Bauern auf der Wiese steht, gerade so weit weg vom Dorf, wie das Verlängerungskabel reicht. Und den Mast mit den Mobilfunk-Antennen sieht man wenigstens nicht von überall.

Mit dem Breitband-Internet ist es zwar nicht recht weit her, aber dafür hat der Ort für den Dorfwettbewerb eine Homepage bekommen, denn die Juroren haben auch gern was zum Anklicken. Den Hirnsbergern selber hätte der Jahreskalender gereicht, den die Blaskapelle immer an Silvester beim Jahrausblasen im Ort und an allen Gehöften ringsum verteilt.

Die Homepage haben sie jetzt halt, aber eins haben sie in Wolfgang Kirners Gaststube vor dem Besuch der Bundeskommission auch ausgemacht: Hochdeutsch gesprochen wird nicht, weil das dann doch bloß wieder so seltsam klingt. Und das mit dem Englisch und mit dem europaweiten Wettbewerb lassen sie auch. Denn die Hirnsberger wissen, wann es genug ist Und auch da, sagt der Woof, musst du immer dahinter sein.

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