Oberallgäu:Abrechnung in Waltenhofen

Seit der Kommunalwahl im März geht ein Riss durch Waltenhofen. Der Unmut über die CSU-Politik entlädt sich in einer grotesken Bespitzelungsaktion.

Mike Szymanski

Jetzt fängt er selber schon damit an. Gerd Fuchsluger sitzt am Küchentisch und starrt aus dem Fenster. "Früher hat mich nicht interessiert, wann die Nachbarn nach Hause kommen. Jetzt schaue ich genau hin, wenn sich draußen etwas bewegt", erzählt er. Er schaut auch auf die Nummernschilder von Autos, die er in der Straße noch nie gesehen hat. Fuchsluger, 38 Jahre alt, Jurist, Familienvater und bis vor kurzem Gemeinderat der CSU in Waltenhofen im Allgäu, sagt, er sei misstrauisch geworden: "Ich habe mich verändert."

CSU, ddp

In Waltenhofen ist man mit der CSU nicht zufrieden. Der Unmut entlädt sich an dem ehemaligen Gemeinderat.

(Foto: Foto: ddp)

Nicht nur Fuchsluger hat sich verändert. Auch Waltenhofen. Seit der Kommunalwahl im März geht ein Riss durch die 10000-Einwohner-Gemeinde südlich von Kempten. Es wird getuschelt, verdächtigt und beschuldigt. Von "Nazi-Methoden" war schon die Rede wie von "Stasi-Methoden". Es sind starke Worte in diesem Ort gefallen, der eigentlich selbstzufrieden im Allgäuer Hügelland liegen könnte. Wer hätte ausgerechnet hier erwartet, dass sich Mitbürger auf die Lauer legen, um einen Gemeinderat auszuspionieren?

"Wie betäubt"

Gerd Fuchsluger gehört dem neuen Gemeinderat nicht mehr an. Der Wahlausschuss hat seine Wahl im Nachhinein für ungültig erklärt, obwohl Fuchsluger mit 3059 Stimmen so viele auf sich vereinen konnte wie sonst niemand in Waltenhofen.

Die Ausschussmitglieder waren der Meinung, Fuchsluger hätte erst gar nicht zu Wahl antreten dürfen, weil er seinen Lebensmittelpunkt neuerdings im benachbarten Sulzberg habe. Dort hat Fuchslugers Frau ihren Zweitwohnsitz, seine Schwiegereltern leben dort. Für Fuchsluger kam es aber noch schlimmer.

Der Wahlausschuss stützte seine Entscheidung auf Protokolle von Bürgern, die Fuchsluger in Waltenhofen ein halbes Jahr beschattet hatten. Was man sich darunter vorzustellen hat, erfuhr Fuchsluger aus den Akten der Staatsanwaltschaft. Darin schreibt ein Bürger: "Die Beobachtungen sind wie folgt zusammengefasst: 46 Mal keine Bewegung, kein Licht, alles geschlossen, niemand sichtbar." Weiter heißt es: "Außerdem sind keine auf Kinder hindeutende Spielsachen im Garten zu beobachten."

Es wurden Karten mit dem Grundriss der Wohnung gezeichnet und Listen angelegt, deren Spalten die Bezeichnungen "Datum", "Uhrzeit" und "Beobachtungen" tragen. In der letzten steht häufig: "Keine Hinweise auf Bewohnung des Hauses durch Familie mit Kleinkind." Das Haus soll "täglich, z. T. mehrfach" kontrolliert worden sein. Fuchsluger sagt: "Ich war wie betäubt."

Er habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er viel Zeit im Elternhaus seiner Frau verbringe. Als Bürgermeister Eckhard Harscher von der Wählergruppe "Wir für Waltenhofen" kurz vor der Wahl nachfragte, versicherte er, sein Lebensmittelpunkt sei Waltenhofen. Dort arbeite er wie zuvor schon sein Vater im Gemeinderat, er engagiere sich im Vorstand des Sportvereins und wenn er Freunde treffe, dann in Waltenhofen.

Andernorts hätte man sich wohl mit dieser Aussage zufriedengegeben. In Waltenhofen aber glaubt man offenbar einem CSU-Politiker nicht mehr und legt sich stattdessen lieber auf die Lauer. Das sagt schon viel aus über den Zustand der Politik im Allgäu.

Hier hat sich bei einigen Bürgern ein regelrechter Hass auf die CSU breitgemacht, der auch als eine Reaktion auf deren Machtgebaren interpretiert werden kann: Gerade im Oberallgäu hat CSU-Landrat Gebhard Kaiser einen Politikstil konserviert, den Bewunderer "hemdsärmelig" nennen, Menschen wie Peter Haering aber "diktatorisch".

Wenn man nach Erklärungen für den Fall Fuchsluger sucht, landet man irgendwann am Tisch von Peter Haering. Der 75-jährige Ex-Unternehmer ist Mitbegründer des "Bürgerforums Illerland". Die Initiative hatte sich 2002 gegründet, weil die Bürger sich oft übergangen fühlten. "Kaiser macht im Allgäu Politik nach Gutsherrenart", klagt Haering.

Hausdurchsuchung

Dies sieht dann schon einmal so aus: In schönster Hanglage in Ofterschwang erlaubte Kaisers Behörde den Bau neuer Häuser. Als die Richter das Vorhaben stoppten, standen die meisten Häuser schon. So schnell hatte man Beamte und Bauarbeiter noch nicht arbeiten sehen. Kaiser hatte kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. Bedenkenträger nerven ihn nur. Sein Motto lautet: "Wer auf die Zauderer hört, bringt es zu nichts."

"Die CSU hat hier vollkommen verspielt", sagt Haering. Er glaubt, dass sich in Waltenhofen womöglich nur der Frust auf schlimme Art und Weise entladen habe. "Jetzt fangen die Leute an, sich zu wehren", sagt Haering. Die Wahlergebnisse geben ihm recht. Die CSU im Oberallgäu verlor die Bürgermeisterposten in Oberstdorf und Immenstadt an parteifreie Kandidaten.

Die Allgäuer Zeitung, die voll hinter Kaiser steht, hat die aufbegehrenden Bürgergruppen schon mal als "Allgäu-APO" bezeichnet und erklärt, was sie von außenparlamentarischen Oppositionellen hält. "In Wahrheit sind sie nur besserwisserische Nörgler."

Womöglich hat das die selbsternannten Privatermittler sogar noch angespornt, gründlich zu arbeiten. Einer von ihnen ist der Kemptener Amtsrichter Wolfgang Bourier, der in seinen Ansichten den Leuten vom Bürgerforum Illerland zu radikal ist. Wer Bourier fragt, ob die lückenlose Überwachung nicht unverhältnismäßig gewesen sei, dem erklärt er: "Ich lasse mir nicht gefallen, dass ein CSU-Politiker hier macht, was er will." Er zeigte Fuchsluger sogar noch an, weil er Wahlunterlagen gefälscht haben soll.

Die Staatsanwaltschaft durchsuchte daraufhin im April die Wohnhäuser der Familie Fuchsluger und vernahm Nachbarn und Bekannte. Jetzt liegt das Ergebnis vor. Es ist nicht geeignet, das Vertrauen in die CSU wieder herzustellen. Zwar stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Fuchsluger ein, schrieb aber, dass er "tatsächlich nicht in Waltenhofen gewohnt haben dürfte".

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