Nürnberger Prozesse:Saal 600 soll zum Museum werden

Nürnberger Justizsaal

Hier wurde Weltgeschichte geschrieben: Der Saal 600 im Nürnberger Justizgebäude. Besucher ärgern sich, weil er oft für sie geschlossen ist.

(Foto: Daniel Kamann/dpa)

Der Freistaat verzichtet aber auf den Rückbau in den Zustand von 1946, als dort die Kriegsverbrecher vor Gericht standen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Vor ziemlich genau drei Jahren saßen Finanzminister und Justizminister schon einmal im Saal 600, damals endete die Pressekonferenz mit einem kleineren Eklat. Markus Söder und Beate Merk, sie war zu der Zeit noch für die bayerische Justiz zuständig, gaben bekannt, dass der historische Ort in ferner Zukunft nicht mehr als Schwurgerichtssaal dienen solle, und man stattdessen ein Museum daraus machen werde. Als die Minister fertig waren, stand der damalige Leiter der Nürnberger Staatsanwaltschaft außerplanmäßig auf und äußerte ein "gewisses Bedauern" darüber und die Furcht, dass Nürnbergs Justiz nichts Adäquates als Ersatz bekommen werde - eine unaufgeforderte Stellungnahme, die für allerlei Kopfschütteln sorgte. Nicht zuletzt bei den Ministern.

Wo Weltgeschichte geschrieben wurde

Drei Jahre und etliche Debatten später ist nicht nur klar, dass aus dem Saal, in dem mit der Anklage der Hauptkriegsverbrecher Weltgeschichte geschrieben wurde, tatsächlich ein reines Museum wird, 2018 soll es so weit sein. Seit Montag zeichnet sich auch ab, wie dieses Museum in etwa aussehen soll. Man plane, den Saal als "virtuelles Geschichtsbuch" zu präsentieren, sagt Nürnbergs Kulturreferentin Julia Lehner (CSU). Dazu sollen mithilfe moderner Medien und transparenter Leinwände historische Dokumente so gezeigt werden, dass sich Besucher in die Jahre 1945 und 1946 hineinversetzen können.

Ein Umbau der Saales ist dagegen nicht geplant, diesen hatte als erster Söder ins Spiel gebracht. Dem Minister schwebte ein Rückbau in den Zustand des Jahres 1945 vor, was für erregte Debatten gesorgt hatte. Schließlich sind nur zwei Bänke aus der Zeit nach dem Krieg erhalten geblieben. Die fränkische Justiz hatte sich in den Sechzigerjahren, als die Nürnberger Prozesse noch nicht überall als Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts galten, dazu entschieden, den Raum umzubauen. Den Pressebalkon gibt es seither nicht mehr.

Wo damals die alliierte Richterbank stand, hinter jedem Richter eine Nationalflagge, sitzen heute Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Gutachter. Wo heute die Richter des Schwurgerichts sitzen, über ihnen ein mannshohes Kreuz, saß 1945 der Angeklagte, der ins Kreuzverhör genommen wurde. Dieses Kreuz gab es 1945 nicht, ebenso wenig die heutigen Kronleuchter. Dafür war der Saal so vollgestellt mit Scheinwerfern, dass viele der angeklagten Nazis - unter anderem Hermann Göring - sich mit den berühmt gewordenen Sonnenbrillen gegen das gleißende Licht zu schützen versuchten. Dies alles, sagt Lehner, werde man virtuell durch Lichtinstallationen und Projektionen von Bilddokumenten in den Saal zurückholen können. Den längst ebenfalls historischen Zustand des Saales müsse man dafür nicht verändern.

Bewerbung um einen Status als Weltkulturerbe

Vor allem für die Bewerbung der Stadt als Weltkulturerbe dürfte das wichtig sein. Nürnberg hat schon einmal versucht, mit dem Saal 600 ins Weltkulturerbe aufgenommen zu werden, vergebens. Eine in Hollywoodmanier nachgebaute Richterbank hätte diese Chancen sicher nicht größer werden lassen. Um dies zu beurteilen, hatte Söder eine Kommission eingesetzt, mit klarem Votum. "Ich habe mich überzeugen lassen", sagt er. Also kein Umbau.

Der Freistaat will die Umwandlung des Saals zur Hälfte mitfinanzieren. Wie viel Geld dafür nötig ist, "wird man am Ende sehen", sagt Söder. Dass sich die Investition lohnt, davon ist Justizminister Winfried Bausback überzeugt: "Die Nürnberger Prozesse markieren die Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts", sagt er.

Derzeit finden im größten Gerichtssaal Nordbayerns noch Kapitalprozesse statt, an bis zu hundert Tagen pro Jahr stehen Touristen deshalb vor verschlossenen Türen. Zumindest fotografieren dürfen sie nicht im Saal. Weil die meisten der 90 000 Besucher pro Jahr, 70 Prozent davon aus dem Ausland, auch des Saales wegen zum Justizpalast kommen, sieht sich die Stadt immer wieder mit bösen Briefen und Gästebucheinträgen konfrontiert. Ende 2017 soll ein neues Gebäude fertig sein, dort werden dann große Prozesse verhandelt. Danach beginnt die Umwandlung des Saals in ein Museum.

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